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Brennende Gasrechnung: In Rom und 14 anderen Städten in Italien gab es Anfang der Woche Proteste gegen die galoppierenden Energiepreise. 

© imago/Massimo Percossi

Ein Wumms gegen Europa: Nationales Interesse ist kein europäisches

Noch hält Giorgia Meloni sich zurück. Aber Deutschlands nationaler Alleingang in Sachen Energie wird sich auf die Beziehungen zum EU-Süden auswirken.

Ein Kommentar von Andrea Dernbach

| Update:

Giorgia Meloni hat gerade viel zu tun. Die Frau, die demnächst erste italienische Regierungschefin von ganz rechts sein wird - und die erste Frau überhaupt in diesem Amt - weiß, dass sie, so ihre Worte, „eine Verabredung mit der Geschichte“ hat. Sie steht stärker unter Beobachtung als alle ihre Vorgänger. Ihre Antwort ist vorerst, bis Ende des Monats ein Kabinett aus Fachleuten beisammen zu haben - und dies gegen den Widerstand ihrer beiden kleineren Koalitionspartner.

Matteo Salvini von der rechten Lega und Silvio Berlusconi mit seiner persönlichen Partei Forza Italia wollen die knappen Plätze am Kabinettstisch für sich beziehungsweise die eigenen Leute sichern. Fachfrauen für den Haushalt oder Energieexperten sollen höchstens im Einzelfall den Kuchen verkleinern, den man untereinander verteilen will.

Europäisch denken? Rhetorik ist eins, die Tatsachen andere

Dass Meloni gerade alle Hände voll zu tun hat, vorsichtig agiert und sich aktuell schon gar nicht mit den EU-Partnerinnen anlegen will, ist ein Glück für Deutschland. Denn was die Ampel sich mit dem nationalen Energiepreisdeckel geleistet hat, Stichwort „Doppelwumms“, ist Wasser auf die Mühlen von Europas Rechten. Dass es in Rom gerade so still ist und vorerst nur Viktor Orbán losgewettert hat - er sprach von „Kannibalismus“ - sollte diesseits der Alpen nicht täuschen.

Deutschland verteidigt ebenfalls seine nationalen Interessen

Giorgia Meloni, designierte italienische Ministerpräsidentin

Intoniert hat Meloni ihre Richtung längst. Nationalismus, nationale Interessen? Wann immer sie im Wahlkampf mit dieser Frage konfrontiert wurde, konnte sie locker kontern: Ja sicher - was tut denn Deutschland anderes? Tatsächlich wäre es schon vor dem italienischen Wahlsonntag, dem 25. September, schwergefallen, Meloni zu widersprechen. Das große Deutschland, das wirtschaftliche Schwergewicht der EU, gibt sich in Reden und auf Sprechzetteln gern multilateral und am europäischen Gemeinwohl interessiert. Die Tatsachen bleiben gern ein Stück hinter der Rhetorik zurück, egal welche Farbe die Regierung hat.

Wir sind die europäischsten von allen - und haben, im vermeintlichen Interesse der deutschen Autoindustrie, in unschöner Regelmäßigkeit strengere Abgaswerte verhindert - was, nur nebenbei, die angeblichen Nutznießerin mitten in einen ordentlichen Innovationsstau schickte, als die Zeichen längst auf Elektromobilität standen. Wir pochten auf Haushaltsdisziplin und rissen die Maastricht-Regeln selber mehr als einmal. Die Liste ließe sich verlängern.

„Heiliger Egoismus“, nicht nur ein italienisches Wort

Und jetzt, kaum war Italiens Wahlsonntag 25. September vorbei, schützt die Regierung Scholz die deutschen Haushalte und Firmen mit 200 Milliarden Euro gegen die rasenden Energiepreise. Von Rom aus gesehen wirkt das, als wolle man der in Berlin ja keineswegs geliebten Wahlsiegerin noch nachträglich Recht geben. Während Meloni selbst - noch - schweigt, sind sich die Medien von rechts bis links einig - und dürften damit eine verbreitete und verständliche Stimmung ausdrücken:

Das ist „unlauterer Wettbewerb“ der stärksten Volkswirtschaft Europas, heißt es zum Beispiel im konservativen „Corriere della sera“, der zugleich an das Doppelgesicht der EU in der Pandemie erinnert: Schon damals habe Deutschland seinen viel größeren finanziellen Spielraum genutzt, um die eigenen Unternehmen gegen die Folgen der Pandemie abzupolstern. Nur dem Druck unter anderem des damaligen Ministerpräsidenten Giuseppe Conte sei es zu verdanken, dass Europa schließlich gemeinsam für die 750 Millionen Euro einstand, die für alle gegen die Folgen von Corona locker gemacht wurden.

„Sie können es sich erlauben, also tun sie es auch“, hieß es am Freitag bitter im Kommentar der linken Tageszeitung „il manifesto“ Mehr könne man zu Kanzler Scholz’ 200-Milliarden-Paket eigentlich nicht sagen. Die Bundesrepublik, „die mehr als alle andern vom gemeinsamen Markt profitiert“ habe, sollte eigentlich „höflicherweise den Gefallen erwidern“.

Traurig, aber leider die Regel: Das Wort vom Sacro egoismo ist zwar vor mehr als 100 Jahren in Italien erfunden worden. Praktiziert wird es in der EU aber ausgerechnet von denen, die das Gegenteil behaupten. Dies zu ändern, wäre der Königsweg, um antieuropäischen Kräften das Wasser abzugraben. Tatsächlich wird eben dieses Wasser beständig auf ihre Mühlen geleitet.

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