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Salman Rushdie mit der Friedenspreisurkunde

© AFP/Kai Pfaffenbach

Friedenspreis für Salman Rushdie: Entschieden fabelhaft

Schlechte Rede mit besserer Rede kontern, den Lügen die Wahrheit entgegensetzen, den Frieden womöglich mit Waffen schaffen: Die Verleihung des Friedenspreises an Salman Rushdie in der Paulskirche zum Abschluss der Frankfurter Buchmesse.

Man hat an diesem Sonntagvormittag in der Frankfurter Paulskirche fast ein wenig Angst davor, dass die Freiheit des Denkens, die Freiheit der Rede oder die Meinungsfreiheit umso mehr ihre Bedeutung und sich im Leeren verlieren, desto öfter diese Vokabeln in den Reden bei der Verleihung des Friedenspreises an Salman Rushdie fallen. „Vielen Dank für Ihren Einsatz für Meinungsfreiheit und Frieden“, ruft Frankfurts Oberbürgermeister Mike Josef dem Schriftsteller am Ende seiner Rede zu.

„Wir ehren heute einen Mann“, so Börsenvereinsvorsteherin Karin Schmidt-Friderichs in ihrem Grußwort, „der trotz all dem, was ihm widerfahren ist, seine Stimme erhebt und für die Freiheit des Denkens und des Wortes eintritt.“ Auch in der Friedenspreisurkunde wird Rushdie als „leidenschaftlicher Verfechter der Freiheit des Denkens und der Sprache“ bezeichnet.

Und für Daniel Kehlmann ist der 1947 in Bombay geborene Kollege in seiner Laudatio „der vielleicht wichtigste Verteidiger der Freiheit von Kunst und Rede in unserer Zeit.“

Was immer in der gärenden Substanz des Weltgeistes geschieht, er nimmt es vor uns anderen wahr.

Daniel Kehlmann in seiner Laudatio auf Rushdie

Kehlmann ist mit Salman Rushdie eng befreundet. So attestiert er ihm in der Paulskirche nicht nur eine gewisse prophetische Gabe („Was immer in der gärenden Substanz des Weltgeistes geschieht, er nimmt es vor uns anderen wahr.“) und einer der großen Erzähler gleich der gesamten Literaturgeschichte zu sein. Sondern Rushdie sei auch, und da spricht der Freund aus Kehlmann, „ein weiser, neugieriger, heiterer und gütiger Mensch.“

Rushdie hatte in den Tagen vor dieser Verleihung erwähnt, dass er in seiner Dankesrede mehr von sich als Geschichtenerzähler berichten würde, wie er wurde, was er als Schriftsteller ist. Man sah da fast eine Poetologie am Frankfurter Paulskirchenhorizont aufziehen.

Wäre der Frieden ein Preis

Doch ist dem schließlich nur zu einem kleinen Teil so: Rushdie erfüllt die in ihn gesetzten Erwartungen als tatkräftiger Verfechter von Meinungs-, Rede und Kunstfreiheit, als Symbolfigur von all dem. Geworden ist er das durch seine Unbeugsamkeit nach der Fatwa des Ayatollahs Khomeini 1989 wegen seines Romans „Die satanischen Verse“ und der Messerattacke am 12. August des vergangenen Jahres.

Er äußert sich in seiner „Wäre der Frieden ein Preis“ übertitelten Rede zur Lage in der Welt und nimmt in den Blick, was Frieden und Freiheit eigentlich bedeuten und wie man beides am besten erlangen kann.       

Verblüffend gegenwärtige Tierfabeln

Doch zunächst beginnt er mit einer Geschichte aus dem „Panchatranta“, einer altindischen Sammlung von vor allem Tierfabeln. Die Geschichte handelt von zwei listigen Schakalen, die dem König der Tiere, dem Löwen, raten, sich mit einem Bullen zu befreunden. Danach säen die Schakale Zwietracht, verraten den Bullen und verschaffen sich selbst eine bessere Stellung.

Weil das „Panchatantra“ nicht moralisiere, nie klar sei, wer die Guten sind, oft Hinterlist und das Amoralische siegen würden, so Rushdie, „findet der moderne Leser diese Geschichten verblüffend gegenwärtig, denn wir, die modernen Leser, leben in einer Welt der Unmoral, der Schamlosigkeit, des Verrats und der Verschlagenheit, in der die Bösen überall schon oft gewonnen haben.“

Blutiger Preis für den Frieden

Rushdie geht es in seiner Rede darum, Lehren aus den Geschichten, den Fabeln zu ziehen, ihren Mehrwert für Themen wie Frieden und Freiheit zu erkennen. Doch es seien „keine guten Nachrichten“, die aus diesem Universum kämen. Rushdie zählt an den Beispielen von Homer und Troja, von nordischen Mythen, dem Oppenheimer-Film, den Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki oder eben am Beispiel des „Panchatantra“ auf, dass es vor dem Frieden oft Kriege gebe, diese notwendig seien und der Frieden „einen blutigen Preis“ verlange.

Man kann bei diesen Worten auf den Gedanken kommen, dass Rushdie sich damit beispielsweise für eine weitere und unbedingte Unterstützung der Ukraine mit Waffen und noch mehr Waffen ausspricht, er kriegerische Auseinandersetzungen für unvermeidlich hält. Zumal er daran anschließend den Krieg in der Ukraine (und auch den „bitteren Konflikt“ in Israel und dem Gaza-Streifen) erwähnt: „Friede, das ist für sie – und das muss es auch sein -“, er meint damit die Ukraine, „die Rückgabe aller besetzten Gebiete.“     

Das erinnert an die Friedenspreisrede von Navid Kermani im Jahr 2015. Angesichts der Bedrohung durch den sogenannten Islamischen Staat forderte Kermani den Westen und andere dazu auf, sich zum IS womöglich auch militärisch verhalten zu müssen.

Die Zensur der Tugendhaften

Rushdie dagegen ist primär doch Geschichtenerzähler. So biegt er von der Realpolitik, auf die er später noch einmal zurückkommt, in die Welt der Fabeln ab, die sein Werk zugegebenermaßen beeinflusst hätten, so wie für ihn auch der Friedenspreis „etwas entschieden Fabelhaftes an sich“ habe.

Er hat eine weitere Geschichte parat, die er am liebsten, so er sie denn dereinst auch in ein Buch schreibe, „Der Mann, der den Frieden als Preis erhielt“ nennen würde. Es geht darum um einen Jahrmarkt in einem Dorf mit den üblichen Preisen – bis zu dem Tag, da ein Mann kommt, ein fahrender, an den Zauberer von Oz erinnernden Händler, der kleine Flaschen als Preise verteilt.

Schluck aus der Freiheitsflasche

Auf denen steht „Wahrheit“, „Schönheit“, „Güte“, „Freiheit“ oder „Frieden“. Als die Dorfbewohner davon trinken, werden sie zwar enorm beschenkt. Doch haben auch die edlen Werte alle ihren Haken: Die Dorfschönheit wird narzisstisch beispielsweise, die Güte glaubt, eine Heilige zu sein, der Friede sitzt noch bei dem größten Ärger im Dorf einfach nur unter einem Baum und lächelt. Und die Freiheit? Sie schockiert durch ihr freizügiges Benehmen.

Rushdie fährt fort mit dem Bild der Freiheitsflasche, aus der er selbst getrunken habe, und wie gefährlich schließlich der Schluck aus dieser Flasche war. Er erwähnt die Zeit nach den „Satanischen Versen“, eine Erfahrung, die es für ihn nur „umso unabdingbarer, wichtiger und unverzichtbarer“ gemacht hätte, die Freiheit zu verteidigen. Aktuell sehe er sie wie lange nicht bedroht: von rechts, von Populisten und Autokraten. Von links, von „den Tugendhaften“, den Jungen, „die sich für eine neue Art von bien-pensant Zensur aussprechen“ (hier gibt es spontan Beifall in der Paulskirche). Und von den sozialen Medien.

Sein Therapievorschlag: „Schlechte Rede mit besserer Rede kontern, falschen Narrative bessere entgegensetzen, auf Hass mit Liebe antworten und nicht die Hoffnung aufgeben, dass sich die Wahrheit selbst in einer Zeit der Lügen durchsetzen kann.“

Rushdie schließt damit, sich bei seiner Heimkehr auch einmal nach einem Schluck aus der Freiheitsflasche „friedlich und glückselig lächelnd unter einen Baum zu setzen.“ Diese Sehnsucht erlaubt er sich als Friedenspreisträger. Es ist eben anstrengend, der weltberühmteste und weltführendste Verteidiger von Meinungs-, Rede- und Kunstfreiheit zu sein.    

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