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Potsdam: Schwere Erinnerung

UPDATE. Unter Protesten von Zeitzeugen ist am Mittwoch die neue Dauerausstellung der Gedenk- und Begegnungsstätte Leistikowstraße eröffnet worden.

Nauener Vorstadt - Deutlich zeichnete sich ab, dass die Exposition über das einzige in Deutschland erhaltene Untersuchungsgefängnis des russischen Geheimdienstes in der vorgelegten Fassung nicht von Dauer sein wird. „Die Ausstellung ist nichts Statisches“, erklärte Brandenburgs Ministerpräsident Matthias Platzeck (SPD) vor den etwa 600 Gästen, die sich vor der Rednerbühne in der Leistikowstraße einfanden. Platzeck äußerte sich erstmals zu dem Konflikt zwischen Zeitzeugen und Gedenkstättenstiftung: „Wo etwas besser gemacht werden kann, muss es besser gemacht werden“, sagte er. Die Leistikowstraße benötige auch „eine emotionale Ansprache“, die Zeitzeugen stünden für die emotionale Geschichtsvermittlung eines Tages nicht mehr zur Verfügung.

In der Leistikowstraße wurden von 1945 bis 1955 viele deutsche Staatsbürger inhaftiert – durch die sowjetische Spionageabwehr Smersch, die Platzeck als „Institution stalinistischen Terrors“ bezeichnete. Jede Kritik, jede Abweichung in der sowjetischen Besatzungszone sollte bekämpft und Angst verbreitet werden.

Mehrere Gäste bescheinigten Platzeck, in der emotional aufgeladenen Situation den richtigen Ton getroffen zu haben. „Wenn eine Gruppe von Zeitzeugen nicht Teil der Debatte ist, kann uns das nicht zufriedenstellen“, erklärte der Regierungschef. Besonders die Vertreter der Menschenrechtsorganisation Memorial Deutschland, die im Jahr 2000 die erste Dauerausstellung erarbeiteten, wurden von Platzeck gewürdigt: „Ohne Memorial hätten wir die Gedenkstätte heute nicht.“ Die Ausstellung „Von Potsdam nach Workuta“ sei „von großer Bedeutung gewesen“, so Platzeck. Auch der Kulturstaatsminister des Bundes, Bernd Neumann (CDU), erklärte, es sei „immer wichtig, die Zeitzeugen mit einzubeziehen“. Das müsse mit Wissenschaftlichkeit nicht im Widerspruch stehen: „Beides ist wichtig.“

Gerade mit dem ersatzlosen Abbau der Ausstellung „Von Potsdam nach Workuta“ durch die Gedenkstättenstiftung 2009 hatten die Differenzen begonnen. Memorial-Protagonistin Gisela Kurze erklärte vor Journalisten, „ohne Neid, ohne Eifersucht“ sei sie zunächst bereit gewesen, die Gedenkstättenleiterin Ines Reich zu unterstützen. Dann jedoch seien sie und viele Zeitzeugen „ausgegrenzt“ worden. Ihre Erlebnisberichte haben im Eingangsgebäude nicht mehr ausliegen und Zeitzeugen-Gespräche darin nicht mehr stattfinden dürfen. Bodo Platt von der Zeitzeugen-Initiative erklärte, er könne sich eine Zusammenarbeit mit Ines Reich nicht mehr vorstellen: „Es fehlt in der Ausstellung der Mensch.“ Kurze forderte die Herauslösung der Leistikowstraße aus der Gedenkstättenstiftung und eine Zusammenführung mit der Gedenkstätte Lindenstraße 54 „unter einem Dach“.

Einig waren sich viele Eröffnungsgäste, dass künftig eine bessere Integration aller an der Leistikowstraße Interessierter geleistet werden müsse. So erklärte Kurt Winkler, Direktor des Hauses der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte, er müsse künftig möglich sein, Diskurse offen auszutragen. Historiker verkündeten „keine festen Wahrheiten“; Teil der Aufgabe sei es, „eine Kultur des Gesprächs zu ermöglichen“. Hans-Hermann Hertle vom Zentrum für Zeithistorische Forschung sagte, der Umgang mit Leuten wie Gisela Kurze sei „beschämend“ gewesen; die Memorial-Aktive habe das Haus für Führungen nicht betreten dürfen.

Versäumnisse auf Seiten der Gedenkstättenleitung beklagte auch Ulrike Poppe, Landesbeauftragte für die Aufarbeitung der Folgen der kommunistischen Diktatur: „Ich bedaure sehr, dass es nicht gelungen ist, die Zeitzeugeninitiative und Memorial mit einzubeziehen“, sagte sie den PNN: „Die Gedenkstättenleitung hätte von Anfang an die ehemaligen Häftlinge besser integrieren müssen.“ Potsdams Stadtverordnetenvorsitzender Peter Schüler (Bündnisgrüne) sprach von einem „schlechten Start“ für das Haus: „Ich finde es sehr bedauerlich, dass es der Leiterin nicht gelungen ist, dass sich die Opferverbände angemessen beteiligt fühlen.“ Die Forderung nach Reichs Abberufung teilt er nicht: „Ich halte es für möglich, dass der Dissens ausgeräumt werden kann.“

Bewegender Höhepunkt war die Kranzniederlegung an einer Erinnerungstafel, an der Kritiker wie Befürworter der Ausstellung teilnahmen – mit dabei ehemalige Leistikowstraßen-Häftlinge wie Peter Seele oder Friedrich Klausch. Klausch erinnerte sich der Zeit der Isolationshaft: „Du wolltest nicht mehr leben.“

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