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Im Klassiker „Café Müller“ zeigt sich, wie radikal die Choreografin Pina Bausch war.

© Oliver Look

„Club Amour“ im Haus der Berliner Festspiele: Zwischen den Stühlen

Das Tanztheater Wuppertal zeigt in Berlin den dreiteiligen Abend „Club Amour“ mit Choreografien von Pina Bausch und Boris Charmatz.

Von Sandra Luzina

Es ist eine sehr selbstbewusste Geste: Boris Charmatz, seit August 2022 künstlerischer Leiter des Tanztheaters Wuppertal, kombiniert Pina Bauschs legendäres Tanzstück „Café Müller“ von 1978 mit zwei seiner Arbeiten aus den Neunzigern. Dem Abend hat er den Titel „Club Amour“ verliehen – was ein bisschen nach Swingerclub klingt.

Mit dem dreiteiligen Programm klingt die erste Ausgabe der Performing Arts Season aus, bei der man sich des Öfteren fragte, was denn das Konzept ist. Denn es war ein bunt zusammengewürfelter Mix, der präsentiert wurde – Neuentdeckungen gab es keine.

Nun strömte das Publikum ins Haus der Berliner Festspiele, um endlich mal wieder das weltberühmte Wuppertaler Ensemble zu sehen, das nun Tanztheater Wuppertal Pina Bausch + Terrain Boris Charmatz heißt. Die Zuschauer müssen ein recht umständliches Prozedere durchlaufen. Denn ohne Weiteres lassen sich die Werke von Bausch und Charmatz nicht verbinden. Es liegen mehr als nur 20 Jahren zwischen den Arbeiten. Es sind radikal unterschiedliche Ästhetiken, die hier nebeneinandergestellt werden.

Das Publikum wird zuerst von hinten auf die Bühne geführt, wo der Chamatz-Teil stattfindet. Auf einem dreistöckigen Turm machen sich Dean Biosca, Letizia Galloni und Christopher Tandy zu Klängen von PJ Harvey warm. Dann streifen sie die Trainingshosen ab. Unten sind sie nun nackt, die weißen T-Shirts aber behalten sie an. Diese Halb-Nacktheit zerschneidet den Körper – und lenkt den Blick auf Hintern und Geschlecht.

Charmatz geht es in „Aatt enen tionon“ (1996) aber nicht nur um die Entblößung des Körpers. Auch Bedeutungen und Emotionen sollen hier abgestreift werden. Die Bewegungen sind roh und brachial – bis an die Grenze zur Selbstverletzung. Immer wieder werfen die Tänzer sich krachend zu Boden, Galloni lässt schon mal die Beine über den Rand des Gerüsts hängen. Die Tänzer leihen diesem Anti-Tanz etwas Zwingendes. Dank ihrer Interpretation sieht man nicht nur das nackte Konzept.

Um Trennung und Isolation geht es in dem Trio, das Duo „Herses“ hingegen handelt von der Sehnsucht nach völliger Verschmelzung. Boris Charmatz und Johanna Lemke halten sich zunächst am Händchen, beide sind vollkommen unbekleidet. Er legt sich zu Boden, sie gleitet und rollt über seinen Körper, stützt sich ab, stellt sich auf ihn.

Dann wieder verknoten die beiden ihre Leiber, als wollten sie eine unzertrennliche Einheit bilden. Die Gewichtsverlagerungen werden hier äußert sensibel ausgeführt. Doch der Wunsch nach vollkommener Symbiose hat auch etwas Beklemmendes.

Wenn nach einer 45-minütigen Umbaupause der Klassiker „Café Müller“ gezeigt wird, finden wir uns im Club der einsamen Herzen wieder. In dem Tanzstück geht es um unerfüllte Sehnsucht und Einsamkeit, aber auch um einschnürende Geschlechterrollen.

Vergebliche Umarmungen

Tsai-Chin Yu taumelt wie somnambul über die vollgestellte Bühne, stößt immer wieder an Stühle und Tische, während Alexander Lopez Guerra unablässig versucht, ihr die Hindernisse aus dem Weg zu räumen. Vergebliche Umarmungen, Körper, die entgleiten. Mann und Frau finden nicht aus den alten Mustern heraus.

Naomi Brito verkörpert den Part, den Pina Bausch einst getanzt hat. Das macht sie ganz wunderbar. Die weit ausholenden, weichen Armbewegungen, das Zusammenziehen der Körpermitte: Ihr Tanz schwankt zwischen Verlangen und Klage.

Es wird deutlich, wie radikal Pina Bausch war bei der Wahl ihrer Themen und Formen. Doch das Stück wirkt heute historisch – nicht nur wegen des etwas antiquiert anmutenden Frauenbildes. Auch bei den Charmatz-Stücken, die beide schon in Berlin zu sehen waren, wird der zeitliche Abstand deutlich.

Erhellend wirkt die Gegenüberstellung der Werke von Bausch und Charmatz nicht. Ein polyamouröser Abend ist „Club Amour“ nicht. Eher hat man den Eindruck, dass das Tanztheater Wuppertal zwischen zwei Stühlen sitzt.

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