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Einwohner bei einer Demonstration in der Hauptstadt Sofia.

© Imago/Liubomir Asenov

Verliert die EU noch ein Mitglied an Russland?: Das steht bei Bulgariens Neuwahl auf dem Spiel

Bulgariens Politik ist tief gespalten. Die kommende Wahl könnte entscheiden, wo das Land langfristig hinsteuert: nach Westen oder, wie Ungarn, in die Einflusssphäre Moskaus.

Bombendrohungen, die wenige Tage vor der Parlamentswahl in Bulgarien an Dutzende Schulen im Land gingen, seien „in irgendeiner Weise mit Russland verbunden“. Das sagte der geschäftsführende Innenminister Iwan Demerdschiew am vergangenen Dienstag.

Die meisten Wahllokale des Landes sind in Schulen untergebracht. Bisher sind die Drohungen falscher Alarm, viele Schulen bleiben dennoch geschlossen.

Unklar ist, wer hinter den Drohungen steckt. Der Zeitpunkt deutet auf eine mögliche Wahlbeeinflussung hin. Am Sonntag wählt Bulgarien ein neues Parlament, es ist die fünfte Wahl innerhalb von zwei Jahren.

Versucht Russland, das Land vor der Wahl zu destabilisieren, um die Kontrolle in Osteuropa zu halten? Der Innenminister will sich nicht einschüchtern lassen. Die Wahl werde nur unterbrochen, „wenn es eine reale Gefahr gibt“.

Die große Streitfrage: Waffenlieferungen an die Ukraine?

Der Kreml versucht immer wieder, Einfluss auf das zu Ostblockzeiten russlandtreue Bulgarien zu nehmen: Durch Spionage, Nervengiftanschläge auf Waffenhändler, die die Ukraine beliefern, oder die Strafverfolgung des bulgarischen Investigativjournalisten und „Bellingcat“-Chefs Christo Grozev.

Bei der Wahl am Sonntag könnte sich entscheiden, ob Bulgarien einen ähnlichen Weg einschlägt wie Ungarn – mitten in der EU und doch abhängig von Russland?

Die politische Lage in Bulgarien ist seit dem wegen Korruptionsvorwürfen zurückgetretenen Ministerpräsidenten Bojko Borissow 2020 instabil. Kleine oder neu gegründete Parteien ringen um die politische Macht im Land, Regierungsbildungen sind wegen der unterschiedlichen Positionen schwierig.

Nach nur neun Monaten an der Macht zerbrach die Koalition unter Kiril Petkow an der Frage nach Waffenlieferungen an die Ukraine. Seine Partei „Wir setzen den Wandel fort“ (PP) verspricht den Kampf gegen die Korruption im Land, die Abkehr vom russischen Energiesektor – und Waffenlieferungen an die Ukraine. Die Sozialistische Partei, ehemalige Koalitionspartnerin, sprach sich stets strikt dagegen aus.

Kiril Petkov, Ex-Ministerpräsident und Vorsitzender der Reformpartei PP.

© Reuters/Stoyan Nenov

Aktuelle Prognosen sehen die Partei am Sonntag bei 27,2 Prozent der Stimmen. Damit läge sie nur knapp vor ihrem politischen Rivalen Gerb, der nationalkonservativen Partei Bojko Borissows. Gerb vertritt offiziell pro-europäische Positionen, duldete allerdings jahrzehntelang russische Spione in Sofia.

Das Machtmonopol der Sozialisten

Erst Petkows Reformregierung wies im Juni 70 russische Diplomaten aus. Unter Borissow wurde Bulgarien dagegen abhängiger von Russland: Bevor Gazprom Gaslieferungen nach Bulgarien im vergangenen Frühjahr einstellte, bezog das Land 94 Prozent seines Gases aus Russland.

Auf Russlands Seite steht traditionell die Sozialistische Partei, die in den Prognosen mit 9,3 Prozent relativ schlecht dasteht. Bulgariens Präsident Rumen Radew – Mitglied der Sozialistischen Partei, kremltreu und ehemaliger Berufssoldat – ist kommissarisch der erste Mann im Staat und setzt in Zeiten der politischen Krise die Übergangsregierung ein.

Dadurch halten die Sozialisten das Machtmonopol im Land, profitieren von der jahrelangen politischen Instabilität. Scheitert eine Regierungsbildung am Sonntag erneut, wird das Land weiterhin von hochrangigen pro-russischen Sozialisten geführt.

Mit dieser Führung würde das Land nach der Wahl am Sonntag weiterhin einen kremlnahen Kurs fahren. In der Realität zeigt sich das jetzt schon: Bei einer Konferenz Ende März sagte Präsident Rumen Radew vor Journalisten, Bulgarien werde sich „bis nach den Wahlen nicht an der gemeinsamen EU-Beschaffung von Munition für die Ukraine beteiligen, aber die europäischen diplomatischen Bemühungen zur Wiederherstellung des Friedens unterstützen“.

Auch könnte sich das Land mit Radew an der Macht erneut Gazprom annähern und damit künftig wieder Gaslieferungen aus Russland beziehen.

Rumen Radew ist Staatspräsident und Chef der kommissarischen Regierung.

© Reuters/Marko Djurica

Noch pro-russischer als die Sozialisten äußert sich die rechtsnationale Partei „Wiedergeburt“. Deren Parteichef, Konstantin Kostadinov, nennt pro-westliche Parteien „Projekte der amerikanischen Botschaft“, die Bulgarien „in einen Krieg mit Russland werfen“ würden.

Minderheitenregierung möglich

Bisher konnte die Partei bei jeder erneuten Wahl mehr Stimmen für sich gewinnen. Am Sonntag wird sie Umfragen zufolge wohl auf über zwölf Prozent der Stimmen kommen. Ein Rekord für die Rechtsnationalen.

Diesen Erfolg will die Partei um den Ex-Ministerpräsidenten Kiril Petkow verhindern.

Die Vorsitzenden kündigten an, eine Minderheitenregierung anzustreben: „Wir werden eine Regierung mit einer positiven Politik vorschlagen. Ich möchte sehen, welche Partei, wenn nach fünf Wahlen eine Regierung vorgeschlagen wird, nicht bereit wäre, eine solche Regierung zu unterstützen.“

Denn Petkow zufolge entscheidet sich bei der Wahl Bulgariens geopolitische Stellung zwischen Russland und der Europäischen Union.

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