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Parteifreunde, oder Feinde? Hendrik Wüst, Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, und der CDU-Bundesvorsitzende Friedrich Merz.

© Michael Kappeler/dpa

Parteifreunde, das war einmal: Merz gegen Wüst – in der CDU bricht der Machtkampf aus

Die CDU startet das politische Sommertheater: Der Parteichef attackiert den wichtigsten Ministerpräsidenten. Dahinter steckt auch ein Richtungsstreit in der Partei.

Das ist kein Ausrutscher, kein verbales Versehen. Zur besten Sendezeit, am Sonntagabend, attackiert der CDU-Vorsitzende seinen Parteifreund, den nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten Hendrik Wüst. Friedrich Merz beklagt eine „große Verunsicherung in der Bevölkerung in ganz Deutschland, übrigens auch in Nordrhein-Westfalen“.

Doch damit nicht genug. Merz verweist auf Umfragewerte in der Sonntagsfrage („Was würden Sie wählen, wenn am Sonntag Wahl wäre?“). Er widmet sich also der Stimmung in seinem Heimat-Bundesland, ohne danach gefragt worden zu sein: „Wenn wir heute in NRW Landtagswahlen hätten, wäre die AfD fast so stark wie im Bund“, sagt er: „Die Unzufriedenheit auch in den Ländern, auch leider in NRW […]  mit der Landesregierung ist fast genauso groß wie mit der Bundesregierung.“

In NRW, muss man wissen, regiert die CDU. Wüst hatte erst im vorigen Jahr die Wahl im größten Bundesland gewonnen, mit 36 Prozent, besser als zuvor. Die nächste NRW-Wahl, über die Merz fantasiert, dürfte 2027 stattfinden. Es ist also schon bemerkenswert, auf welcher Faktenlage der CDU-Bundesvorsitzende den wichtigsten Regierungschef seiner Partei schlechtredet.

Ausgelöst hat Merz’ Urteil die Frage, die ZDF-Moderator Theo Koll an ihn gerichtet hatte. Koll sprach ein Thema an, das Merz offenbar bewegt, ja umtreibt. Nämlich den Umstand, dass Wüst eine CDU-Kanzlerkandidatur 2025 nicht ausschließt. „Meine Aufgaben liegen aktuell in Nordrhein-Westfalen“, hatte Wüst jüngst der „Rheinischen Post“ gesagt. Aktuell. Damit hält sich Wüst alle Möglichkeiten offen. Eigentlich eine Banalität, denn ein Ministerpräsident, der gut 18 Millionen Menschen regiert, muss sich zutrauen, gut 80 Millionen Deutsche zu regieren. Sonst ist er sogleich eine lahme Ente.

Hinter dem Zoff zwischen Merz und Wüst steht mehr als ein Wettbewerb zwischen zwei arg selbstbewussten Westfalen. Während sich Merz seit jeher an Angela Merkel und ihrer Regierungszeit abarbeitet, sieht Wüst in ebendieser Politik – und dem damit verbundenen Politikstil – ein Rezept zum Machterhalt.

Inszenierung als Staatsmann und Präsident von NRW

Dabei versteht es Wüst, sich einerseits als Staatsmann und als über den Parteien schwebender Präsident von NRW zu inszenieren, zuweilen an der Seite des Kanzlers. Andererseits zeigt er eine Gabe darin, seinen Landsmann und Parteifreund Merz zu piesacken. So schrieb Wüst jüngst einen Gastbeitrag in der „FAZ“ (wie es einst Merkel getan hatte, um mit Helmut Kohl zu brechen). „Das Herz der CDU schlägt in der Mitte“, war der Text überschrieben, und er enthält gleich mehrere Spitzen gegen Merz.

So habe Merkel „durch eine Politik von Modernität, Mitte und Ausgleich [...] die Regierungs- und Mehrheitsfähigkeit der CDU“ gesichert. Sein Fazit also, unter Verweis auf das Schicksal anderer christdemokratischer Parteien in Europa: Ohne Merkel keine CDU. Erst kürzlich verlieh Wüst Merkel den NRW-Staatspreis. Merz soll getobt haben. Er sieht seine Partei von 16 Jahren Kanzlerin Merkel belastet, will „durchlüften und erneuern“.

Gender, Zigeunerschnitzel, Liederabende

Wüst ist also der Anti-Merz. Sein Loblied auf die Mitte wird noch etwas spitzer, indem er schreibt: „Wer nur die billigen Punkte hervorhebt und sich mit den Populisten gemeinmacht, legt die Axt an die eigenen Wurzeln und stürzt sich selbst ins Chaos.“ Ein Wink an Merz, der derzeit am liebsten über Gendersprache herzieht und jüngst Ex-Eisschnellläuferin Claudia Pechstein für eine wirre Rede vor dem CDU-Konvent feierte?

„Brillant“ nannte Merz den holprig vorgetragenen Auftritt Pechsteins in Polizei-Uniform. Er applaudierte Pechstein, während Ex-Innenminister Thomas de Maizière sich die Brille abnahm. Etliche in der CDU kritisieren Pechstein, ihre Worte, ihr Auftreten. Da entwickelt sich gerade ein kleiner Kulturkampf. Nebenbei: Mit der Rhetorik à la Merz und Pechstein verschließt die CDU ihre Tür zu den Grünen. Wüst hat eben erst eine Regierung mit ebenjenen gebildet.

34
Prozent sind der Meinung, Merz mache seine Arbeit gut, ermittelte Insa für die „Bild am Sonntag“.

Als wäre all dies nicht genug, würdigte Merz im ZDF die Erdinger Demo gegen das Heizungsgesetz, die in seiner Partei auf Kritik gestoßen war. Ob sich Merz, 67, der in seinem Leben noch kein einziges Regierungsamt bekleidet hat, mit diesem Kurs die Kanzlerkandidatur sichert? Oder stärkt er so nicht ungewollt den 20 Jahre jüngeren Wüst? Dessen Machtbewusstsein sollte niemand unterschätzen.

„Wenn Friedrich es will, wird er Kanzlerkandidat“, heißt es in der CDU. Doch diverse Umfragen bescheinigen Merz eine geringe Popularität. So unbeliebt Ampel und Kanzler gerade sind, Merz ist dennoch unbeliebter als Olaf Scholz (SPD). Gerade mal jeder dritte Unions-Anhänger (34 Prozent) ist der Meinung, Merz mache seine Arbeit gut, ermittelte Insa für die „Bild am Sonntag“. CSU-Chef Markus Söder (45 Prozent) und Wüst (39 Prozent) schneiden besser ab.

Wüst übrigens will an diesem Freitag Bilanz ziehen, nach einem Jahr schwarz-grüner Regierung in NRW. Sollte auch er, wie Merz, auf Umfragen verweisen? Dann könnte er die jüngste Sonntagsfrage zitieren, wonach die CDU in NRW bei einer Landtagswahl auf 37 Prozent käme, bei einer Bundestagswahl jedoch nur auf 30 Prozent.

Was Friedrich Merz auch noch ärgern dürfte: Im Oktober soll eine Wüst-Biografie erscheinen, verfasst von den Journalisten Tobias Blasius („WAZ“) und Moritz Küpper (Deutschlandfunk), beide in NRW bestens vernetzt. Der Titel ihres Werkes: „Hendrik Wüst. Karriere und Kalkül.“

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