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© imago images/Christoph Reichwein

Tödlicher Polizeieinsatz in Brandenburg: „Schon wieder ein Mensch in psychischer Ausnahmesituation“

In Königs Wusterhausen ist ein Einsatz der Polizei eskaliert. Politik und Experten fordern Aufklärung – und teils auch eine bessere Ausbildung der Beamten für schwierige Lagen.

Nach dem Tod eines 45-jährigen Mannes nach einem Polizeieinsatz in Königs Wusterhausen fordert die Brandenburger Linke-Fraktion Aufklärung im Innenausschuss des Landtags. „Es ist bestürzend, dass es in kurzer Zeit zu einem zweiten Todesfall gekommen ist“, sagte die innenpolitische Sprecherin Marlen Block am Sonntag. Erst im März war ein 34-Jähriger in Senftenberg durch Schüsse aus einer Dienstwaffe der Polizei getötet worden. Es sei schon auffällig, dass es wieder ein Mensch in einer psychischen Ausnahmesituation war, sagte Block.

Wie der Tagesspiegel am Freitag exklusiv berichtete, war der Mann am Dienstagabend in einer Berliner Klinik verstorben. Grund sind nach Einschätzung von Medizinern schwerste Schäden, die dem 45-jährigen Bulgaren durch Brandenburger Beamte zugefügt worden sein sollen. Nun ermitteln Kriminalpolizei und Staatsanwaltschaft in Berlin zur Todesursache. Das Verfahren werde in Berlin geführt, weil der Mann dort gestorben sei. Der Leichnam soll in den nächsten Tagen obduziert werden, um die Todesursache zu ermitteln.

Im Gespräch mit dem Tagesspiegel forderte Linke-Abgeordnete Block, dass Polizisten für Einsätze mit psychisch auffälligen Menschen deutlich besser geschult werden müssen – „und zwar alle Polizisten, die auf der Straße im Dienst sind“. In Kliniken gelinge es dem Personal ja auch, ohne Waffen mit psychisch auffälligen Menschen klarzukommen, sagte Block. Eine bessere Schulung helfe auch Polizisten. Die an den Einsätzen beteiligten Beamten hätten durch die Todesfälle „einen großen Schaden“ erlitten, betonte sie.

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Kein Kommentar von der neuen Polizeibeauftragten

Anja Penßler-Beyer, die Landesvorsitzende des Bundes Deutscher Kriminalbeamter, forderte ebenfalls eine „akribische Aufarbeitung“ des Falles. Bis dahin dürften die Polizisten nicht vorverurteilt werden. „Jeder Einsatz mit einem Toten ist schlimm für die beteiligten Beamten.“ Bei der Frage der Ausbildung widersprach Penßler-Beyer der Linken-Abgeordneten Block allerdings. „Auf den Hochschulen wird viel Wert auf den sensiblen Umgang mit schwierigen Einsätzen gelegt“, sagte die BDK-Landesvorsitzende. Dies geschehe fächerübergreifend.

Brandenburgs neue Polizeibeauftragte Inka Gossmann-Reetz (SPD) wollte sich nicht zu dem Einsatz in Königs Wusterhausen und zur Ausbildung der Beamten äußern. „Kein Kommentar.“

 Inka Gossmann-Reetz, Beauftragte für Polizeiangelegenheiten des Landes Brandenburg.
Inka Gossmann-Reetz, Beauftragte für Polizeiangelegenheiten des Landes Brandenburg.

© dpa/Soeren Stache

Nach offizieller Darstellung der Polizei hatte sich der Bulgare „unberechtigt auf einem Grundstück aufgehalten“ und auf ein Auto eingeschlagen. Dann heißt es im Polizeibericht: „Der Mann war nach der Aufforderung von Polizeibeamten nicht bereit, von seinem Handeln zu lassen. Er verhielt sich aggressiv, biss und war psychisch auffällig. Durch die Polizisten kam Pfefferspray zum Einsatz.“ Der Mann sei dann mit Hilfe von Anwohnern gefesselt worden. „Unmittelbar danach wurde er ohnmächtig, die Handfesseln wurden gelöst, Erste Hilfe geleistet und ein Notarzt hinzugerufen“, schilderte die Polizeidirektion Süd den Vorgang. 

Am Mittwochabend um 17.57 Uhr war Vitali N. im Klinikum Neukölln gestorben. Wie es in der Klinik hieß, müsse der Mann gewaltsam und für längere Zeit mit dem Gesicht in matschige Erde gedrückt worden sein. Er sei an der Erde erstickt. „Zu den dramatischen Folgen des Einsatzes steht in den Polizeimeldungen bisher kein Wort“, kritisierte die Linken-Abgeordnete Block. „Das finde ich mehr als irritierend.“

Kriminologie-Experte sieht unzureichende Ausbildung

Nach den Todesschüssen von Senftenberg, wo ein offenbar psychisch verwirrter Mann mit einem „axtähnlichen Gegenstand“ auf die Polizisten losgegangen sein soll und in der Folge erschossen wurde, hatte Block auf ihre Frage zur Ausbildung der Beamten von Innenminister Michael Stübgen (CDU) diese Antwort bekommen: „Die Studierenden und Auszubildenden werden auch für psychische Erkrankungen sensibilisiert, wobei das Erlernen und Trainieren kommunikativer Deeskalationsstrategien im Vordergrund steht.“ Im Studium für den gehobenen Dienst gebe es die Möglichkeit, „des Besuchs psychiatrischer Einrichtungen und das Kennenlernen der dortigen Patienten“.

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Der emeritierte Professor für Kriminologie, Thomas Feltes, kommentierte den Einsatz der Brandenburger Polizei in Königs Wusterhausen bei Twitter so: „Wieder mal erfolglos Pfefferspay eingesetzt.“ Weiter schreibt er: „Fassen wir mal zusammen: dass die Person psychisch beeinträchtigt war, ist unstrittig. Unstrittig, dass der Mann erstickt ist, weil er mit dem Kopf längere Zeit auf/ in den Boden gedrückt wurde.“ Feltes war von 2002 bis 2019 Inhaber des Lehrstuhls für Kriminologie der Ruhruni Bochum, er beschäftigt sich seit Jahrzehnten mit dem Thema. 2020 hatte Feltes eine Studie veröffentlicht zum „Polizeilichen Umgang mit psychisch gestörten Personen“.

Auch Feltes hält die Ausbildung in Deutschland für unzureichend. In der von ihm veröffentlichten Studie werden Forderungen nach „angemessener Fortbildung und Strukturveränderungen in der Polizeipraxis“ erhoben, zumal auch Polizisten an den Folgen fehlgeschlagener Einsätze bei Menschen mit psychischen Störungen litten.

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