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Die Kit Kat Girls (Sarah Fleige, Alexander Findewirth, Kiara Brunken, Julie Wolff und Jacqueline Macaulay) im Doppeldecker von 1965 auf „Cabaret“-Tour.

© Geisler-Fotopress/Brigitte Dummer/Geisler-Fotopress

Auf den Spuren von Christopher Isherwood: Wo das Musical „Cabaret“ spielte

Die Berlin-Romane des britischen Schriftstellers sind die Vorlage des Musicals, das den Sommer über im Tipi am Kanzleramt läuft. Jetzt ging es per Bustour mit dem Ensemble an die Originalschauplätze.

Sally Bowles und die Kit Kat Girls blinzeln verstört. Die Nachtgestalten sind nicht gemacht für das grelle Sonnenlicht, das zwischen den Regenschauern auf das Pflaster des Bebelplatzes fällt. Dort sammelt sich das Ensemble des Musicals „Cabaret“ am Mittwoch an Micha Ullmans Denkmal der Bücherverbrennung. Und selbst die qua Rolle auf Aufgekratztheit geeichten Girls versuchen, nachdenklich aus der Unterwäsche zu schauen. Durch die Glasscheibe im Pflaster, die den Blick auf die leeren Regale freigibt, die an den Tag im Mai 1933 erinnern, als die Nationalsozialisten hier Bücher verbrannten.

Dieser Kulturbruch entsetzt den Schriftsteller Christopher Isherwood so, dass er der Stadt drei Tage später den Rücken kehrt. Trotzdem oder gerade deswegen widmet er ihr zwei Bücher „Mister Norris changes trains“ und „Goodbye to Berlin“, die die literarische Vorlage für das Musical „Cabaret“ bilden.

„Cabaret“, der Broadway-Hit von John Kander und Fred Ebb, 1966 uraufgeführt und 1972 mit Liza Minnelli in der Hauptrolle der Nachtclubsängerin Sally Bowles verfilmt, hat es in der Berliner Inszenierung von Vincent Paterson inzwischen zu einer Rekordspielzeit gebracht. Ein Grund für die beiden Showzelte Bar jeder Vernunft, wo „Cabaret“ 2004 mit Anna Loos in der Titelrolle Premiere feierte, und Tipi am Kanzleramt, wo das Musical seit 2010 jeden Sommer läuft, zu einer werbewirksamen Bustour zu laden.

Im Kultursommerloch nimmt auch prompt die ganze Hauptstadtpresse teil. Der Plan, in einem Oldtimerbus aus den 30er Jahren herumzugondeln, musste mangels Betriebserlaubnis fallen gelassen werden. Nicht schlimm, der Doppeldecker aus den 60ern knattert schon laut genug.

Im Kit Kat Club. Der Conférencier und die Girls (Deliah Stuker, Kiara Brunken, Florian Stanek, Mogens Eggemann, Sarah Fleige (v.l.n.r.).

© TIPI AM KANZLERAMT/Barbara Braun

Unter kundiger Stadtführung des Kulturjournalisten Axel Schock geht es auf Christopher Isherwoods Spuren. Start ist am Kurfürstendamm, wo im ehemaligen Revuetheater „Himmel und Hölle“ auch die Sängerin und Kommunistin Jean Ross auftrat, die als Vorbild der kessen Sally Bowles in „Cabaret“ diente. Weiter geht es zum Szeneviertel am Nollendorfplatz mit Etablissements wie dem „Eldorado“, das die Nationalsozialisten 1933 schlossen, und schließlich zum Anhalter Bahnhof.

Die Entertainerin und Kommunistin Jean Ross war das Vorbild für Sally Bowles.

© Bar jeder Vernunft

Dort kommt der Brite Isherwood im März 1929 in Berlin an, um seinen ebenfalls homosexuellen Literatenkollegen W.H. Auden zu besuchen. Im Novemer 1929 zieht er, angezogen von der in ganz Europa bekannten Schwulen- und Lesbenszene, ganz in die Stadt und kommt zuerst im Institut des Sexualwissenschaftlers Magnus Hirschfeld unter, das im Tiergarten dort liegt, wo heute Haus der Kulturen der Welt und Tipi siedeln.

Pensionsgenossen. Clifford Bradshaw (Alexander Donesch) und Sally Bowles (Paulina Plucinski.

© TIPI AM KANZLERAMT/Barbara Braun

Ach, hier ist also meine Pension“, spricht beim Boxenstopp vor der Nollendorfstraße 17 die Pensionswirtin Fräulein Schneider (Regina Lemnitz), bei der in „Cabaret“ Clifford Bradshaw, Isherwoods Alter Ego, ebenso logiert wie seine Flamme Sally Bowles (Paulina Plucinski). Eine Bronzetafel hängt zu Ehren des Autors am Haus, vor dem sich das Ensemble versammelt. Giftig angezischt von einem Radfahrer, dem der Tross auf dem Bürgersteig im Weg ist.

Die reale Wirtin, Meta Thurau, hat der Autor nach dem Krieg tatsächlich nochmal wieder gesehen. Ebenso wie Heinz Neddermeyer, einen seiner proletarischen Geliebten, den Isherwood als 17-jährigen Straßenkehrer 1932 kennenlernt. Neddermeyer, für den sich Isherwood nach der NS-Machtübernahme vergeblich um eine andere Staatsangehörigkeit bemüht, wird 1937 von der Gestapo verhaftet. Wegen Wehrdienstverweigerung und seiner Homosexualität.

Es sind ernste Geschichten aus jener vom politischen Umbruch geprägten, keineswegs „goldenen“ Zeit. „Arbeitslosigkeit, Armut und Hass auf den Versailler Vertrag“, das ist es, was Isherwood in Berlin beobachtet. Trotzdem blüht das Amüsement, in 50 Theatern, 360 Kinos und 150 Varietébühnen, die größten davon - Wintergarten, Scala und Plaza - mit 3000 Plätzen. Und „Cabaret“ fungiert als der Spiegel.

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