zum Hauptinhalt
Unter Mordverdacht. Der Angeklagte zu Prozessbeginn.

© R. Hirschberger/dpa

Mord an Glindower: Viel Geld, viel Alkohol und viele offene Fragen

Im Indizienprozess um die Ermordung des Glindowers Joachim L. wird am morgigen Freitag das Urteil erwartet. Ein Überblick.

Werder (Havel) - Ein gelbes Haus an einer viel befahrenen Straße. Halb geöffnete Jalousien, Herzchen an den Fensterscheiben. Hier wohnte Joachim L. Vor acht Jahren kam der Glindower auf mysteriöse Weise ums Leben, vermutlich in Tschechien, durch einen Schuss in den Hinterkopf. Des mutmaßlichen Mordes angeklagt ist sein Geschäftsfreund Hans-Dieter V. Seit Mitte Juni beschäftigt der Fall, in dem es Indizien, aber kaum Beweise gibt, die erste Große Strafkammer des Potsdamer Landgerichts. Für Freitag wird das Urteil erwartet. Die Staatsanwaltschaft forderte in ihrem Plädoyer am Montag lebenslängliche Haft für den Angeklagten. Dessen Verteidiger plädierte auf Freispruch. Die PNN fassen die bisherigen Erkenntnisse zusammen:

Was ist über das Opfer bekannt?

Joachim L., bei seinem Tod 55 Jahre alt, wurde von Zeugen als gutmütig, aber auch sehr genau beschrieben. Er soll zurückgezogen und unauffällig gelebt haben. Nach zwei gescheiterten Beziehungen wohnte er allein. Der Brunnenbauer hatte ein knappes Jahr vor seinem Tod rund eine halbe Million Euro geerbt. Mehrere Hunderttausend Euro transferierte er mit Hilfe des Angeklagten auf Konten in Polen. Zudem soll er Teilhaber eines in Kasachstan tätigen Unternehmens sein. Eine von dort verfolgte Geschäftsidee habe ihn „geradezu verblendet“.

Wer ist der Angeklagte?

Der 60-jährige Potsdamer handelte seit Ende der 1980er Jahre mit Werkzeugen, später auch mit Bahnteilen. Von 2006 bis 2014 soll er den Potsdamer Verkehrsbetrieb mit kostengünstigen Radreifen versorgt haben. 2005 gründete er mit zwei Geschäftspartnern das in Kasachstan tätige Unternehmen, in das 2007 auch der Glindower Joachim L. einsteigt. Der psychologische Gutachter beschreibt Hans-Dieter V. als intelligent, redegewandt und überzeugend. Bei seinen Angaben sei aber Vorsicht geboten. Er wisse Menschen für sich einzunehmen und zu manipulieren.

Was wird Hans-Dieter V. vorgeworfen?

Die Anklage lautet auf Mord aus Habgier. Unter Vorspielen falscher Tatsachen soll sich Hans-Dieter V. am Geld seines Geschäftsfreundes bereichert haben. Als Indiz führte die Anklage einen Darlehensvertrag an, dem eine nicht gedeckte Risikolebensversicherung als Sicherheit beilag. Vermutlich floss das „geliehene“ Geld, rund 330 000 Euro, auf das gemeinsame Konto in Polen. Der Mord soll sich während einer Geschäftsreise nach Tschechien ereignet haben. Beide Männer waren am 9. Juni 2009 nach Krakau und Ostrava gefahren, zurück kam Hans-Dieter V. allein. Kurz nach der Reise löste der Potsdamer das gemeinsame Firmenkonto in Polen auf und überwies das verbliebene Geld auf seine Konten.

Was sagt der Angeklagte?

Hans-Dieter V. bestreitet die Tat. Er will den Freund nach dem Geschäftstermin in Ostrava an einem Busbahnhof abgesetzt haben. Joachim L. soll am Abend zuvor in einer Bar eine Frau kennengelernt haben und wegen ihr noch geblieben sein. Der Angeklagte sei dann gegen 13.30 Uhr nach Breslau in Polen zu Bekannten weiter gereist. Das Darlehen sei fingiert gewesen, um die Geldflüsse glaubhaft darzustellen. Um die Auflösung des Kontos in Polen hätte ihn der Glindower, noch bevor sie sich in Ostrava getrennt hätten, gebeten.

Was ist offenkundig belegbar?

Zweifellos war es ein Mord. Joachim L. ist mit einer kleinkalibrigen Waffe von hinten aus nächster Nähe in den Kopf geschossen worden, der Leichnam wurde später mit Zweigen bedeckt. Am 2. Juli 2009 wurde er von einem Pilzsammler in einem Waldstück zwischen den Orten Suchá Rudná und Ostrava entdeckt. Ermittelt wurde, dass die beiden Geschäftsfreunde am 9. Juni 2009 im Hotel Imperial in Ostrava eingecheckt hatten, auch der Geschäftstermin am nächsten Morgen bestätigte sich. Die Hotelrechnung wurde laut Rechnungsbeleg am 10. Juni 2009 um 11.49 Uhr bezahlt. Um 16.30 Uhr, so bestätigte die polnische Bekannte, sei Hans-Dieter V. in Breslau eingetroffen. Die Fahrzeit über die Autobahn, die er genommen haben will, beträgt etwa zweieinhalb bis drei Stunden.

Welche Fragen sind offen?

Viele. Nicht ermittelt werden konnte, ob der Fundort der Leiche auch der Tatort ist. Wenn es so wäre, ist es nicht auszuschließen, dass dem Angeklagten der Mord zeitlich möglich war. Auch der Weg über die Landstraße, in deren Nähe die Leiche gefunden wurde, führt nach Breslau. Die Fahrt dauert etwa eine Stunde länger als über die Autobahn. Allerdings: Später müsste sich der Angeklagte der Reisetasche des Opfers, seiner Jacke und persönlicher Dokumente entledigt haben. Von diesen Dingen fehlt ebenso jede Spur wie von der Tatwaffe. Ungeklärt ist auch, wie Joachim L. zum extrem hohen Alkoholpegel kam. Abzüglich der dem Verwesungsprozess zuzuschreibenden Prozente sollen bei Untersuchung des Leichnams mehr als drei Promille festgestellt worden sein. Das entspricht einer Menge von mindestens einer halben bis einer Flasche Wodka, die Joachim L. kurz vor seinem Tod getrunken haben müsste.

Welches Urteil ist zu erwarten?

Verteidiger Hagen Wegewitz verfolgte von Beginn an einen Freispruch, weil der Mord nicht zweifelsfrei zu beweisen sei. Im Falle einer Verurteilung droht Hans-Dieter V. lebenslange Haft. Muss er sich ausschließlich für die mutmaßliche Veruntreuung der Gelder seines Geschäftsfreundes verantworten, verringert sich das Strafmaß. Untreue wird mit einer Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren oder einer Geldstrafe geahndet. Zu berücksichtigen sind die Vorstrafen des Angeklagten. Hans-Dieter V. wurde bereits zweimal verurteilt. Er soll Rechnungen fingiert und eine falsche eidesstattliche Versicherung abgegeben haben.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false