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Der Choreograf Jefta van Dinther beschränkt sich auf wenige Bewegungen, seine Choreografie tendiert zum Minimalistischen. 

© Jubal Battisti/Adam Munnings

Den Fliehkräften trotzen: Von Mensch und Maschine im HAU

Der Choreograf Jefta van Dinther erkundet in „Remachine“ im HAU1 das Spannungsverhältnis von Mensch und Maschine.

Von Sandra Luzina

Die hölzerne Drehscheibe mit einem Durchmesser von elfeinhalb Metern füllt fast die gesamte Bühne des HAU1 aus. Anfangs dreht sie sich ganz langsam; die fünf Tänzerinnen und Tänzer, die mit Abstand voneinander auf dem Rand der Scheibe knien, ziehen gemächlich am Publikum vorbei, werden bewegt von der Bühnenapparatur. In „Remachine“ ist es zunächst der Gesang, der in den Bann zieht. Eine Frau stimmt die ersten Zeilen aus Anna von Hausswolffs Song „Ugly and Vengefull“an, daraus entwickelt sich ein mehrstimmiger Chorgesang, bis wieder eine Solostimme übernimmt.

Inbrünstiger Gesang

Der Komponist David Kiers hat drei Songs der schwedischen Sängerin und Komponistin, deren Musik Einflüsse von Dark Ambient und Post Gothic aufweisen, für „Remachine“ neu arrangiert. Stärker noch als in seinem letzten Stück „Unearth“ von 2022 setzt der Choreograf Jefta van Dinther die Stimmen ein. Die Performer haben ein intensives Stimmtraining erhalten – mit erfeulichem Resultat: Selten hört man Tänzer so schön und inbrünstig singen. „I’m restless, I’m older I’m heavy like a stone“. Die verätselten und elegischen Texte eröffnen einen Resonanzraum, doch wie alle Arbeiten van Dinthers bleibt auch „Remachine“ abstrakt.

Die Frage, wie der Körper durch seine Umwelt konditioniert wird, zieht sich durch viele seiner Arbeiten. Doch ein Determinist ist van Dinther ganz sicher nicht. Die Drehscheibe verweist nun auf die Sphäre der Arbeit und auch auf den Theaterapparat. Immer schneller dreht sich die Platte, und zunächst sieht es so aus, als ob die Tänzer mit ihren Händen die Maschine anschieben und am Laufen halten. Doch rasch wird klar, dass sie der Mechanik der Apparatur unterworfen sind. Sie sind starken physikalischen Kräften ausgesetzt und müssen insbesondere den Fliehkräften trotzen.

In der Arbeit von van Dinther wird der Mensch der Mechanik der Apparatur unterworfen.

© JUBAL BATTISTI

Existentielle Metapher

Erst kriechen sie auf allen vieren über die Platte oder schieben sich auf dem Rücken oder auf der Seite liegend vorwärts. Wenn sie aufrecht stehen, bewegen sie sich behutsam, als ob sie über Eis laufen müssen. Mal in der Drehrichtung, mal in der Gegenrichtung. Mühselig ist die Fortbewegung auf der unaufhörlich kreisenden Scheibe. Oft entsteht der Eindruck, dass die Performer nicht vorwärtskommen oder immer wieder zurückgeworfen werden. Sie müssen sich ins Zeug legen, immer wieder neu Anlauf nehmen – und drehen sich doch im Kreis. Fast wird die Drehscheibe hier zur existentiellen Metapher. Die elektronische Musik, die David Kiers ergänzend von den Songs von Anna von Hausswolff komponiert hat, untermalen die beschwerlichen Aktionen mit maschinellen und düster dräuendend Sounds.

Jefta van Dinther beschränkt sich auf wenige Bewegungen, seine Choreografie tendiert zum Minimalistischen. Manche der Sequenzen werden unablässig wiederholt. Durch Repetionen und Rhythmisierung entwickeln sie aber einen enormen Sog. Gegen Ende hat „Remachine“etwas von einem Bühnenritual. Die Performer hocken im Kreis und stecken die Köpfe zusammen,dannzieht jeder von ihnen an einem langen Seil. Am Ende hängen sie selbst am Seil und kippen nach vorn. Dazu singen sie den Song „The Truth, The Glow, The Fall”, der mit der mehrfach wiederholten Zeile „Will we fall“ endet.

Jefta von Dinther hat sich von den Bühnenmaschinen des Regisseurs Ulrich Rasche inspirieren lassen, der Drehscheiben, Laufbänder und Walzen in seinen chorischen Inszenierungen einsetzt. Doch seine Choreografie besitzt nicht die Unerbittlichkeit von Rasches Maschinentheater. „Remachine“ ist ein sehr physisches und zugleich ein dunkel poetisches Stück. Die Tänzer müssen sich heftig ins Zeug legen. Doch sie absolvieren diesen Kraftakt, ohne zu verhärten und ermatten, sie bleiben sensibel und ausdrucksstark. Durch den Gesang katapultieren sie sich in eine andere Sphäre – jenseits aller materiellen Zwänge.

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