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Im Angriffsmodus. Beim RSV Eintracht 1949 in Stahnsdorf trainieren die Basketballer im Rollstuhl zweimal pro Woche. In Potsdam gibt es bislang keine Halle, die für Rollstuhl-Mannschaftssport ertüchtigt ist. Die Grünen-Fraktion will das ändern, aber das Rathaus bremst.

© RSV

Barrierefreiheit in Potsdam: Stadt sieht keinen Bedarf für behindertengerechte Sporthalle

Die Grünen-Fraktion will eine behindertengerechte Sporthalle. Bei der Stadt sieht man keinen Bedarf dafür.

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Potsdam zeigt sich gern als Sportstadt und ist stolz auf seine Spitzensportler und die vielen Aktiven in den Vereinen. Doch nicht alle fühlen sich dabei mitgenommen. Für Potsdamer mit körperlichen oder geistigen Beeinträchtigungen fehlt es an Angeboten, aber auch Räumlichkeiten. Das sagt die Grünen-Stadtverordnete Ingeborg Naundorf. Ihre Fraktion hat im Stadtparlament einen Antrag eingebracht, um in Potsdam wenigstens eine Sporthalle für den Mannschaftssport für Rollstuhlfahrer zu ertüchtigen. Derzeit stehe keine solche Halle zur Verfügung, die den Anforderungen genüge, heißt es in der Begründung.

„Das fängt schon bei der Anreise an“, erklärt Naundorf, die die Situation von Eltern mit behinderten Kindern aus eigener Erfahrung kennt. Die Sporthalle müsse mit der Tram oder der Bahn erreichbar sein, eine Busanbindung allein reiche nicht: Denn in Bussen haben jeweils nur ein bis zwei Rollstuhlfahrer Platz. „Dann müssten sie zwei Stunden vorher mit der Anreise anfangen“, fasst Naundorf das Problem für eine Rolli-Mannschaft zusammen. Die nächste Hürde: Zwar seien viele Hallen barrierefrei zugänglich, aber eben nicht für Rolli-Sport ertüchtigt. Oft etwa seien die Umkleiden über Treppen zu erreichen und es gebe nur einen Lift – „aber dann haben Sie acht Rollifahrer, die nach dem Spiel duschen gehen wollen“. Dass es in Potsdam keine solche Halle gibt, hält Naundorf für ein Armutszeugnis. Die Stadtverordneten haben den Grünen-Antrag zunächst zur Beratung in die Ausschüsse verwiesen.

KiS und Stadtverwaltung sehen keinen Bedarf

Die Stadtverwaltung und der Kommunale Immobilien Service (KIS) sehen den Bedarf nach einer solchen Halle allerdings nicht. Es habe seit Oktober 2014 keine Anfragen von Rollstuhlfahrern danach gegeben, sagte Stadtsprecher Markus Klier den PNN. Die vorhandenen Umkleiden und Sanitäreinrichtungen insbesondere in den neuen Hallen wie etwa an der Schule in der Esplanade und in der Kurfürstenstraße „dürften in der Regel“ für eine Nutzung durch Sportler im Rollstuhl „ausreichend sein“, so der Sprecher. Von den 41 Turnhallen, die der KIS betreut, seien zehn „barrierearm oder barrierefrei“, so Klier. Die Kosten für den Ausbau einer Halle für den Rolli-Mannschaftssport könne man nicht beziffern, da sie von vielen Rahmenbedingungen abhängig seien. Klier verweist außerdem auf den städtischen Behindertenbeauftragten Christoph Richter, laut dessen Aussage „keine Beschwerden oder Hinweise von rollstuhlfahrenden Sportler/innen“ bekannt seien. Das widerspricht dem von Richter 2016 mit erarbeiteten Zwischenbericht zum lokalen Teilhabeplan: Dort heißt es, da nur 18 der insgesamt 114 Sportanlagen uneingeschränkt durch Menschen mit Behinderungen nutzbar seien, gebe es in diesem Bereich „einen großen Handlungsbedarf“.

Christian Gerber, der beim SC Potsdam den Bereich Behindertensport leitet, sieht zwar Bedarf für eine auch für den Rolli-Mannschaftssport geeignete Halle, „aber nicht in dem hohen Maße, wie man sich das vielleicht vorstellen würde“. Der SC Potsdam habe zum Beispiel gar keine Rolli-Gruppe, die Mannschaftssport ausübt. Momentan gebe es zwei Behindertensportgruppen: In einer spielen Menschen mit und ohne Behinderungen Fußball, in der zweiten gehe es um Gymnastik. Das Problem sei, dass die Wünsche der Menschen mit Behinderungen breit gefächert seien: „Der eine will Basketball spielen, der andere tanzen, der dritte wieder etwas ganz anderes.“ Naundorf hält dagegen: „Genauso soll es ja sein!“

Die Grünen-Politikerin kann die Argumentation der Stadt nicht nachvollziehen. „Man darf das Pferd nicht von hinten aufzäumen – man muss das Angebot machen, dann kommen die Leute auch“, ist sie sich sicher. Mit dem Behindertenbeauftragten habe sie zudem bereits vor Monaten an einem Abfragebogen für Menschen mit Behinderungen gearbeitet: „Das Ergebnis kennen wir leider immer noch nicht“, kritisiert sie. Auf der Homepage der Stadt ist die Veröffentlichung für Herbst/Winter 2017 angekündigt.

„Wir würden uns wünschen, dass man zumindest versucht, das bestehende Sportangebot für Menschen mit Behinderung zu öffnen“

Ein Problem sind laut Naundorf auch die fehlenden Trainingsangebote. Sie wünsche sich ein Umdenken in den Vereinen und die Offenheit, probeweise auch inklusive Angebote zu machen – also Gruppen, in denen Menschen mit und ohne Behinderung gemeinsam trainieren. Derzeit sei es Zufall, ob man auf einen Trainer stößt, der dazu bereit ist, sagt Naundorf.

Mit ihrer zwölfjährigen Pflegetochter, die von einer geistigen Behinderung betroffen ist, fahre sie mittlerweile jeden Samstag in eine inklusive Sportgruppe in Kleinmachnow, die der RSV Eintracht 1949 e. V. anbietet. „Da sind mittlerweile sieben Kinder aus Babelsberg und vom Stern dabei, die wir in Fahrgemeinschaften in zwei Autos dort hinbringen“, erzählt sie. Die Trainerin sei eine Mutter von der Oberlinschule, die zuvor in Potsdam vergeblich nach einem Angebot für ihr Kind gesucht und schließlich die Initiative ergriffen habe. Beim RSV könne ihre Tochter auch bei den Cheerleadern mittrainieren, sagt Naundorf – das sei in Potsdam nicht möglich gewesen. Ähnliche Erfahrungen machen auch Erwachsene. Eine betroffene Rollstuhlfahrerin, die ihren Namen nicht in der Zeitung lesen möchte, fasst das Dilemma wie folgt zusammen: „Wenn unsereins ein sportliches Interesse hat, muss er die Gruppe immer erst selbst gründen – ich beneide Leute, die einfach irgendwo hingehen und sich anmelden können.“

Rückendeckung bekommen die Betroffenen von Nicole Stäbler, der Leiterin der Geschäftsstelle des Allgemeinen Behindertenverbandes Land Brandenburg e. V. (ABB). „Wir würden uns wünschen, dass man zumindest versucht, das bestehende Sportangebot für Menschen mit Behinderung zu öffnen“, sagte sie den PNN. In Potsdam als Sportstadt würden viele Fördergelder in den Sport fließen: „Warum also nicht punktuell auch verbunden mit der Zielgruppe Menschen mit Behinderungen?“ Nach der UN-Behindertenrechtskonvention und dem Bundesteilhabegesetz erwarte sie, dass die Stadt dabei auch die Initiative ergreife.

Laut Stadt sind derzeit 656 Sportler mit Behinderungen in drei Vereinen gemeldet. Dabei handele es sich zum großen Teil um Reha-Sportler, die überwiegend in Schwimmhallen trainieren. In Potsdam leben mehr als 16 000 Menschen mit einer schweren Behinderung. 

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