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Das Coronavirus verschwindet allmählich aus dem Bewusstsein - freilich nicht bei denen, die unter Long Covid leiden.

© Getty Images/Jorg Greuel

Ende der Corona-Maßnahmen: Hat Deutschland aus der Pandemie gelernt?

Die letzten Maßnahmen gegen die Corona-Pandemie laufen Ende der Woche aus, die Corona-Warn-App geht in den Schlafmodus. Doch es bleiben offene Fragen.

Die 33. Sitzung ist die letzte gewesen. Zum Abschluss haben die Expertinnen und Experten, deren Empfehlungen an die Ampel-Regierung zum Umgang mit Corona anfänglich noch für Schlagzeilen sorgten, am Dienstag mit Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) Mittag gegessen. Der richtete seinen Dank aus. Einen Auftritt vor der Presse aber gab es nicht.

Der Kampf gegen die Pandemie, der die Republik mehr als zwei Jahre lang in Atem hielt, geht in Deutschland dieser Tage still zu Ende.

Keine Spur eines „Freedom Day“, an dem das Ende aller Eindämmungsmaßnahmen gefeiert würde. Das wäre der Samstag dieser Woche, weil die letzten Corona-Vorschriften im mehrfach geänderten Infektionsschutzgesetz nur noch bis 7. April gelten.

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Im Februar war bereits die Maskenpflicht in Bussen und Bahnen entfallen, vom Wochenende an gilt sie dann auch nicht mehr in Krankenhäusern oder Arztpraxen. Der Anspruch auf Schutzimpfungen wird reduziert, die Corona-Warn-App geht am Juni in einen sogenannten Schlafmodus.

Corona ist damit für viele Menschen aus dem Alltag verschwunden. Doch es gibt Fragen, die bleiben: Hat die Politik die richtigen Lehren aus der Corona-Politik gezogen? Ist die Gesellschaft auf eine nächste Pandemie besser vorbereitet? Wie geht es weiter für die Menschen, die unter den Folgen der Pandemie weiter leiden?

Abgeordnete fordern weitere Aufarbeitung

Um aus der Pandemie zu lernen, will in der Ampel-Regierung vor allem die FDP-Fraktion eine Enquetekommission im Bundestag einsetzen. Doch die Verhandlungen darüber stocken nach Tagesspiegel-Informationen auf Ebene der stellvertretenden Fraktionschefs. SPD und Grüne haben mehrheitlich kein Interesse an einer solchen Kommission.

Dabei hat sogar Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD), immer „Team Vorsicht“, inzwischen bekannt, dass die Kita-Schließungen medizinisch „definitiv“ nicht angemessen und in dem Umfang „nach heutigem Wissen nicht nötig“ gewesen wären.

Wir müssen weiterhin Lehren aus der Pandemie ziehen, wir müssen alle Ebenen durchdenken.

Andrew Ullmann, gesundheitspolitische Sprecher der FDP-Fraktion

„Wir müssen weiterhin Lehren aus der Pandemie ziehen, wir müssen alle Ebenen durchdenken“, sagte der gesundheitspolitische Sprecher der FDP-Fraktion, Andrew Ullmann. Er denke vor allem an künftige Krisen. Das Risiko, dass sich aus einer regionalen Epidemie in Zeiten der Globalisierung eine Pandemie entwickle, sei heute „höher als früher“.

Auch die Grünen-Abgeordnete Paula Piechotta findet, es sei nicht damit getan zuzugeben, dass alte Menschen und Kinder während der Pandemie zu wenig beachtet worden sind. „Allein die Frage, ob eine Demokratie in dieser Situation Ausgangssperren hätte zulassen dürfen und ob in der nächsten Krise die Ministerpräsidentenkonferenz das optimale Entscheidungsgremium ist, sind Fragen, die noch nicht ausreichend ausdiskutiert sind“, sagte sie.

Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD), immer „Team Vorsicht“, hat inzwischen bekannt, dass die Kita-Schließungen medizinisch „definitiv“ nicht angemessen und in dem Umfang „nach heutigem Wissen nicht nötig“ gewesen wären. 
Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD), immer „Team Vorsicht“, hat inzwischen bekannt, dass die Kita-Schließungen medizinisch „definitiv“ nicht angemessen und in dem Umfang „nach heutigem Wissen nicht nötig“ gewesen wären. 

© dpa/Kay Nietfeld

Eine Enquete-Kommission aus dem Parlament heraus scheint derzeit trotzdem unwahrscheinlich, auch weil die Unionsfraktion als größte Oppositionsfraktion nur gemeinsam mit den Regierungsfraktionen ein solches Gremium einsetzen wolle. Das sagte der gesundheitspolitische Sprecher der CDU/CSU, Tino Sorge, dem Tagesspiegel.

Wankt die Nationale Reservestrategie?

Ein anderes zentrales Vorhaben stockt. In der vergangenen Legislaturperiode hatte das Gesundheitsministerium, damals noch unter CDU-Führung, eine „Nationale Reserve Gesundheitsschutz“ beschlossen, die genügend Schutzmittel und Medikamente für Krisenlagen bevorraten sollte.

Offiziell hält das Gesundheitsministerium auch nach dem Regierungswechsel daran fest. Doch derzeit passiert nichts. „Die laufenden Planungen inklusive einer fundierten Bedarfsschätzung stehen aktuell unter Finanzierungsvorbehalt“, sagte ein Ministeriumssprecher dem Tagesspiegel.

Soll heißen: Es gibt kein Geld von Finanzminister Christian Lindner (FDP). Der Haushaltsausschuss des Bundestags hatte die Regierung bereits im November aufgefordert zu überprüfen, ob eine physische Bevorratung notwendig und wirtschaftlich ist. Ein Ergebnis liegt noch nicht vor.

Dennoch ist es nicht so, dass bislang gar keine Schlüsse gezogen wurden. An diesem Mittwoch soll im Kabinett ein Gesetz zur Bekämpfung von Lieferengpässen bei patentfreien Medikamenten beschlossen werden, das Hersteller verpflichtet, bei bestimmten Arzneien größere Vorräte anzulegen als bisher.

Wir sind in Deutschland gut in der Individualmedizin, aber haben empfindliche Schwächen bei populationsbezogenen Strategien der Gesundheitsversorgung.

Janosch Dahmen, Notarzt und Grünen-Politiker

Auf sich warten lässt auch das im Koalitionsvertrag der Ampel vorgesehene Bundesinstitut für öffentliche Gesundheit. „Das muss jetzt kommen“, fordert der gesundheitspolitische Sprecher der Grünen, Janosch Dahmen: „Wir sind in Deutschland gut in der Individualmedizin, aber haben empfindliche Schwächen bei populationsbezogenen Strategien der Gesundheitsversorgung.“

Die fehlende Digitalisierung bleibe ebenfalls ein Problem. So sei etwa nie ganz klar gewesen, wie hoch die Auslastung auf den Normalstationen der Krankenhäuser im Land gewesen sei.

Ganz vorbei ist Corona auch jetzt nicht. Immer noch werden Menschen wegen schwerer Verläufe auf der Intensivstation behandelt, derzeit 1080 Personen. Doch Gernot Max, Vize-Präsident der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI), sagte dem Tagesspiegel, das Virus „diktiert nicht mehr den Klinikalltag und verdrängt alle anderen Patienten“. Trotzdem würde Corona „uns weiterhin begleiten“.

Das gilt erst recht für an Long Covid Erkrankte oder Impfgeschädigte, deren Anzahl aktuell nur schätzbar sind. Die Union im Bundestag hat darum kürzlich gefordert, die Forschungsförderung „erheblich“ aufzustocken. Die Regierung müsse über eine Strategie „nach dem Vorbild der ‚Nationalen Dekade gegen den Krebs‘“ dafür Sorge tragen, „dass Erkenntnisse aus Wissenschaft und Forschung schnellstmöglich bei den Betroffenen ankommen“.

Ganz verschwunden ist Corona auch nicht aus dem Kanzleramt. Dort wird die Pandemie-Politik nach Auskunft einer Regierungssprecherin „auch weiterhin innerhalb der Abteilung 3 ,Sozial-, Gesundheits-, Arbeitsmarkt-, Umwelt- und Gesellschaftspolitik‘ koordiniert. Auf das Wissen der Fachleute will man in Zukunft genauso wenig verzichten.

„Da uns die Folgen der Corona-Pandemie noch einige Zeit beschäftigen werden“, so die Sprecherin, „wird derzeit zudem erörtert, wie und mit welchen Schwerpunkten ein mögliches Nachfolgegremium des Corona-ExpertInnenrats aussehen könnte.“ Ein weiteres Mittagessen mit Scholz ist also nicht ausgeschlossen.

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