zum Hauptinhalt
Vor zwei Monaten sorgte ein Brandbrief zweier Lehrkräfte einer Schule in Burg für Aufsehen. Seitdem melden mehr Schulen Extremismusvorfälle.

© picture alliance/dpa/Patrick Pleul

Extremismus an Brandenburgs Schulen: „Rechts zu sein, ist bei einigen wieder in“

Meldungen zu rechtsextremen Vorfällen an Brandenburgs Schulen häufen sich – vor allem im Süden. Eine Studie belegt die Situation. Das Bildungsministerium lud zum Fachgespräch – reicht das aus?

Wie kann man demokratiefeindlichen Tendenzen und extremistischen Einstellungen an Schulen begegnen? Über dieses Thema haben sich mehr als 200 Lehrerinnen und Lehrer, Schulräte und weitere Menschen vor allem aus dem Bildungsbereich am Dienstag bei einem Fachgespräch in Cottbus ausgetauscht. Zu dem Treffen hatte das Bildungsministerium Brandenburg eingeladen.

Das Gespräch im Congresszentrum kommt zu einem passenden Zeitpunkt: Nachdem sich vor rund zwei Monaten zwei Lehrkräfte mit einem Brandbrief über rechtsextreme Vorfälle, Mobbing und Gewalt an ihrer Schule in Burg im Spreewald an die Öffentlichkeit wandten, meldeten immer mehr Schulen dem Ministerium extremistisch einzustufende Vorfälle – es sind vor allem Schulen aus Südbrandenburg.

Hotspot für Rechtsextremismus

Die Gegend rund um Cottbus ist seit Jahren ein Brennpunkt von Rechtsextremismus, sagt Brandenburgs Verfassungsschutzchef Jörg Müller beim Gespräch. Das dürfe nach den jüngsten Reaktionen nicht auf die Schulen verengt werden. Es herrsche in Südbrandenburg ein „Geflecht von Rechtsextremisten“, eine „düstere Melange“ aus alten und neuen Rechten, Rockern, Türstehern. Aber sie bilde sich auch in der Wirtschaftsszene ab. „Wir stigmatisieren nicht eine Region“, machte Müller deutlich. Doch die Gegend rum um Cottbus sei bundesweit ein „Hotspot“ für Rechtsextremismus.  

Sie protzen mit ihren großen Karren, mit ihrem Hipster-Lifestyle. Damit imponieren sie vor allem jungen Leuten. 

Jörg Müller, Chef des Brandenburger Verfassungsschutzes, über rechte Akteure

Die Wirkung auf Jugendliche

Dennoch, so Müller, Verschwörungstheorien, Fake-News, rechte Akteure, die sich als Sprachrohr gerierten – das wirke bei jungen Leuten noch viel stärker als bei Erwachsenen. „Sie protzen mit ihren großen Karren, mit ihrem Hipster-Lifestyle“, sagte Müller. Damit imponierten sie vor allem jungen Leuten. „Rechts zu sein, ist bei einigen Schülern heute wieder in. Das muss uns allen eine Warnung sein.“

Gerade die Junge Alternative – die Jugendorganisation der AfD – sei im Umfeld von Schulen sehr aktiv. Der Verfassungsschutz hatte den AfD-Nachwuchs im Frühjahr als rechtsextremistisch eingestuft. Und die Neonazi-Partei „Der III. Weg” verteilte Anfang Mai Flyer vor der Oberschule in Burg, an der die beiden Lehrkräfte arbeiten, die den Brandbrief veröffentlichten.

„Wegschauen, ignorieren, hat noch nie ein Problem gelöst“, so Müller. Vorfälle müssten benannt werden. Wenn Personen Fälle meldeten, habe das keinerlei Makel.

Doch genau das ist für viele Lehrkräfte in Südbrandenburg ein Problem. Das wurde bei einem Treffen von Lehrern, Eltern und Sozialarbeitern vor einigen Wochen in Cottbus deutlich. Das Bündnis „Mehr Demokratie an Schulen“ hatte eingeladen, sich über Vorfälle auszutauschen. Die Lehrkräfte scheuen sich, über Vorfälle zu berichten, weil sie Angst haben, ihnen könnten dienstrechtliche Konsequenzen drohen.

Hinzuhören und die rote Linie zu zeigen, zu diskutieren, aufzuklären, egal ob im Politikunterricht oder im Sportunterricht, das sei wichtig, sagte Regina Büttner, zuständige Referatsleiterin im Ministerium für Demokratiebildung an Schulen. Rechtsextremismus erfordere ein schnelles Handeln. Auf den Einwand des Moderators, Lehrer stünden zeitlich unter Druck, sagte Büttner, sie lasse das Argument Zeit nicht gelten. Das Meldeverfahren sei „ein einfaches Verfahren“.

Das Verfahren bezieht sich auf das Rundschreiben „Hinsehen - Handeln - Helfen“ vom 22. Juni 2021. Demzufolge sind Schulen verpflichtet, Vorfälle mit verfassungsfeindlichen und/oder extremistischen Hintergründen an die Schulämter zu melden.

Konsequenzen für Schulleitung?

Im Fall Burg war bekannt geworden, dass die Schulleitung nicht auf gemeldete Fälle von Hakenkreuzschmierereien auf Schulmobiliar und Nazi-Parolen auf den Schulfluren reagierte. Am Dienstag meldeten sich Lehrkräfte zu Wort und zeigten Unverständnis darüber, dass das Ministerium an der Burger Schulleitung festhalte. Büttner erklärte, dass man sich zur Schulleitung nicht äußern wolle und darüber keine öffentliche Debatte führen werde.

Auch wurde nach einer anonymen Meldestelle des Netzwerks „Tolerantes Brandenburg“ für Lehrkräfte gefragt. Deren neuer Leiter, Alfred Roos, verwies zunächst auf das anonyme Hinweistelefon des Verfassungsschutzes (0331 866-2699). Vorfälle könnten auch beim Netzwerk anonym gemeldet werden. Aber für die Bearbeitung sei es schwierig. „Wir kommen nur rein in die Schule, wenn wir auch eingeladen werden“, sagte Roos. „Beratung findet immer freiwillig statt.“ Roos sagte, die Schulleitungen sollten Sprechstunden einrichten, „eine Ansprechbarkeit signalisieren“ und solche Themen mit in Elternsprechstunden nehmen. Er sagte aber auch: „Wir arbeiten alle vertraulich“. So wie auch Beratungsstellen wie die Opferperspektive. Damit blieb eine klare Antwort offen.

Freiberg besucht Burg

Brandenburgs Bildungsminister Steffen Freiberg (SPD) hatte am Morgen vor dem Fachgespräch die Burger Oberschule besucht und mit Eltern, Lehrkräften, Schülern und dem Amt Burg gesprochen. Eine Lehrkraft bezeichnete das Gespräch als „sehr produktiv“, auch wenn es mit nur rund 30 Minuten etwas kurz gewesen sei. Freiberg verspätete sich zum anschließenden Fachgespräch.

Der Brandbrief-Verfasser und Lehrer an der Oberschule in Burg, Max Teske hatte Kritik daran geäußert, dass sich seit dem Brandbrief nichts verändert habe. Der Deutschen Presse-Agentur sagte Teske, es gebe keine Maßnahmen und auch keine wirklichen Ziele. Das Kollegium sei tief gespalten, Lehrkräfte grüßten ihn und seine Kollegin zum Teil nicht mehr. Im Kollegium herrsche Unsicherheit und eine gespaltene Stimmung, beschreibt der Lehrer. „Nichts, ganz einfach nichts kommt“, sagte er. „Ich finde das höchst fatal.“

Freiberg sagte beim Fachgespräch, Extremismus sei ein Thema an Schulen, aber kein Schulthema allein. Gesellschaftliche Entwicklungen träten in die Schule hinein. „Schule ist der Spiegel der Gesellschaft.“ Aber Schule könne auch Gesellschaft verändern. „Scheuen sie sich nicht, zu handeln. Melden Sie Vorfälle und holen Sie sich Hilfe. Es gibt sie.“ Aber es seien die Lehrkräfte, die zuerst reagieren müssten. „Wir können Ihnen das nicht abnehmen.“ Ihm sei im Zuge der Debatten aufgefallen, dass das Rundschreiben vom Juni 2021 überarbeitet werden müsse.

Steffen Freiberg (SPD), Brandenburgs Minister für Bildung, Jugend und Sport

© dpa/Christoph Soeder

Freiberg verwies an verschiedene Institutionen, die helfen – wie den Verfassungsschutz, das Brandenburgische Institut für Gemeinwesenberatung sowie mehr als 420 außerschulische Lernorte in Brandenburg, Berlin und Polen, die Schulen besuchen könnten. Er rief dazu auf, das Fachgespräch zu nutzen, um sich zu vernetzen.

Am Dienstag wurde auch die Studie „Jugend in Brandenburg 2022/2023“ vorgestellt, mit dem Themenkomplex Rechtsextremismus und Ausländerfeindlichkeit. Die Studie, für die von November bis Januar 3142 Schülerinnen und Schüler an 36 allgemeinbildenden Schulen und Oberschulzentren befragt worden sind, erhob erstmals auch Aussagen zu Diskriminierungserfahrungen. Laut der Studie haben rund ein Drittel der ausländischen Schüler Diskriminierungserfahrungen gemacht.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false