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2024 Berlinale Film Kawauso.

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Tag 5 bei der Berlinale: Es regnet Autos und Schiffe

Manche Filme der Berlinale sind so bekloppt, dass unser Autor gar kein Wort versteht. Was haben sich die Macher bloß dabei gedacht? Zum Glück kann man noch lange darüber nachdenken.

Eine Kolumne von Robert Ide

Ich hatte mal eine Freundin, die Kunst studierte. Ich liebte sie aufrichtig, alles war wunderbar aufregend, aber wir hatten ein Problem: Ich verstand ihre Kunst nicht. Bei Vernissagen hörte ich ihren Freunden immer staunend und eingeschüchtert zu, worüber sie sich stundenlang zu unterhalten wussten. Ein Leben in Abstraktheiten. Es erschloss sich mir nicht. War ich zu dumm?

Ein Stück Würfelzucker wird zertreten

Ein Mädchen, mit Bleistift gezeichnet, sieht mich mit großen Augen an. Es ist still. Das Mädchen läuft los, einen Feldweg entlang, an dem es kleinere Geschäfte gibt, hinter ihr trabt ein japanischer Fischotter. Sie bleiben stehen, ein Stück Würfelzucker fällt vom Himmel. Das Mädchen tritt drauf. Es versucht mit dem Fischotter zu sprechen, bringt aber keinen Ton heraus. Der Fischotter will den zerkrümelten Zucker nicht und weiß auch nichts zu sagen. Also gehen beide weiter. Bis ein Tennisball vom Himmel fällt. Ein Auto. Schiffe, Bomben, Müll. Der ganze Unrat der Welt purzelt auf die beiden herab. Am Schluss des animierten Kurzfilmes „Kawauso“ erklingt ein Lied, in dem es sinngemäß heißt: Ich vermisse dich.  

Bei jedem Abspann gibt es bei der Berlinale Applaus. Die Regisseurinnen haben sich schließlich eine Menge Mühe gemacht, die Autoren sich bestimmt etwas dabei gedacht. Aber was?

Wenn ich an meine Berlinale-Besuche der letzten Jahrzehnte zurückdenke, fallen mir zuerst die bekloppten Filme ein. Das chinesische Drama, in dem ein Zug stundenlang über verschiedene Weichen fährt. Die Dokumentation über den Alltag eines Schweins in einem norwegischen Stall: wie es Gras frisst, wie es grunzt, wie es schnarcht. Das Porträt einer asiatischen Müllkippe. All das will uns sicher eine Menge sagen beim Sehen. Mir verschlägt es eher die Sprache. Bin ich zu dumm?

Meine Kunstfreundin hat mir einmal ein Kunstwerk geschenkt: ein in Metalle eingeschweißter Schaumstoffball. Ich bewahre es im Keller auf. Irgendwann einmal, so denke ich, werde ich unsere Zeit vielleicht mit neuen Augen sehen.

„Zeit ist nur ein Gefühl. Du kannst es überwinden. Und dann gehe weiter.“ So sagt es eine Stimme im französisch-chinesischen Film „The Moon also rises“. Er besteht daraus, dass eine Kamera ein Aquarium mit Fischen überwacht, während ein Mann auf sein Handy guckt. Dazu spricht eine Stimme aus dem Off: „Stell Dir vor, du fällst – ohne dass es einen Boden gibt.“

Irgendwann werde ich auch diesen Film verstehen. Bis dahin räume ich ihn in den Keller meiner Erinnerung. Denn ich liebe sie trotzdem aufrichtig, die Berlinale.

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