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Das Kottbusser Tor in der Abenddämmerung. Eine geplante Polizeiwache am Kottbusser Tor, im Zentrum von Berlins Alternativ-Bezirk Kreuzberg, soll für mehr Sicherheit sorgen. (zu dpa "Polizeiwache am Kottbusser Tor - Rettung oder Bedrohung?") +++ dpa-Bildfunk +++

© picture alliance/dpa/Christoph Soeder

Folge 191 „Wochniks Wochenende“: Sentimental Punk

Reiseführer wie Passanten übersehen den Laden am Kottbusser Tor nur allzu leicht. Dabei steht der Kotti-Shop schon seit 2008 für eine außergewöhnliche Mischung aus Avantgarde und Kiezprogramm.

Eine Kolumne von Thomas Wochnik

Wenn Dagie Brunderts Filme auf Rosi Försters Klänge treffen, faltet sich das Berliner Raumzeit-Kontinuum in sich selbst zurück, bildet einen Energieknoten etwa auf Höhe des Kottbusser Tors und kippen sicher irgendwo Pi mal Daumen 23 Barbies ohnmächtig um. Wie in Brunderts allererstem Experimentalfilm, gedreht 1988 auf Super-8-Film.

Das Medium begleitet die gebürtige Bielefelderin erst durch ein Studium der visuellen Kommunikation an der Berliner HdK (heute UdK), durch die Gründung der FBI („Freie Berliner Ischen“ – ein Filmerinnenkollektiv mit Ramona Welsch und Pamela Homann), sowie durch diverse Jobs in Bild-, Grafik- und Layout-Redaktionen, etwa von Tagesspiegel, Taz und Zitty. Man kann sagen, dass Brundert die Berliner Bilderwelt aus verschiedenen Perspektiven gesehen und geprägt hat – und auch heute noch künstlerisch weiter prägt.

Und als Brundert, Jahrgang 1962, gemeinsam mit einer Freundin 1988 Woolworth-Barbies vor laufender Kamera umnietete und so ihre Kunstfilm-Laufbahn lostrat, saß Rosi Förster, Jahrgang 1939, beruflich bereits fest im Sattel. Und zwar auf der anderen Seite der Mauer, als Diplom-Ingenieurin am damaligen Ostberliner Funkhaus in der Nalepastraße. Dort war sie für Aufnahmen von Orchestern verantwortlich, machte Hörspiele und Ton fürs Fernsehen. Und dort hatte sie schon in den Sechzigern den Free Jazz mit Luten Petrowsky, Günter Sommer und Joachim Kühn kennengelernt, dessen Gest sie in immer neuere freie Improvisationsformen trug und noch heute trägt.

Als mit dem Mauerfall die Existenz des Ostfunks endete, machte sie sich selbständig und gründete mit „Sound & Sync Berlin“ ein Tonstudio- und Musik-Fachgeschäft, in dem unter anderem Andreas Schneider seinen ersten Doepfer-Synthsizer gekauft haben soll – heute führt er mit Schneiders Laden das Synthesizer-Fachgeschäft der Stadt, das übrigens auch viele Jahre lang am Kotti ansässig war und dort noch heute einen Reparaturshop pflegt. Der Verkauf hat mittlerweile im ehemaligen Musikhaus Bading in Neukölln ein neues altes Zuhause gefunden.

Wenn also Dagie Brundert und Rosi Förster – letztere im musikalischen Duo mit der fulminanten Lena Wenta / Zustand D – sich die Bühne teilen, kommt außergewöhnlich dichte Lokalgeschichte zusammen. Und das in der Reihe „Sentimental Punk“, die regelmäßig hervorragenden Berliner Künstlerinnen und Künstlern eine fast ein bisschen zu unscheinbare, geheimtippverdächtige Bühne bietet. Es ist immerhin schon die 70. Ausgabe. Im Kotti-Shop, Adalbertstraße 4.

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