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 Julian Reichelt, Ex-„Bild“-Chef

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Streit über Taliban-Tweet mit Bundesregierung: Karlsruhe gibt Ex-„Bild“-Chefredakteur Reichelt recht

Im Streit um einen Taliban-Post zwischen Julian Reichelt und der Bundesregierung hat Karlsruhe dem Ex-„Bild“-Chefredakteur recht gegeben. Der Staat müsse auch polemische Kritik aushalten.

Im Streit über einen Beitrag auf X hat der frühere „Bild“-Chefredakteur Julian Reichelt einen Erfolg vor dem Bundesverfassungsgericht eingefahren. Dieses gab nach Angaben vom Dienstag seiner Verfassungsbeschwerde statt, mit der Reichelt sich gegen eine Entscheidung des Berliner Kammergerichts wehrte. Das Kammergericht hatte ihm per einstweiliger Verfügung eine kritische Äußerung über die Bundesregierung verboten. (Az. 1 BvR 2290/23)

Reichelt hatte im August 2023 in dem Kurznachrichtendienst geschrieben: „Deutschland zahlte in den letzten zwei Jahren 370 MILLIONEN EURO (!!!) Entwicklungshilfe an die TALIBAN (!!!!!!). Wir leben im Irrenhaus, in einem absoluten, kompletten, totalen, historisch einzigartigen Irrenhaus. Was ist das nur für eine Regierung?!“ Er verlinkte auf einen Artikel mit der Überschrift „Deutschland zahlt wieder Entwicklungshilfe für Afghanistan“.

Die Bundesregierung zog vor Gericht, und das Kammergericht untersagte die Äußerung, dass Deutschland 370 Millionen Euro Entwicklungshilfe an die Taliban gezahlt habe, im November 2023. Dies sei eine unwahre Tatsachenbehauptung. Der Durchschnittsleser verstehe den Beitrag so, dass Deutschland direkt den Taliban Hilfen gezahlt habe. Reichelt sah sein Grundrecht auf Meinungsfreiheit verletzt und wandte sich an das Bundesverfassungsgericht.

Dieses gab ihm nun recht. Die Berliner Entscheidung verletze ihn tatsächlich in seinem Grundrecht auf Meinungsfreiheit. In der ausführlichen Begründung führt das Gericht aus, dass dem Staat kein grundrechtlich fundierter Ehrenschutz zukommt. Der Staat habe grundsätzlich auch scharfe und polemische Kritik auszuhalten. „Zwar dürfen grundsätzlich auch staatliche Einrichtungen vor verbalen Angriffen geschützt werden, da sie ohne ein Mindestmaß an gesellschaftlicher Akzeptanz ihre Funktion nicht zu erfüllen vermögen. Ihr Schutz darf indessen nicht dazu führen, staatliche Einrichtungen gegen öffentliche Kritik – unter Umständen auch in scharfer Form – abzuschirmen, die vom Grundrecht der Meinungsfreiheit in besonderer Weise gewährleistet werden soll, und der zudem das Recht des Staates gegenübersteht, fehlerhafte Sachdarstellungen oder diskriminierende Werturteile klar und unmissverständlich zurückzuweisen.“ 

Des Weiteren heißt es in der Begründung aus Karlsruhe, dass auch der sprachliche Kontext berücksichtigt werden muss, in dem die umstrittene Äußerung steht, und die Begleitumstände, unter denen sie fällt, soweit diese für die Rezipienten erkennbar waren. Aus der Sicht eines Durchschnittslesers war angesichts der Vorschau des verlinkten Artikels erkennbar, dass Reichelt zwischen seiner Kurznachricht und dem verlinkten Nachrichtenartikel einen inhaltlichen Bezug herstellen wollte. Das Kammergericht habe aber die Schlagzeile „Deutschland zahlt wieder Entwicklungshilfe für Afghanistan“ ausgeblendet. 

Die Kritik sei auch dann geschützt, wenn sich in ihr Tatsachen und Meinungen vermengten, erklärte das Verfassungsgericht. Es hob die Berliner Entscheidung auf und verwies sie zur Neuverhandlung und Entscheidung zurück an das Kammergericht. (mit AFP)

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