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Wolodymyr Selenskyj, Präsident der Ukraine, spricht bei einer gemeinsamen Sitzung des Kongresses auf dem Capitol Hill in Washington.

© dpa / Carolyn Kaster

Selenskyjs Besuch in Washington: Viele Emotionen, Symbolik – und ein großes Versprechen

Joe Biden versprach ihm weitere Unterstützung, der Kongress feierte ihn: Die erste Auslandsreise seit Kriegsbeginn hat der ukrainische Staatschef so gut genutzt wie irgend möglich.

Am Ende dieses langen Tages erfüllt Wolodymyr Selenskyj ein Versprechen. Unter dem tosenden Applaus des Saals entfaltet der ukrainische Präsident am Mittwochabend eine gelb-blaue ukrainische Flagge und reicht sie an Nancy Pelosi weiter, an die demokratische Sprecherin des Repräsentantenhauses, die ein letztes Mal eine gemeinsame Sitzung des US-Kongresses leitet.

Die Flagge haben ukrainische Soldaten in der hart umkämpften Frontstadt Bachmut unterschrieben und ihrem Präsidenten am Tag vor dessen Besuch in den USA mit dem Auftrag übergeben, sie dem Kongress in Washington als Dank für all die Hilfe zu schenken.

Zu diesem Zeitpunkt wussten nur wenige Eingeweihte, dass Selenskyj sich tatsächlich auf den Weg nach Washington machen würde – seine erste Auslandsreise seit Beginn des russischen Angriffs am 24. Februar wurde aus Sicherheitsgründen bis zum Schluss geheim gehalten.

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Es mangelt nicht an Symbolik

Die Reise, so lässt sich am Ende des Tages sagen, hat Selenskyj so gut genutzt wie irgend möglich. An Symbolik hat es dabei wahrlich nicht gemangelt. Am Mittag gelandet, empfängt ihn als erstes US-Präsident Joe Biden auf dem South Lawn hinter dem Weißen Haus – der rote Teppich ist ausgerollt, als Selenskyj im inzwischen weltbekannten olivgrünen Armeepullover und einer Hose in der gleichen Farbe aus der gepanzerten Limousine steigt.

Die beiden sprechen dann rund zwei Stunden miteinander im Oval Office, im Anschluss gibt es eine gemeinsame Pressekonferenz.

US-Präsident Joe Biden spricht mit Wolodymyr Selenskyj, Präsident der Ukraine, im Oval Office des Weißen Hauses.

© dpa/Patrick Semansky

Hier wirken die beiden vertraut, trotz der todernsten Thematik geht es auch mal heiter zu. Zum Beispiel, als Biden auf die Frage einer ukrainischen Reporterin, ob die USA Selenskyj nicht jetzt sofort alle Wünsche erfüllen könnten, um den Prozess abzukürzen, sagt: „Die Antwort lautet: Ja.”

Selenskyj lacht und ruft aus: „Dem stimme ich zu” – dann erklärt Biden, warum dies leichter gesagt als getan und aus seiner Sicht keine gute Idee ist. Er will, das hat er immer wieder betont, eine zu starke Eskalation des Krieges vermeiden.

Viel Bewunderung für den ukrainischen Staatschef

Doch obwohl der US-Präsident seinem Besucher auch dessen Grenzen aufzeigt, wird deutlich, wie groß die Bewunderung in den USA für diesen Staatschef inzwischen ist, der sein Land seit 300 Tagen in dem verzweifelten Bemühen anführt, den überlegenen russischen Aggressor nicht gewinnen zu lassen.

„Dieser Mann ist – bis tief in seine Seele – genau der, der er vorgibt zu sein (…) Er ist bereit, sein Leben für sein Land zu opfern”, sagt Biden auf die Frage, was er von dem historischen persönlichen Treffen im Unterschied zu einem Telefonat mitnehme. Es gebe keinen Ersatz dafür, sich von Angesicht zu Angesicht zu treffen.

Für Biden, auch das sagt er immer wieder, ist Politik eine persönliche Angelegenheit. Gerne erzählt er, dass er dem russischen Präsidenten Wladimir Putin bei einem Treffen 2011 in die Augen geschaut und dann mitgeteilt habe: „Ich glaube, Sie haben keine Seele.”

Putin soll daraufhin geantwortet haben: „Wir verstehen uns.” Auch darum ist es von Bedeutung, wie die Atmosphäre zwischen den beiden wirkt.

Selenskyj dankt und fordert zugleich

Symbolisch geht es auch im Kapitol zu, wo Selenskyj am Abend vor den versammelten Senatoren, Abgeordneten und Regierungsmitgliedern redet. Seine Ansprache, die er auf Englisch hält, ist genau angepasst an die Zuhörer.

Wolodymyr Selenskyj spricht vor einer überreichten ukrainischen Flagge, die von den Frontsoldaten im umkämpften Bachmut signiert wurde.

© dpa/Jacquelyn Martin

Bescheiden sind seine ersten Worte nach seiner begeisterten Begrüßung und den vielen Händen, die seine schütteln wollten: „Das ist alles zu viel für mich.”

Immer wieder bedankt er sich für die große Hilfe, die die USA seinem Land zukommen ließen. Aber er macht auch deutlich, dass er mehr erwartet – und dass es nicht nur in seinem Interesse ist, dass die Ukraine Russland nicht unterliegt. „Es ist nur eine Frage der Zeit, bis sie (die Russen) den nächsten ihrer Alliierten angreifen, wenn Sie sie jetzt nicht stoppen. Wir müssen das tun.” Er verspricht: „Wie werden uns niemals ergeben.”

Es ist nur eine Frage der Zeit, bis sie (die Russen) den nächsten ihrer Alliierten angreifen, wenn Sie sie jetzt nicht stoppen. 

Wolodymyr Selenskyj, Präsident der Ukraine

Anders, als Putin angenommen habe, sei sein Land nicht einfach so einzunehmen. „Ukraine is alive and kicking” – die Ukraine sei am Leben und wehre sich nach Kräften. Auf Verhandlungen mit Russland, soviel wird klar, setzt der ukrainische Präsident zumindest in absehbarer Zeit nicht. Biden sagt, diese Entscheidung liege ganz bei der Ukraine.

Selenskyj appelliert an zweifelnde Republikaner

Das Weiße Haus beteuert immer wieder, man übe dahingehend keinen Druck auf Kiew aus. Dass Selenskyj ausgerechnet an diesem Mittwoch nach Washington geflogen ist, hat allerdings auch etwas mit den sich verändernden Mehrheiten im Kongress zu tun.

Aus der Republikanischen Partei, die ab dem 3. Januar das Sagen im Repräsentantenhaus hat, waren vor der Zwischenwahlen im November erste Stimmen zu hören, die die umfangreichen Hilfen für die Ukraine infrage stellten. Der rechtspopulistische Flügel wird stärker, was es der Biden-Regierung schwerer machen wird, ihre politischen Vorhaben durchzusetzen.

Ihr Geld ist keine Wohltätigkeit. Es ist eine Investition in weltweite Sicherheit und Demokratie.

Wolodymyr Selenskyj zu den Zweifeln den Republikanern

Mit Blick auf mögliche Zweifel bei den Republikanern sagt Selenskyj: „Ihr Geld ist keine Wohltätigkeit. Es ist eine Investition in weltweite Sicherheit und Demokratie, mit der wir in höchst verantwortlicher Art und Weise umgehen werden.” Seine Botschaft: Die Amerikaner sollen seinem Land helfen, sich zu verteidigen – und sich dabei selbst zu helfen.

Unterstützung leisten die Amerikaner bereits in einem Ausmaß, wie es kein anderes Land weltweit tut. Am Mittwoch gibt Biden zusätzliche Hilfen bekannt, darunter die Bereitstellung von Patriot-Luftabwehrsystemen, auf die Kiew sehnlichst hofft. Der Kongress wiederum soll noch in dieser Woche den Militärhaushalt genehmigen, in dem weitere knapp 45 Milliarden Dollar für die Ukraine vorgesehen sind.

Selenskyj vergleicht Putins Vorgehen mit dem von Hitler

Aber Selenskyj will mehr – und daraus macht er trotz aller Dankbarkeit auch keinen Hehl. Immerhin nennt er Russlands Absichten „genozidal” und vergleicht Putins Vorgehen mit dem von Adolf Hitler. In seiner Rede sagt er: „Wir haben Artillerie, ja, dafür danke ich Ihnen. Reicht das aus? Ehrlich gesagt, nicht wirklich.”

Der Wechsel zwischen seinen Beschreibungen des Leidens der Ukrainer und der Demonstration seines Selbstbewusstseins macht Eindruck. Immer wieder springen die Kongressmitglieder auf, applaudieren und jubeln ihm zu – mit wenigen Ausnahmen.

Die paar Republikaner, darunter die Abgeordneten Lauren Boebert, Matt Gaetz und Jim Jordan, die demonstrativ sitzen bleiben und keine Hand rühren, gehen indes angesichts der großen Zustimmung der anderen unter.

Und selbst die rechten Abweichler kriegt Selenskyj rum, zumindest für einen Moment. Ganz am Ende seiner Rede spricht er über das nahende Weihnachtsfest, das viele seiner Landsleute ohne Strom, Heizung und fließendes Wasser feiern müssten. „Aber auch wenn Strom fehlt, so wird doch der Glauben in uns selbst nicht erlöschen.” Da klatschen auch Boebert, Maetz und Jordan.

Selenskyi verabschiedet sich von Washington mit den Worten: „Frohe Weihnachten und ein fröhliches, siegreiches neues Jahr.” Links oben auf der Tribüne, wo der Präsident zuvor Vertreter der ukrainischen Diaspora begrüßt hat, schallt es zurück: „Lang lebe die Ukraine” – und dann: „Gott segne Amerika.” Auch Selenskyjs Landsleute wissen, worauf es ankommt.

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