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Spritzen mit dem Impfstoff von Biontech.

© REUTERS/Leonhard Foeger

„Das Chaos war vorhersehbar und vermeidbar“: Österreichische Länderchefs verärgert über Impfpflicht-Umsetzung

Seit fast einer Woche ist die Impfpflicht in Österreich in Kraft. Es mangelt jedoch an einem bundesweiten Meldeportal. Nicht der einzige Kritikpunkt der Länder.

Nicht einmal eine Woche ist die allgemeine Impfpflicht in Österreich für alle Erwachsenen in Kraft. Und schon mehren sich kritische Stimmen, die die Verhältnismäßigkeit und die Umsetzung des Gesetzes infrage stellen.

Die Impfpflicht gilt seit vergangenem Samstag. Ausnahmen gibt es für Schwangere und diejenigen, die sich aus gesundheitlichen Gründen nicht impfen lassen können. Auch Genesene sind für 180 Tage von der Impfpflicht befreit.

Kontrolliert werden soll die Einhaltung der Impfpflicht erst ab Mitte März. Danach drohen Impfverweigerern hohe Geldstrafen, die bei einer nachgeholten Immunisierung binnen zwei Wochen aufgehoben werden.

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Salzburgs Landeshauptmann Wilfried Haslauer (ÖVP) etwa plädiert aber dafür, Impfunwillige vorläufig nun doch nicht zu bestrafen. „Das Gesetz bleibt ja weiter. Es wird sozusagen nur nicht scharfgestellt. Es ist wie ein Werkzeugkoffer. Dieser ist vorhanden. Derzeit ist aber das Gebrechen nicht da und daher braucht man ihn nicht öffnen“, sagte Hauslauer dem ORF.

Er forderte außerdem eine Überprüfung, ob die Impfpflicht noch geeignet sei, um eine Überlastung des Gesundheitssystems zu verhindern. Mit Blick auf den Herbst, in dem womöglich die Zahl der Corona-Fälle und Krankenhauspatienten dann wieder zunehmen könnte, sagte er: „Man kann nicht mit einem ungewissen Ereignis die Notwendigkeit einer Impfpflicht argumentieren.“

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Kritik äußerten nicht nur Haslauer, sondern auch andere Länderchefs daran, dass es kein zentrales Impfregister gebe. Das müssten die Bundesländer selber organisieren. Ebenso mangele es an einem einheitlichen Vorgehen bzw. an einer Plattform, die die Menschen mit einer Impfpflichtbefreiung registriere. Die Rede ist immer wieder von einem administrativen Chaos. Verantwortlich machen sie dafür auch Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein von den Grünen.

Kärntens Landeshauptmann Peter Kaiser (SPÖ) sprach diese Woche in einer Pressekonferenz von "Kindesweglegung". Man fühle sich von der Regierung im Stich gelassen und habe nun mit den Bundesländern eine Koordinationsgruppe eingerichtet. Gesundheitsreferentin Beate Prettner (SPÖ) sagte: „Als Bundesländer sind wir erbost über die Vorgangsweise des Ministeriums.“ Es gebe zu viele offene Fragen. Gesundheitsminister Mückstein sei zu deren Klärung aber nicht erreichbar, hieß es.

Landeshauptmann Kaiser merkte ähnlich wie sein Kollege aus Salzburg Zweifel an der Verhältnismäßigkeit der Impfpflicht an: „Ich halte es für notwendig, dass, bevor es zu irgendeiner ersten Strafe oder Sanktion kommt, die Verhältnismäßigkeit der Impflicht von einer dafür vorgesehen Kommission, die im Gesetz festgehalten ist, überprüft wird.“

„Das Chaos bei Impfbefreiungen war vorhersehbar und vermeidbar“

Burgenlands SPÖ-Landeshauptmann Hans Peter Doskozil forderte eine neue Strategie der österreichischen Regierung. "Die Länder haben mehrfach gefordert, dass es eine bundeseinheitliche Regelung dieser Frage geben muss. Jetzt stellt sich heraus, dass ein bundesweites Online-Portal nicht vor Ende April fertiggestellt werden kann. Stattdessen wälzt der Bund die Verantwortung an die Länder ab und lässt sie selbst in Vorlage treten", sagte Doskozil dem ORF.

Auch der Linzer Bürgermeister Klaus Luger (SPÖ) kritisierte das Gesundheitsministerium: "Das Chaos bei Impfbefreiungen war vorhersehbar und vermeidbar."

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Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein (Grüne) bekräftigte am Donnerstag allerdings, am Zeitplan festhalten zu wollen. "Das Impfpflichtgesetz, das durch einen breiten gesellschaftlichen und politischen Konsens entstanden ist, soll uns als Gesellschaft bestmöglich auf etwaige kommende Wellen der Pandemie vorbereiten. Die Pandemie wurde bereits einmal vorschnell für beendet erklärt – ein Fehler, der nicht wiederholt werden darf", sagte er gegenüber dem österreichischen "Kurier".

Am 15. März wolle man mit den Polizeikontrollen beginnen. Eine Kommission solle die Impfpflicht dann laufend evaluieren.

Impflotterie kommt doch nicht

Die Regierung in Wien wollte eigentlich als Anreiz zudem eine „Impflotterie“ für alle Geimpften starten. Verlost werden sollten Gutscheine über 500 Euro, die in Geschäften, Restaurants, Hotels, Kultur- und Sporteinrichtungen eingelöst werden können.

Jeder zehnte Geimpfte hätte die Chance auf einen Gutschein gehabt. Das Vorhaben wurde aber zurückgestellt. Der öffentlich-rechtliche Rundfunksender (ORF), der die Lotterie organisieren sollte, äußerte organisatorische und rechtliche Bedenken.

Unterdessen bahnen sich in Österreich weitere Lockerungen der Corona-Beschränkungen an. Am nächsten Mittwoch will sich die Regierung nach eigenen Angaben mit den Ministerpräsidenten der Bundesländer zu entsprechenden Beratungen treffen. „Wir haben immer gesagt, dass wir Einschränkungen nur so lange wie unbedingt nötig aufrechterhalten“, sagte Kanzler Karl Nehammer (ÖVP) am Freitag.

Die Infektionszahlen seien zwar nach wie vor hoch, die Belastung der Normal- und Intensivstationen aber seit Wochen stabil. Branchenvertreter dringen auf ein Ende der Sperrstunde um 24 Uhr sowie auf weitere Lockerungen zum Beispiel bei Fitness-Studios und den Wellness-Bereichen von Hotels.

Ab 19. Februar wieder 3G-Regel in der Gastronomie

Bereits an diesem Samstag fällt unter anderem die 2G-Regel in allen Geschäften und in den Museen. Nach 13 langen Wochen ende gerade noch rechtzeitig vor dem Valentinstag (14. Februar) ein „unrühmliches Kapitel der österreichischen Handelsgeschichte“, sagte der Geschäftsführer des Handelsverbands, Rainer Will.

Die pandemiebedingt angeschlagene Branche hoffe dadurch auf Mehrumsätze von rund 200 Millionen Euro pro Woche. Für den 19. Februar ist bisher geplant, dass in der Gastronomie wieder die 3G-Regel gilt. Damit hätten auch lediglich negativ Getestete wieder Zutritt zu den Lokalen. Ausnahme ist Wien, das an der 2G-Pflicht in der Gastronomie festhalten will. Österreich hat mit rund 2500 Fällen pro 100.000 Einwohnern eine fast doppelt so hohe Sieben-Tage-Inzidenz wie Deutschland. (mit Agenturen)

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