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Das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig.

© picture alliance/dpa / Jan Woitas

Lockdown und Ausgangssperren: Bundesverwaltungsgericht zeigt Verständnis für scharfe Corona-Politik

Bei den Richtern in Leipzig sind die ersten Fälle angekommen. Die Verfahren aus Bayern und Sachsen stellen die Weichen für weitere Urteile.

Der Streit um die Maßnahmen zu Eindämmung des Corona-Virus hat das höchste deutsche Verwaltungsgericht erreicht. Am Mittwoch verhandelte das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig erstmals Fälle dazu aus der Frühphase der Pandemie (Az.: 3 CN 1.21). Dem Dritten Senat liegen Fälle aus Sachsen und Bayern vor. Im sächsischen Verfahren geht es um Kontaktbeschränkungen im öffentlichen Raum sowie die Schließung von Gastronomie und Sportstätten. Im Fall Bayerns steht die umfassende Ausgangssperre auf dem Prüfstand, die es in ähnlicher Form nur im Saarland gegeben hat. Das Gericht will sein Urteil am 22. November verkünden.

Nach dem Verlauf der rund fünfstündigen Verhandlung zeichnete sich ab, dass die Regelungen aus Sachsen akzeptiert werden könnten. Bei der Ausgangssperre erscheint es nicht ausgeschlossen, dass die Bundesrichter den Fall an den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof zurückverweisen. Die Vorsitzende Richterin Renate Philipp betonte jedoch, dass eine Entscheidung noch nicht getroffen sei. Es gebe eine Fülle von Einzelfragen zu klären. Die Verfahren gelten als Weichenstellung, da das Gericht nach eigenen Angaben in den nächsten Monaten über eine Reihe weiterer Klagen gegen Corona-Maßnahmen zu entscheiden hat. Aus den Urteilen könnten sich auch Folgen für die weitere politische Bewältigung der Pandemie ergeben.

Ein Beschluss gegen, einer für die Kläger

Gegenstand des sächsischen Verfahrens ist eine Normenkontrollklage eines Leipziger Anwalts gegen die Corona-Schutzverordnung vom April 2020. Das Oberverwaltungsgericht des Landes hatte den Antrag im Oktober 2021 abgelehnt, weil die auf Grundlage des Infektionsschutzgesetzes erlassene Verordnung rechtmäßig gewesen sei. Angesichts der damaligen Unsicherheit über die Gefahren des Virus habe sich das Land auf die Empfehlungen des Robert-Koch-Instituts (RKI) stützen dürfen, hieß es.

Gegen die Ausgangssperren klagen eine Mutter und ihr erwachsener Sohn, der am Mittwoch ebenfalls vor Gericht in Leipzig erschien. Ihr Normenkontrollantrag vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof war erfolgreich: Dem damaligen Beschluss zufolge sei die Beschränkung unverhältnismäßig gewesen, weil auch der Aufenthalt allein im Freien untersagt war. Es sei nicht zu erkennen, dass eine solche Maßnahme zur Bekämpfung des Virus wirklich erforderlich gewesen sei. Kontaktbeschränkungen hätten im Zweifel genügt.

Den namentlich in der juristischen Diskussion umstrittensten Punkt räumte die Vorsitzende schon frühzeitig in der Verhandlung ab: Dass die einschlägige so genannte Ermächtigung im Infektionsschutzgesetz nicht als Grundlage für derart tiefgreifende Maßnahmen ausreiche, wie viele Kritiker meinen. Nach ihrer Ansicht sei das Bundesgesetz hier zu allgemein und unbestimmt formuliert, um solche Grundrechtseingriffe zu rechtfertigen, die dann durch die Exekutive in den Ländern in ihrer konkreten Form einfach beschlossen werden könnten.

Der Gesetzgeber hat ein wirksames Instrument schaffen wollen, nicht nur für Covid, sondern für alle übertragbaren Krankheiten.

Renate Philipp, Vorsitzende Richterin beim Bundesverwaltungsgericht

Dem widersprach das Gericht. Der Gesetzgeber habe hier ein „wirksames Instrument“ schaffen wollen, „nicht nur für Covid, sondern für alle übertragbaren Krankheiten“, sagte Richterin Philipp. Dafür sei eine Generalklausel ausreichend und zugleich geeignet, um für unabsehbare Gefahren gewappnet zu sein. Man habe vom Bundestag hier nicht erwarten dürfen, dass er eigens für das neue Virus Gesetze schaffe, die neue Eingriffsschwellen festlegten. Man habe damals noch zu wenig über das Virus gewusst, das Thema habe „noch keine Kodifikationsreife“ besessen, sagte Philipp.

Ein Golfspieler, der allein spielt, sei für niemanden ein Risiko, sagt der Anwalt

Für den Kläger war die sächsische Verordnung dennoch „objektiv Willkür“, weil es zuvor keinerlei Sachverhaltsermittlungen gegeben habe. Gerade die Schließung der Sportstätten sei „unerträglich“ gewesen. Ein Golfspieler, der allein spielt, sei für niemanden ein Risiko. Die Vorsitzende machte indes deutlich, dass diese Bedenken nicht geteilt werden. Das Land habe ein Ermessen, das gerichtlich nur hinsichtlich seiner Grenzen kontrolliert werde. Die RKI-Daten seien zudem eine hinreichende Sachgrundlage gewesen.

Wie das Gericht die Ausgangssperre bewerten wird, blieb am Mittwoch offen. Der bayerische Gerichtsbeschluss, der die Sperre für rechtswidrig erklärte, schien für das Leipziger Gericht im Ergebnis plausibel, jedoch nicht unbedingt in der Begründung. Hinzu kommt in beiden Fällen das Problem, dass das Bundesverwaltungsgericht nur Verstöße gegen Bundesrecht prüfen darf. An die Tatsachenfeststellungen der jeweiligen Landesverwaltungsgerichte ist es gebunden – auch an die Feststellungen zur jeweiligen Pandemiesituation. Hier gebe es noch eine „Reihe von Hausaufgaben“, die vor einem Urteil zu erledigen seien, sagte Philipp.     

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