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Das Ex-Sony-Center

© Fotostand/Fotostand / Reuhl

Tag 4 der Berlinale: Warum lieb ich dich nicht mehr?

Das Sony-Center heißt nicht mehr so und ist ein riesiger Baukrater. Nachts gibt es an der Bar von Charlie Chaplin eine Sprite auf Eis. Aber Berlin schmeckt nicht mehr süß.

Die einzige Drehtür ist kaputt. An der letzten Telefonzelle ist das Kabel durchgeschnitten. Durchs Dach regnet‘s rein. Willkommen im Zentrum der Hauptstadt! Oder wie es hier am Bauzaun heißt: „Wo freie Zeit zu Freizeit wird.“

Vielleicht ist das die Lösung für den Potsdamer Platz: ein Freizeitpark mit Riesenrad und Wasserrutsche. Die alten Dinos aus dem Spreepark würden gut hier reinpassen – beste Verwitterungsbedingungen.

Wo freie Zeit zur Freizeit wird.

Eigenwerbung im Center am Potsdamer Platz

Wenigstens nachts ist alles gut ausgeleuchtet. Nach den ersten witzigen Filmen des Festivals lockt die Party von Campari, einem der letzten großen Berlinale-Sponsoren – glanzvoll ausgerichtet im Kaisersaal mit einer Bar, an der schon Charlie Chaplin gestanden hat. Nun hänge ich hier ab und frage: „Was haben Sie denn Alkoholfreies?“ – „Sorry, I don’t speak Deutsch“, antwortet der Barkeeper. Er gibt mir dann eine Sprite auf Eis.

Berlin hat keine Mitte mehr

Ich wusste gar nicht, dass das Sony Center gar nicht mehr so heißt. Es nennt sich jetzt Center am Potsdamer Platz. Im Grunde ist es ein Baumarktcenter. Riesige Krater ragen unter dem Leuchtdach in die Tiefe. Einst glanzvoll verglaste Häuser mit verträumten Berlinale-Kinos im Keller sind komplett entkernt.

Mit einem Baustellen-Fahrstuhl kann man bis hoch unters Dach fahren – und von oben sehen, dass Berlin keine Mitte mehr hat. Die Berlinale auch nicht.

Die Berlinale fühlte sich einst hier wohl.
Die Berlinale fühlte sich einst hier wohl.

© imago images/Christian Spicker/Christian Spicker via www.imago-images.de

„Warum lieb ich dich nicht mehr?“ So fragt eine Frau ihren Mann in einem deutschen Panorama-Film. Es ist auch Berlins Frage an den Potsdamer Platz. Bis Jahresende soll das Baumarktcenter wieder anders heißen. Der ebenso seelenlose Mercedes-Platz heißt nun Uber-Platz; was bleibt nun übrig fürs alte Sony-Center? „Die Umbenennung ist Teil der zukünftigen Neuausrichtung des Centers hin zu einem Office Campus“, lässt das Management auf Anfrage wissen.

Ein Office Campus, logisch, warum bin ich da nicht gleich drauf gekommen? Und was genau ist das? Antwort: Hier sollen bald „die Lebenswelten aus New Work, Kultur, Gastronomie und Community verschmelzen“. Da schmilzt man jetzt schon dahin wie die Dinosaurier beim Asteroiden-Einschlag.

Auf der Campari-Party trinke ich fünf Sprite. Das letzte Mal hab ich das kurz nach dem Mauerfall getan. Da war hier alles Brache – die Stadt hat trotzdem süß geschmeckt. Ich stehe oben unterm geschwungenen Glasdach und gucke hinab auf ein Berlin, das im Zentrum seine Seele entkernt. New Work City. Da kommt ein Bauarbeiter und fragt mich: „Was wollen Sie hier?“ Tja, keine Ahnung.

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