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Franz Rogowski spielt in „Disco Boy“ von Regisseur Giacomo Abbruzzese einen Soldaten der französischen Fremdenlegion.

© Films Grand Huit

Berlinale Preisverleihung: Wer gewinnt die Bären?

Am Samstagabend werden die Preise verliehen. Der Wettbewerb war dieses Jahr etwas sehr brav, aber ein deutscher Film hätte den Hauptpreis verdient.

Von Andreas Busche

Bilder sind aus dem diesjährigen Wettbewerb definitiv in Erinnerung geblieben. Die Eidechse, die sich auf den Fuß der Protagonistin in Angela Schanelecs „Music“ setzt, bevor diese sich mitsamt dem Reptil von der Klippe stürzt. Drohnenflüge über einen brennenden Dschungel in Giacomo Abbruzzeses „Disco Boy“, in dem Franz Rogowski vom Geist eines verstorbenen nigerianischen Rebellen heimgesucht wird. Oder im portugiesischen Familiendrama „Mal Viver“ die Architektur eines nahezu menschenleeren Hotels, das drei Generationen von verbitterten Frauen zu Statistinnen degradiert. Und die unglaubliche One-Woman-Show der australischen Schauspielerin Mwajemi Hussein, die in Rolf de Heers „The Survival of Kindness“ anderthalb Stunden durch eine apokalyptische Wüstenlandschaft irrt.

Viel Arthouse-Konvention

Denkwürdige Bilder sind das Mindeste, das man von einem Filmfestival erwarten würde. Noch besser wäre es allerdings, wenn die Bilder auch im Dienste einer besonderen filmischen Erfahrung stehen würden. Das war in diesem Jahr nur selten der Fall. Am heutigen Samstag werden im Berlinale Palast die Goldenen Bären verliehen, aber schon lange fiel eine Prognose nicht mehr so schwer wie dieses Jahr. Gar nicht unbedingt, weil der Wettbewerb schwach gewesen wäre. Woran es ihm aber mangelte, waren Filme, die noch nicht in der Komfortzone des Arthousekinos, die man zunehmend auf internationalen Festivals beobachten kann, erstarrt sind.

Es ging sehr brav zu, etwa in „Tótem“, dem zweiten Spielfilm der mexikanischen Regisseurin Lila Avilés über eine junge Familie, die sich – beschränkt auf ein paar Quadratmeter Wohnung – auf den letzten Geburtstag des todkranken Vaters vorbereitet. Avilé erzählt die Geschichte durch die Augen der jüngsten Tochter: Diese eingeschlossene Perspektive verengt den Blick, verwechselt Nähe mit Immersion.

Befragung der Bilder

Einen größeren Aufschlag macht Giacomo Abbruzzese mit seinem krude-kolonialen Fremdenlegionärsdrama „Disco Boy“, der in erster Linie von seinen glatten Bildern lebt, Die Kamerafrau Hélène Louvart modelliert die sehnige Körperlichkeit Franz Rogowskis in die Landschaft, so ragt „Disco Boy“ mit seinen selbstgewissen Angeberposen, von deren visuellen Reizen man sich trotzdem leicht um den Finger wickeln lässt, wenigstens formal aus dem Kandidatenfeld heraus. Aber sie können auch nicht von der Leere der Bilder ablenken.

Angela Schanelecs „Music“ war nicht nur der mit Abstand eigenwilligste deutsche Beitrag im Wettbewerb, er fungiert gewissermaßen auch als Gegenentwurf zu „Disco Boy“. Schanelec erschließt die Welt nicht durch die bloße Ausstellung von visuellen Eindrücken, sondern durch die Befragung ihrer Bilder. Man kann sich getrost dem Halbwachzustand von „Music“ hingeben, Schanelec gibt einem nie das Gefühl, dass ihre Darstellerinnen und Darsteller eine Welt konstruieren, sondern sie sich durch Gesten und Bewegungen lediglich zu dieser in ein Verhältnis setzen wollen. Ein Preis dürfte „Music“ sicher sein, schon weil er im Wettbewerb ein Solitär ist. Ein Goldener Bär wäre ein Bekenntnis der Jury zu einem künstlerisch gewagten Kino.

Zuletzt bleibt noch die Wahl zwischen Feelgood- und Feelbad-Kino. Celine Song hat mit ihrem erstaunlichen Debüt „Past Lives“ ein achtsames Drama über kulturelle Herkunft und verpasste Lebensentscheidungen gemacht, das das Berliner Publikum zu Tränen gerührt hat. Zieht die Jury formale Strenge in Verbindung mit emotionaler Verheerung vor, hätte auch das Mütterdrama „Mal Viver“ realistische Chancen.

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