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Entschieden. Eine Geste der damaligen Bundeskanzlerin Angela Merkel, als sie im Bundestag den Lockdown rechtfertigte.

© dpa / Michael Kappeler

Corona-Recht, Corona-Unrecht: Pandemie-Regeln, von denen kaum jemand mehr redet

Der angebliche Großangriff der Merkel-Regierung auf die Grundrechte ist schon Geschichte. Und wie es aussieht: So schlimm war er nicht. Nun urteilt die Justiz.

Eine Kolumne von Jost Müller-Neuhof

CDU-Altpolitiker Wolfgang Schäuble weigert sich, Altkanzlerin Merkel in seine persönliche Ahnengalerie großer Altkanzler aufzunehmen. Jedenfalls vorerst, sagt er. Weltfinanzkrise, europäische Migrationskrise, Covid-Krise – kann sein, dass Krisentaten nicht groß genug sind für das Geschichtsbuch der Großen.

Zweifellos aber handelte Merkel in ihrer Amtszeit auch mit Allergrößtem, namentlich dem größten Massen-Grundrechtseingriff in der Geschichte der Republik. Den Lockdowns mit ihren Ausgangs- und Kontaktsperren entkam niemand. Merkel und ihre exekutiven Partner in den Bundesländern aus dem Team Vorsicht holten den Seuchen-Hammer raus. Etwas zwischen Notstand und Totalitarismus lag in der verkeimten Luft. Wenn sich später keiner erinnern wird, die Jüngeren werden es. Sie hatten praktisch schulfrei.

Wie es sich für einen Rechtsstaat gehört, begleitete eine juristische Debatte die politische. Und wie es sich für eine Demokratie gehört, war die Kritik laut. Hat das Parlament abgedankt und eine Diktatur der Exekutive begonnen? Ordneten die Länder einschneidende Maßnahmen an, ohne dass es dafür Rechtsgrundlagen gab? Und was ist aus dem Prinzip der Verhältnismäßigkeit geworden? Wo war es geblieben?

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Die Justiz hat sich damit befasst, naturgemäß jedoch nur in so genannten Eilverfahren. Da weiß man wenig, hat wenig und muss trotzdem entscheiden. Das Bundesverfassungsgericht hat es nicht eilig, wie seine sehr formal begründete Zurückweisung einer Richtervorlage aus Thüringen vergangene Woche zeigte.

Hier hätte es sich mit den Rechtsgrundlagen aus der Anfangsphase der Pandemie vertieft beschäftigen können. Das bleibt nun zunächst dem Bundesverwaltungsgericht überlassen, das am Dienstag über Kontaktbeschränkungen in Sachsen und die Ausgangssperre in Bayern urteilen wird. Erstmals, denn erst jetzt hat die Corona-Klageflut die höchste Instanz der Verwaltungsgerichtsbarkeit in Leipzig erreicht.

So ist es eben im Altkanzlerpatriarchat

Bemerkenswert an der Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht war die Entschiedenheit, mit der das Gericht eine Debatte nicht führen wollte: die um die Rechtsgrundlage für die Maßnahmen im Infektionsschutzgesetz. Es handelte es sich damals um eine bloße Generalklausel, welche die Länder pauschal zum Erlass von Rechtsverordnungen ermächtigte. Die Sonder-Vorschriften für Covid wurden erst später eingefügt.

So entstand frühzeitig der Eindruck, dass „Corona-Regime“ entbehre rechtsstaatlicher Regeln. Das Infektionsschutzgesetz, wurde kritisiert, richte sich schließlich nicht an die Gesamtbevölkerung, sondern ermächtige nur zu Maßnahmen gegen Infizierte.

Anderer Ansicht: das Bundesverwaltungsgericht. So erklärte die Vorsitzende, die Generalklausel sei exakt für solche Fälle geschaffen worden. Eine hoch ansteckende Krankheit mit unabsehbaren Folgen für Einzelne breite sich aus. Es könne Viren geben, die noch gefährlicher seien als Covid. „Da fällt es schwer, sich vorzustellen, dass sich Maßnahmen nicht auch an die Allgemeinheit richten sollen.“ Es sei nötig, den Grundrechtseingriff klarer zu regeln. Aber erst, wenn die Sache „Kodifikationsreife“ besitze, man genug über sie wissen. Im Frühjahr 2020 sei es zu früh gewesen.

Bemerkenswert ist neben diesen klaren Worten das vergleichsweise geringe Interesse an dem Leipziger Verfahren. Immerhin will der MDR die Urteilsverkündung im TV übertragen. Ansonsten, scheint es, geht die juristische Aufarbeitung des größten Grundrechtseingriffs der Geschichte bislang an der Öffentlichkeit eher vorbei.

Wie soll Merkel da in die Geschichtsbücher kommen? Ihr Job ist es laut Amtseid, Schaden vom Volk abzuwenden. Vielleicht hat sie das in der Pandemie sogar ganz gut hinbekommen, auch im rechtsstaatlichen Sinn. Aber wie es so ist im Kanzlerpatriarchat: Care-Arbeit, die sieht man nicht.

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