zum Hauptinhalt
Julian Reichelt, Scharfmacher des ultrarechten Portals Nius.de.

© dpa/Roland Weihrauch

„Taliban-Tweet“: Ein Sieg in Karlsruhe macht aus Reichelt noch keinen unvoreingenommenen Journalisten

Im Streit um einen Taliban-Post gibt das Bundesverfassungsgericht dem Ex-„Bild“-Chefredakteur Recht. Damit stärkt es die Meinungsfreiheit, auch gegenüber der Bundesregierung.

Ein Kommentar von Kurt Sagatz

Mit seiner Fundamentalkritik an wohl allem, wofür die aktuelle Bundesregierung und insbesondere die SPD und die Grünen stehen, gilt Julian Reichelt, der geschasste „Bild“-Chefredakteur und Scharfmacher des ultrarechten Portals Nius, selbst als eine Art Kreuzritter, nicht unähnlich den Gotteskriegern am Hindukusch. Der Sieg, den er mit seinem „Taliban-Tweet“ nun in Karlsruhe gegen genau jene Bundesregierung errungen hat, ist somit umso bemerkenswerter.

Denn das Bundesverfassungsgericht hat damit klargestellt, dass die Meinungsfreiheit ohne Ansehen der Person und seiner politisch-publizistischen Ansichten gilt. Mehr noch: Die Karlsruher Richter haben in ihrer Entscheidung den besonderen Stellenwert der Machtkritik betont. Der Staat und seine Einrichtungen sind zwar vor verbalen Angriffen geschützt, dürfen sich aber nicht gegen öffentliche Kritik abschirmen, selbst wenn sie so scharf und polemisch daherkommt wie von einem Julian Reichelt.

Spannend zu beobachten ist, dass Reichelt den Sieg in Karlsruhe nicht direkt nach Herausgabe der Pressemeldung des Bundesverfassungsgerichts publizistisch auf Nius.de ausschlachtet, sondern fast schon zurückhaltend auf der Plattform X verlinkt. Spitzenmeldung auf Nius war am Dienstagmorgen hingegen die hämisch-klingende Meldung „Neues Hobby in der Spitzenpolitik: Die Regierung warnt das Volk jetzt vor Dingen, die sie selbst verbockt hat …“.

Unter Beobachtung der MABB

Tatsächlich ist das Portal, für das Julian Reichelt presserechtlich verantwortlich zeichnet, derzeit gut beraten, es nicht zu übertreiben. Die Medienanstalt Berlin-Brandenburg hat es nach mehreren Beschwerden unter Beobachtung gestellt. Der im Raum stehende Vorwurf lautet Nichteinhaltung der journalistischen Sorgfaltspflicht. Im schlimmsten Fall droht die Sperrung des Angebots.

In die Schlagzeilen geraten war Nius unter anderem, weil es den Plagiatsjäger Stefan Weber dafür bezahlt hatte, die Dissertation der „SZ“-Journalistin Alexandra Föderl-Schmid unter die Lupe zu nehmen. Inzwischen hat die Universität Salzburg ihr attestiert, dass kein wissenschaftliches Fehlverhalten vorlag. Auch der Vorwurf von Nius, der „Kontraste“-Redaktionsleiter Georg Heil habe Insider-Infos von seinem Bruder, dem SPD-Arbeitsminister Hubertus Heil, bekommen, hat sich als haltlos erwiesen.

Im Urteil aus Karlsruhe ging es indes nicht um Nius, sondern um den umstrittenen Reichelt-Post auf der Social-Media-Plattform X, in dem es hieß „Deutschland zahlte in den letzten zwei Jahren 370 MILLIONEN EURO (!!!) Entwicklungshilfe an die TALIBAN (!!!!!!). (…) Was ist das nur für eine Regierung?!“

Das Tempo, das Reichelt auf X vorlegt, wäre eines Donald Trumps würdig – wenn dieser den Dienst nicht hätte verlassen müssen. Für Reichelt gilt indes: Ein Sieg in Karlsruhe macht aus einem schrillen Agitator noch keinen unvoreingenommenen Journalisten.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
false
showPaywallPiano:
false