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Der Truppführer Munitionslager Monty Neider auf dem ehemaligen Truppenübungsplatz in der Kyritz-Ruppiner Heide an Munitionsteilen.

© dpa/Jens Kalaene

Erbe aus Sowjet-Zeiten: Brandenburg wird Streumunition nicht los

Im Ex-Bombodrom in der Kyritz-Ruppiner Heide übte die sowjetische Armee, wie man Bomben abwirft. Bis 2025 soll das Areal geräumt sein. Doch der Zeitplan wackelt.

Von Monika Wendel, dpa

Der Metalldetektor dicht über dem Waldboden piepst unentwegt. Die Sondengänger suchen Meter für Meter ab - im Auftrag des Bundes. Der einstige sowjetische Truppenübungsplatz in der Kyritz-Ruppiner Heide zwischen Berlin und Hamburg muss von alter Streumunition befreit werden, die nirgendwo sonst noch in Deutschland liegt. Sie gilt als tückische Kriegswaffe und ist international geächtet.

Bis 2025 soll die Räumung von Streumunition auf dem Areal im Nordwesten Brandenburgs, das unter dem Namen Bombodrom bundesweit bekannt wurde, beendet sein. Doch der Zeitplan wackelt. „Es kann sein, dass wir es nicht schaffen“, sagt der Leiter des Bundesforstbetriebs Westbrandenburg, Rainer Entrup. Er betreut die Fläche im Eigentum der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben.

Rund 200 Frauen und Männer sind für die Munitionsbergung auf dem Gelände im Einsatz. Das sowjetische Militär nutzte den früheren Luft-Boden-Schießplatz Jahrzehnte lang. Dort übten sie unter anderem das Abwerfen von Bomben aus Flugzeugen und setzten Streumunition russischer Bauart ein.

Mit Metalldetektoren und Spaten arbeiten die Munitionsberger Andrea Lehmann und Tobias Bier an der Kampfmittelbergung auf dem ehemaligen Truppenübungsplatz in der Kyritz-Ruppiner Heide.

© dpa/Jens Kalaene

„Hier ist alles geschossen worden, was die russische Armee in den letzten 40 Jahren zur Verfügung hatte. Das Gelände ist komplett voll mit Metall“, sagt Entrup. Die Sondengänger, die für die Munitionssuche zuerst exakte Parzellen am Boden abstecken, finden viele Splitter von Raketen und Granaten und Unmengen der weiterhin gefährlichen Streumunition, die von der Größe an einen Tennisball erinnert und beinahe harmlos aussieht.

.Als Streumunition werden Raketen und Bomben bezeichnet, die in der Luft über dem Ziel bersten und viele kleine Sprengkörper großflächig freisetzen und verstreuen. Umstritten ist sie vor allem, weil ein erheblicher Teil nicht detoniert, sondern als Blindgänger im Boden bleibt und so die Bevölkerung gefährdet. Zuletzt ist eine Debatte um den Einsatz von Streuwaffen im russischen Angriffskrieg auf die Ukraine neu entbrannt. Deutschland und mehr als 100 weitere Staaten sind vor über zehn Jahren einem Vertrag zur Ächtung von Streumunition beigetreten, dem sogenannten Oslo-Übereinkommen. Alle Bundeswehr-Bestände dieser Waffen sind seitdem laut Bundesregierung vernichtet.

Streumunition aus russischer Produktion auf dem ehemaligen Truppenübungsplatz in der Kyritz-Ruppiner Heide.

© dpa/Jens Kalaene

„Da sieht man kein Ende“, sagt Monty Neider von einem Unternehmen zur Kampfmittelbergung. Der frühere Elektriker ist als Truppführer fürs Munitionslager zuständig, in dem die explosiven Funde teils in hitzegekühlten Containern aufbewahrt werden. Fast jede Woche wird Material gesprengt. Rund 6000 Stück Streuwaffen haben Kampfmittelräumer von zwei Fachfirmen auf der 1100 Hektar großen Verdachtsfläche bereits gefunden. Auch gepanzerte Bagger sind im Einsatz. Die Kosten bislang? Laut Entrup sind es rund 200 Millionen Euro.

Durch jahrelange Bürger-Proteste bundesweit bekannt

In der Kyritz-Ruppiner Heide sind Verzögerungen einkalkuliert, wie der Leiter des Bundesforstbetriebs, Entrup, sagt. „Störfaktoren gibt es reichlich. Man weiß nie, was man findet, und ob wieder Bäume gefällt werden müssen oder sich Verfahren ändern.“ Vom Auswärtigen Amt hatte es vor zwei Jahren geheißen: „Da die in der Konvention auf zehn Jahre festgelegte Räumverpflichtung Ende 2020 auslief, hat Deutschland einen entsprechenden Verlängerungsantrag bis August 2025 gestellt, der genehmigt wurde.“

Das Ex-Bombodrom ist bundesweit vor allem auch wegen 17 Jahre dauernder Bürger-Proteste in Erinnerung. „No bombs“ - diese Worte hatten Trauben von Menschen einst mit ihren Körpern geformt. Sie wehrten sich gegen Pläne der Bundeswehr, nach dem Abzug der sowjetischen Truppen das Gebiet zu Übungszwecken für die Luftwaffe zu nutzen. Im Sommer 2009 konnte die Protestbewegung jubeln: „Die Heide ist frei.“

Wegen der Munitionsbelastung ist fast das ganze 120 Quadratkilometer große Wald- und Heidegebiet nach wie vor gesperrt. Ein kleiner Teil von etwa 900 Hektar ist für die Öffentlichkeit gefahrlos zugänglich.

Inzwischen ist zum Wandern, Radfahren und für Kutschfahrten ein 13 Kilometer langer Weg auf dem ehemaligen Truppenübungsplatz freigegeben. Tagestouristen besuchen die Kyritz-Ruppiner Heide - eine der größten Heideflächen Deutschlands, die gerade im August und September kräftig lila blüht. Die Heinz Sielmann-Stiftung, die einen Teil der Naturlandschaft übernommen hat, nennt die Heide Jahrzehnte nach dem Fluglärm einen „Ort der Ruhe“. Dort leben rund 2000 Arten. „Statt Kampfjets fliegen hier nun Trauermantel und Bläulinge“, beschreibt es die Stiftung. (dpa)

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