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Die britische Schauspielerin Helen Mirren am Berlinale-Palast bei der Premiere von „Golda“.

© AFP/JOHN MACDOUGALL

Spezialauftrag eiserne Lady: Helen Mirren als Golda Meir auf der Berlinale

Alles, nur nicht Jesus. Helen Mirren verkörpert oft gewichtige Gestalten. Jetzt spielt sie die israelische Ministerpräsidentin.

Am Abend zuvor hat sie beim britischen Filmpreis mit ihrer Hommage an Queen Elizabeth und deren Verdienste um die Branche Prinz William zu Tränen gerührt. Jetzt sitzt sie hellwach in ihrem feinen Rollkragenpulli, dessen Pink nicht knalliger sein könnte, am Tisch der Berlinale-Pressekonferenz, die langen silbergrauen Haare zum straffen Pferdeschwanz gebunden. Da wendet sich der dreißig Jahre jüngere Regisseur des Films zu ihr, um Hilfe suchend, wissend, dass er sie bekommt: Wie war noch mal die Frage des Journalisten? Die 77-Jährige hat aufgepasst.

Ihre Authentizität, wird Guy Nattiv später sagen, habe ihn an der britischen Schauspielerin sofort angezogen; schon beim ersten Treffen kam sie ihm so vertraut vor wie eine Tante. An Helen Mirren ist alles echt. Die Falten, der Sexappeal, die Intelligenz, der Witz. Auch die Haare, die sie zur Weltpremiere ihres Films am Abend der Berlinale Special Gala freilassen wird. Sie, deren Markenzeichen seit Jahrzehnten ihr Kurzhaarschnitt ist! Helen Mirren verblüfft mit Vergnügen.

Vor zwei Jahren hat sie auf der Berlinale den Goldenen Bären für ihr noch lange nicht abgeschlossenes Lebenswerk bekommen. Nun ist sie mit „Golda“ gekommen, einem Film über die umstrittene israelische Ministerpräsidentin. Kein Biopic, die Geschichte konzentriert sich ganz auf die dramatischen Wochen des verheerenden Jom-Kippur-Kriegs 1973. Wobei das Publikum die Schlachten in dem Kammerspiel nicht zu sehen bekommt, nur zu hören. Erst durch diese Arbeit, erklärt Helen Mirren, habe sie begriffen, wie traumatisch der Krieg, in dem tausende junge Männer starben, für das kleine, junge Israel war. „Es war der Verlust einer Generation.“

Die Titelheldin Golda Meir (Helen Mirren) im Biopic von Guy Nattiv.

© Jasper Wolf

Helen Mirren ist in ihrer Rolle nicht wiederzuerkennen, aber das ist ja ihre Spezialität. Als Queen war sie schließlich auch – naja, die Queen. Die echte wiederum hat die Darstellerin zur Dame geadelt. Mirrens äußerliche Verwandlung in die burschikose israelische Staatspräsidentin und Kettenraucherin, stets mit der Handtasche am Arm, ist perfekt, aber für sie kein Verdienst. Dass sie jeden Tag vier Stunden in der Maske gesessen hat – kaum der Rede wert. Ist halt ihr Job – und die Kunst der dafür zuständigen jungen Frauen, die sie in wärmsten Tönen lobt, so wie die der Kostümbildnerinnen. Auch diese Großzügigkeit wirkt echt. „Sei pünktlich und kein Arschloch“, hat die Schauspielerin einmal als ihr berufliches Mantra beschrieben.

Ihre Aufgabe ist die innerliche Anverwandlung, das Sichhineinversetzen in ihre Figur. Natürlich, erzählt Mirren, habe sie etliche Bücher von und über Golda Meir gelesen, sich Filmaufnahmen angeguckt. Am Ende aber habe sie sich wie schon oft auf die ersten zwanzig Jahre konzentriert. „Das sind die prägendsten.“

Meir wurde in Kiew geboren

Golda Meir wurde in Kiew geboren, die Familie floh vor den Pogromen, vor denen sie sich im Keller versteckten, in die USA. 1921 zog die junge Zionistin mit ihrem Mann nach Palästina. Als Staatschefin erklärt Golda Meir Henry Kissinger nicht nur im Film entschlossen: Ich bin nicht mehr das kleine Mädchen, das sich im Keller versteckt.

Helen Mirren wiederum kam als Helen Mironoff zur Welt, die Mutter lupenreine englische Arbeiterklasse, der Vater von russischem Adel. Schon als Kind war sie entschlossen, Schauspielerin zu werden. Auch sie ist Kosmopolitin, überzeugte Europäerin und Brexit-Gegnerin mit amerikanischem Pass, Wohnsitz in London, Rom, Kalifornien.

„Golda“ porträtiert die eiserne Lady Israels nicht nur als entschlossene Regierungschefin, die, umzingelt von Männern, ihre eigenen Entscheidungen trifft. Auch wenn es nicht unbedingt die richtigen sind. Dass sie Verantwortung für ihre Fehler übernommen habe, ist etwas, was Regisseur Guy an ihr bewundert. „Die Führer von heute tun das nicht.“

Immer der neueste Mixer

Zugleich ist der Film deutlich bemüht, die menschlichen Seiten der toughen Politikerin zu zeigen: Mitgefühl, Leidenschaft, Witz. Ihr Pragmatismus und ihre Bodenständigkeit sind Eigenschaften, die Darstellerin und Rolle verbinden. „Am glücklichsten war Golda im Kibbuz, als sie sich um die Hühner kümmerte“, sagt Mirren. „Aber das Leben hat sie in eine andere Richtung gezogen.“ Wo sie sich gleich wiedererkannt habe, bekennt der Filmstar: in ihrem Faible für Küchenmaschinerie. „Immer der neueste Mixer.“

Was kaum einer wusste, und der Film immer wieder zeigt: Golda Meir hatte Krebs. Zwischen den Krisensitzungen betritt sie im Film heimlich, durch den Hintereingang der Pathologie, an lauter Leichen vorbeilaufend, das Krankenhaus, um sich den scharfen Waffen der Medizin zu ergeben. Aber nicht ohne ihre Zigarette. Dann back to business.

Meir lebte eine Hingabe für ihre Land, ohne zum machtbesessenen Diktator zu werden.

Schauspielerin Helen Mirren

Das würde man auch Helen Mirren zutrauen. Als „Mensch ohne Angst“ hat der Regisseur István Szabó sie einmal beschrieben. Auch auf dem Podium ist sie nicht scheu. Als Nicholas Martin, der es eigentlich besser wissen müsste, weil er das Drehbuch geschrieben hat, meint, Golda Meir habe doch nur Frieden gewollt, Sicherheit für ihre Kinder und Enkel, widerspricht Mirren freundlich, aber bestimmt. Meir sei es um Israel gegangen, Israel um jeden Preis und ohne Kompromisse, seine Existenzberechtigung, „das war ihre Antriebskraft“. In dieser Hingabe habe sie eine Ähnlichkeit zu Elisabeth I. entdeckt, die sie ebenfalls gespielt hat. „Ihre totale Hingabe für ihr Land, ihre Nation – ohne zum machtbesessenen Diktator zu werden.“

Schon als junge Theaterschauspielerin hat Helen Mirren sich nichts gefallen lassen. Als der Fernsehmoderator Michael Parkinson 1975 ein Gespräch voller Anzüglichkeiten mit ihr führte, in dem er sie auf ihren Busen zu reduzieren versuchte, wegen dem sie als Darstellerin doch nicht ernst genommen werden könne (der Sexismus-Klassiker ist immer noch auf Youtube zu bestaunen), konterte sie so souverän wie amüsiert.

Am Ende der Pressekonferenz kommt sie dann doch, vom „Guardian“, die unvermeidliche Frage nach der kulturellen Aneignung, die im Vorfeld des Films für Diskussionen gesorgt hatte, ausgelöst von der englischen Schauspielkollegin Maureen Lippman: Als Nicht-Jüdin könne Mirren nicht das israelische Staatsoberhaupt spielen. Regisseur Guy Nattiv, Israeli mit Wohnsitz Los Angeles, widerspricht. Auch die Enkel Golda Meirs seien für Mirren gewesen und jetzt vom Spiel der Britin beeindruckt. Die Schauspielerin habe ihm während der Debatte die kluge Frage gestellt, ob das bedeute, dass Juden dann nicht mehr Nicht-Juden spielen dürften?

Lior Ashkenazi, der im Film Generalstabschef Dado Elazar verkörpert, dem später die Hauptverantwortung für das Desaster des Kriegs zugeschrieben wurde, meldet sich mit einer Gegenfrage zu Wort, mit der er Applaus, Gelächter und Bravorufe erntet: In einem Film über Jesus, wer würde diesen denn verkörpern: ein Jude – oder ein Nicht-Jude? „Ich auf jeden Fall nicht“, wirft Helen Mirren trocken ein.

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