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Italiens scheidender Regierungschef Draghi kritisiert den deutschen Alleingang.

© Foto: dpa/Mauro Scrobogna

Deutschlands Entlastungspaket in der Kritik: Es braucht auch einen europäischen „Doppel-Wumms“

Es ist schon richtig, dass Deutschland sich dank seiner Wirtschaftskraft eine gigantische Gaspreis-Bremse leistet. Aber das Manöver löst eine neue Unwucht in Europa aus.

Ein Kommentar von Albrecht Meier

Wäre es wünschenswert, dass sich Deutschland und Italien demnächst im Streit um die europäische Energiepolitik zerlegen? Oder dass die hohen Gaspreise zu einem Zerwürfnis zwischen den ärmeren Staaten in der EU und den reicheren Ländern wie Deutschland führen? Sicher nicht. Wenn sich einer darüber freuen würde, dann ist das der russische Präsident Wladimir Putin.

Seit Donnerstag ist klar, dass Deutschland, die wirtschaftsstärkste Nation in der EU, alles unternehmen wird, um die hiesigen Gaskundinnen und -kunden möglichst zu schonen. „Whatever it takes“, um es mit den Worten von Mario Draghi zu sagen. Kanzler Olaf Scholz nennt es „Doppel-Wumms“.

Der 200-Milliarden-„Wumms“ ist allerdings so stark, dass er auch in anderen EU-Ländern Erschütterungen ausgelöst hat. Mario Draghi, der frühere Chef der Zentralbank und ehemalige Euro-Retter, ist mit der groß angelegten Berliner Unterstützungsaktion gar nicht glücklich. Europa dürfe sich angesichts der Energiekrise und der heraufziehenden Rezession nicht spalten lassen in Länder, die wie Deutschland über ein großes Finanzpolster verfügen, und jene, die wie Italien keinen finanziellen Spielraum mehr haben. „Wir brauchen Solidarität“, fordert Draghi, der im vergangenen Sommer als italienischer Ministerpräsident gescheitert ist und der nach den Neuwahlen vom vergangenen Wochenende vermutlich der Rechtsextremen Giorgia Meloni Platz machen muss.

Finanzminister Christian Lindner hat sich lange gegen die Finanzierung der Gaspreis-Bremse gesperrt.

© Foto: Reuters/ANNEGRET HILSE

Fest steht: Deutschland verfügt, auch wenn sich Finanzminister Christian Lindner lange dagegen sperrte, dank seiner ökonomischen Stärke über genügend Finanzkraft für den „Doppel-Wumms“. Es ist daher richtig, frühzeitig den hiesigen Bürgern das Signal zu geben, dass sie halbwegs unbeschadet durch den Winter kommen werden. Das Milliardenpaket zur Energie-Stabilisierung hat zudem auch eine wichtige europapolitische Funktion für Deutschland, das nach wie vor wie ein Stabilitätsanker in Europa wirkt. Oder will jemand, dass nach dem Fast-Wahlsieg von Marine Le Pen in Frankreich und dem Triumph von Giorgia Meloni in Italien demnächst in Deutschland aus dem Raunen über einen „heißen Herbst“ tatsächlich eine Populismus-Welle wird, welche die Ampel-Koalition in Berlin unterspült?

So richtig die Milliardenhilfen als Bollwerk gegen AfD und Co. sind, so gefährlich sind sie andererseits aus wirtschaftspolitischer Sicht für den Zusammenhalt Europas. Draghi hat schon Recht: Mit dem gigantischen Milliardenprogramm unterläuft die Bundesregierung die europäische Solidarität, die im Kampf für niedrige Gaspreise eigentlich nötig wäre. Länder wie Spanien haben zwar auch bereits ihre eigenen nationalen Gaspreis-Bremsen eingeführt, aber in weit geringerem Umfang. Weil die Wirkung für die Verbraucher auf der iberischen Halbinsel kaum spürbar ist, ist der Ruf nach viel weiter gehenden Markteingriffen dort auch besonders laut.

Spanien steht damit nicht allein. Auch Frankreich, Italien und Griechenland machen Druck für ein gemeinsames Vorgehen. Konkret geht es um einen europäischen Gaspreis-Deckel, der zumindest beim Import von russischem Gas einen Höchstpreis setzen würde. insgesamt unterstützen 15 Länder diese Forderung - die Mehrheit in der EU. Eine solche Deckelung könnte die Preise in der gesamten EU wirkungsvoll senken. In Berlin wird hingegen argumentiert, dass von so einer Strafaktion nicht nur russisches Gas betroffen wäre, sondern auch Gas etwa aus Norwegen – das nach Asien statt nach Deutschland geliefert würde, wenn dort mehr gezahlt wird.

Robert Habeck weiß um den Unmut, den Deutschlands Riesen-Gaspreisbremse in vielen anderen EU-Ländern ausgelöst hat. Während des Treffens des Wirtschaftsministers mit seinen EU-Amtskollegen am Freitag in Brüssel stand der Vorwurf im Raum, dass sich Deutschland dank seiner Finanzreserven angesichts der horrenden Gaspreise freikauft - und die Forderungen nach einem europäischen Gaspreisdeckel, die vor allem aus dem ärmeren Süden kommen, getrost ignoriert.

Doch das wäre grundfalsch. Auch auf EU-Ebene braucht es jetzt einen „Doppel-Wumms“, der ein Auseinanderdriften der Gemeinschaft im Winter verhindert.

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