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© Klaus Stuttmann für den Tagesspiegel

Ein Rückblick in Karikaturen: Kein schönes Jahr, aber ein historisches

Das abgelaufene Jahr ist geprägt von Putins Krieg. „Zeitenwende“ ist das Wort des Jahres. Eine Rückschau auf die vergangenen zwölf Monate.

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2022 ist ein Jahr der großen Krisen gewesen. Auch ein Jahr der Zeitenwende (das Wort des Jahres, und es passt). Nach zwei Pandemiejahren konnte man glauben: Jetzt gibt es die ersehnte Entspannung, auch wirtschaftlich nach all den Einschränkungen und Problemen wie dem Zusammenbruch globaler Lieferketten.

Dann überfällt am 24. Februar Wladimir Putin die Ukraine. Der russische Machthaber hat damit das Jahr geprägt. Putins Krieg verändert die Welt. Die Autokraten und ihre Anhänger schauen nach Moskau. Die Freiheitsliebenden nach Kiew, wo Präsident Wolodymyr Selenskyj den Widerstand anführt. 2022 ist kein schönes Jahr. Aber ein sehr historisches.


Putins Krieg

Wladimir der Große

© Klaus Stuttmann für den Tagesspiegel

Wladimirs Traum – Mütterchen Russland wieder ganz groß, wie einst beim Zaren. Mit ihm als dem unangefochtenen Führer. Abtrünnige Gebiete gilt es heimzuholen. Erst recht, wenn sie zum Erzfeind aller Zarewitsche, der Demokratie, übergelaufen sind. Also macht sich Putin ran an die Ukraine. Ein Klacks soll das werden. Was sonst sollte das Ergebnis sein als der grandiose Sieg, der ihm den Zuspruch und die Ehrfurcht seines Volkes noch auf lange Zeit hinaus sichern soll. Wladimir der Eroberer. Wladimir der Große. Wladimir der Schreckliche.

Fehlkalkulation eines Feldherrn

© Klaus Stuttmann für den Tagesspiegel

Dummerweise läuft es nicht ganz so gut mit dem Ukraine-Feldzug. Regime-Wechsel in Kiew? Klappt nicht. Strammer Vormarsch an allen Fronten? Die Ukrainer leisten hartnäckig Widerstand. Sie sind vorbereitet. Und besser ausgerüstet als gedacht. Es dauert ein Weilchen, bis in allen demokratischen Ländern die Erkenntnisumkehr einsetzt: Nix Blitzkrieg, das wird eine eher langwierige Sache. Und der Ukraine muss geholfen werden. Eine teure Sache. Aus dem Regionalkonflikt wird ein Wirtschaftskrieg um Öl und Gas und Weizen.

Referendum nach Moskauer Art

© Klaus Stuttmann für den Tagesspiegel

Putin macht auf Demokratie in den besetzten Gebieten. In den Regionen Donezk, Luhansk, Cherson und Saporischschja werden Referenden abgehalten mit dem Ziel, große Mehrheiten für den Anschluss an Russland zu bekommen. Nach Moskauer Lesart ein großer Erfolg. Stimmen werden an den Türen eingesammelt, in Begleitung bewaffneter russischer Kräfte. Befreite Gebiete? Rückeroberungen durch die ukrainische Armee zeigen, dass es vor allem zerstörte Gebiete sind.

Übergang zum Terrorkrieg

© Klaus Stuttmann für den Tagesspiegel

Im Herbst ist die Ukraine noch immer nicht besiegt, trotz größerer militärischer Mobilisierung in Russland. Putin wählt den Weg des Zermürbungskriegs über Luftangriffe auch auf zivile Ziele. Nicht zuletzt lässt er die Infrastruktur des Landes bombardieren. Kälte und Hunger sollen die Ukrainer lehren, wem sie zu gehorchen haben.


Deutschland und der Ukraine-Krieg

Hilfe durch Helme

© Klaus Stuttmann für den Tagesspiegel

Deutschland hilft der Ukraine. Anfangs wirkt es mickrig. Man weiß ja noch nicht, wie’s kommen wird. Und Putin liefert noch Gas. So sind es die Soldatenhelme, die anfangs als Objekt der Solidarität zu dienen haben. Richtige Waffen sollen erst einmal nicht an die Überfallenen geliefert werden. Wohl aber an die Bundeswehr. Sie wird aufgerüstet. Hundert Milliarden Euro auf einen Schlag werden dafür bereitgestellt – in kleineren Scheiben sollen sie über die nächsten Jahre ausgegeben werden, unter anderem für neue Tarnkappenjets amerikanischer Bauart. 

Der Kanzler reist nach Kiew

© Klaus Stuttmann für den Tagesspiegel

Lange wird es nichts mit Reisen deutscher Regierungspolitiker nach Kiew. Den Bundespräsidenten will dort erst gar niemand sehen. Mitte Juni dann fährt der Kanzler nach Kiew. Zusammen mit Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und Italiens Regierungschef Mario Draghi. Zuvor hat Olaf Scholz gesagt, er werde erst anreisen, wenn er Substanzielles mitbringen könne. Schwere Waffen sind es zunächst nicht, später liefert Deutschland Gepard-Flugabwehrpanzer und schwere Haubitzen. Kampfpanzer, also angriffsfähige Waffen, werden bis heute nicht geliefert – auch wenn die Ukraine sie immer wieder fordert.   

Erst drohen, dann drosseln, dann...

© Klaus Stuttmann für den Tagesspiegel

Erst droht Moskau mit Aussetzung der Gaslieferungen. Dann wird die Pipeline Nordstream 1 wegen Wartungsarbeiten vorübergehend dichtgemacht. Danach strömt das Gas nur noch gedrosselt. Ende August kommt gar nichts mehr durch. Putins Freunde in Deutschland demonstrieren für offene Leitungen und gegen einen Gasboykott. Am 26. September kommt es zum Anschlag auf beide Nordstream-Pipelines in der Ostsee. Wer ist dafür verantwortlich? Schweden, Dänemark, Polen und Deutschland kündigen Untersuchungen wegen Sabotage an. Moskau sieht „internationalen Terrorismus“ am Werk, da kennt man sich aus im Kreml. Russisches Gas via Ostsee ist jedenfalls keine Energiequelle mehr.

Robert Habecks neue Rollen

© Klaus Stuttmann für den Tagesspiegel

Putin führt nicht nur militärisch Krieg gegen die Ukraine, er betreibt auch einen Wirtschaftskrieg gegen die Unterstützer des Landes. Seine Mittel sind Gas und Öl. Wirtschaftsminister Robert Habeck, der lieber das Klima retten würde, schult um zum Krisenmanager, der sich um mehr fossile Energien bemüht. Gas aus den USA und Katar, längere Laufzeiten für Kohlekraftwerke in Deutschland. Bei der Atomkraft muss er mit seiner Partei akzeptieren, dass die Meiler etwas länger laufen. Aber nur zwei von dreien, fordert Habeck. Alle drei, entscheidet der Kanzler. Basta. Der Vizekanzler erfährt mitsamt seinen Grünen, wer kocht und wer kellnert. 

Sparen!

© Klaus Stuttmann für den Tagesspiegel

Die Appelle beginnen früh, denn der Winter wird schnell nahen. Energiesparen ist eine zentrale Devise des Jahres. Weniger duschen lautet ein Vorschlag, oder jedenfalls kürzer. Der Waschlappen, unschlagbar ökonomisch in seiner hygienischen Wirkung, wird zur Waffe gegen Putin erklärt. Die Heizung soll runtergedreht werden. 19 Grad reichen auch. Wie auch immer: Die meisten Deutschen werden besser durchkommen als der arme Poet. Angeregt von Spitzweg noch ein Vorschlag für mehr Wärme in diesen Zeiten: Früher ins Bett, später raus. Die Lektüre von Büchern verschlingt übrigens keinen Strom.


Innenpolitisches

Der Kanzler führt

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Neu im Amt, da muss man Voraussicht und Stärke zeigen. Olaf Scholz macht gleich zum Auftakt die Impfpflicht im weiteren Kampf gegen das Coronavirus für Erwachsene zur Chefsache. Er kündigt Führung an. Notwendig, sagt er im Januar. Aktiv will er sich dafür einsetzen. Notwendig, sagt er auch im Februar. Und im März immer noch. Im April ist die Sache gescheitert. Bedauerlich aus seiner Sicht, aber es gibt halt keine Mehrheit im Bundestag. Später im Jahr ist es Scholz, der im Akw-Streit in der Koalition als erster Kanzler überhaupt schriftlich seine Richtlinienkompetenz nutzt, um eine Entscheidung durchzusetzen.

Ach ja, das Virus!

© Klaus Stuttmann für den Tagesspiegel

Der Ukraine-Krieg und anderes Weltgeschehen verdrängen die Pandemie als Thema mit dem größten Erregungsfaktor. Die Deutschen sind das Virus im dritten Jahr ohnehin leid. Omikron hat sich im Winter ausgetobt. Viele sind geimpft. Keine Debatten mehr über Inzidenzen, Lockdowns und Infektionswellen. Ansteckungen gibt’s freilich weiterhin. Auch Maskenpflichten, mit nachlassender Intensität. Aber Covid-19 hat den Schrecken verloren. Der Virologe Drosten sagt zum Jahresende: Die Pandemie ist vorbei.

Eine Marke namens CL

© Klaus Stuttmann für den Tagesspiegel

Der Bundesfinanzminister fährt gern im Porsche und tauscht gelegentlich mit dem Chef des Autobauers SMS-Nachrichten aus, in denen er aber nur ein einziges Mal um „argumentative Unterstützung“ aus Zuffenhausen bittet – als es Ende Juni in der Regierung Streit mit den Grünen um die weitere Zukunft des Verbrennermotors gibt. Die große Herausforderung für Christian Lindner sind aber nicht die Petitessen seines ersten Jahres im Amt – darunter auch die recht medienwirksam zelebrierte Hochzeit auf Sylt. Er muss etatpolitisch jonglieren wie wohl keiner seiner Vorgänger. 500 Milliarden Euro an neuen Verbindlichkeiten in einem Jahr, der Krise wegen - das ist für einen, der eigentlich kein Schuldenpolitiker sein will, eine harte Nuss. Sein neuer Markenname: CL 500.

Die große Hitze

© Klaus Stuttmann für den Tagesspiegel

2021 war Flut. 2022 herrscht Dürre. Begleitet von der extremen Hitze im Sommer drängt sich der Eindruck auf, dass es besonders schlimm ist. Dabei ist Dürre ein Dauerthema der vergangenen Jahre gewesen. Der August 2022 ist aber der trockenste seit 1951, mit Abstand. Auch im Dezember noch herrscht vor allem in Norddeutschland extreme bis außergewöhnliche Dürre. Hitzerekorde gibt’s zudem – bis über 40 Grad steigt das Thermometer mancherorts. Nicht das Virus produziert im Juli eine deutliche Übersterblichkeit, sondern die Sonne. 

Klima, Kleber, Klagen

© Klaus Stuttmann für den Tagesspiegel

Die Gruppe „Letzte Generation“ trägt die Apokalypse im Namen und neigt zu drastischen Protestformen. Wie groß sie ist, weiß niemand so genau. Aber sie macht Schlagzeilen. In Museen werden Kunstwerke mit Lebensmitteln beschmiert, wenn auch nur die hinter Glas. Mitglieder kleben sich auf Straßen fest, um mit Verkehrsblockaden auf ihr Ziel eines wirksameren Klimaschutzes aufmerksam zu machen. Ein Slogan: Wir versinken lieber im Kleber als in Flutkatastrophen. Probleme gibt’s Ende Oktober wegen des Vorwurfs, eine Blockadeaktion in Berlin habe zum Tod einer Frau geführt habe, weil der Rettungswagen nicht schnell genug durchkam.


Internationales

Peking lässt auffahren

© Klaus Stuttmann für den Tagesspiegel / Klaus Stuttmann für den Tagesspiegel

Innenpolitisch repressiver, außenpolitisch aggressiver - so hat US-Außenminister Antony Blinken China unter Präsident Xi Jinping charakterisiert. Die rigorose Bekämpfung der Corona-Pandemie gemäß der Null-Covid-Strategie wird in der Bevölkerung als Drangsalierung empfunden. Das Wirtschaftswachstum lässt nach. Da mag Xi der starke Auftritt gegenüber Taiwan, der „abtrünnigen Insel“, als geeignetes Ablenkungsmanöver erscheinen. Wie Putin muss Xi aber erkennen, dass sich die demokratische Welt nicht so leicht einschüchtern lässt. In Taiwan richtet man sich dennoch auf weitere Aktionen ein, bis hin zum militärischen Angriff Chinas. „Das ist etwas, was wir von der Ukraine gelernt haben“, sagt Außenminister Joseph Wu.

Herbst eines Regimes?

© Klaus Stuttmann für den Tagesspiegel

Das Mullah-Regime in Iran glaubt anfangs wohl, es werde glimpflich abgehen. Aber seit dem Tod von Jina Mahsa Amini am 16. September ist das Landaufgewühlt. Der Tod der Frau im Gewahrsam der Sittenpolizei (angebliches Vergehen: Haare nicht verhüllt) hat einen Aufstand bewirkt, der sich nicht stoppen lässt – nicht durch harsches Reagieren, nicht durch Todesstrafen, auch nicht durch das Auflösen der Sittenpolizei. Nachgeben ist noch nicht in Sicht, auf beiden Seiten. Ihre Gesinnung dokumentieren die Machthaber in Teheran auch mit der Waffenhilfe für Putin. 

Brexit-Boris sagt Goodbye

© Klaus Stuttmann für den Tagesspiegel

In Deutschland gab’s mal ein Drei-Kaiser-Jahr (das war 1888). In Großbritannien ist 2022 zum Jahr mit den drei Premierministern geworden. Boris Johnson tritt ab – nach drei Jahren im Amt. Zu viel Egozentrik, zu viele Lügen, zu viele Fehltritte, zu viele Partys in der Downing Street. Seine Tories verlieren die Geduld. Im Juli ist der Spaß zu Ende. Seine Nachfolgerin Liz Truss taugt noch weniger für den Job, nach 49 Tagen voller Chaos ist Schluss. Schließlich wird Rishi Sunak neuer Premier, ernannt vom neuen König Charles III. Seine Mutter Elizabeth II. war am 8. September gestorben, zwei Tage nach der offiziellen Amtsübergabe von Johnson an Truss - nach 60 Jahren auf dem Thron, in denen sie 15 Premiers gehen und kommen sah.

Allons, Macron

© Klaus Stuttmann für den Tagesspiegel

Nach dem ersten Durchgang bei der Präsidentschaftswahl in Frankreich im April sieht es nicht gut aus für Emmanuel Macron. Der Amtsinhaber bekommt nur knapp 28 Prozent der Stimmen. Knapp dahinter liegt seine Gegnerin Marine Le Pen von der Rechtsaußenpartei Rassemblement National. In der Stichwahl aber setzt sich Macron wieder deutlich durch, wenn auch nicht ganz so überzeugend wie fünf Jahre zuvor. In Paris regiert also weiter die politische Mitte – mit ihrem quecksilbrigen Star.

Ein weiter Blick

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Den noch genaueren, noch konkreteren Blick hinaus ins All und in die Tiefen der Entstehungsgeschichte macht das zehn Milliarden Dollar teure Webb-Weltraumteleskop möglich. Im Juli werden die ersten Bilder von der Nasa veröffentlicht – stolz präsentiert von US-Präsident Joe Biden. Neue Eindrücke gibt es nun zum Beispiel vom Carinanebel, von Stephans Quintett oder von SMACS J0723.3–7327, dem Galaxienhaufen im südlichen Bereich des Sternbilds Fliegender Fisch. Milliarden Lichtjahre entfernt sind manche Objekte. Wie winzig die Erde doch ist. Und ihre Putins, Mullahs und Xis.

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