zum Hauptinhalt
Ein Windpark in Sieversdorf in Brandenburg

© dpa/Patrick Pleul

Globalisierung? Das war einmal : Immer mehr Länder greifen zu Subventionismus und Protektionismus

Das Ende des freien Welthandels naht - auch im Namen des Klimaschutzes. Die EU will einen „Green-Deal-Industrieplan“ als Antwort auf den „Inflation Reduction Act“ (IRA) in den USA.

Ein Kommentar von Malte Lehming

Was Ungleichheit bewirkt, lehrt die Geschichte der DDR. Am 24. November 1989, zwei Wochen nach dem Fall der Mauer, lief in der Jugendsendung „Elf99“ die Reportage „Einzug ins Paradies“. Gezeigt wurden Bilder aus der Waldsiedlung Wandlitz, in der Mitglieder des Politbüros des ZK der SED gewohnt hatten.

Dort gab es frisches Obst und Gemüse, Schwimmbad und Sauna, eine Tennisanlage und ein Klubhaus mit Arztpraxis. Kurz alles, wovon der Rest des Volkes allenfalls träumen konnte. Die Dokumentation entfachte Empörung und Wut. Endgültig als Lüge enttarnt war die sozialistische Erzählung von Gleichheit und Solidarität.

Das Gefühl von Gerechtigkeit ist oft an die Erfahrung von Gleichheit gebunden. Um das zu illustrieren, haben Soziologen einen Test entwickelt. Der geht so: Ihr Chef stellt Sie vor eine Alternative. Sie können entweder 1000 Euro monatlich mehr verdienen, während alle anderen Mitarbeiter 2000 Euro mehr erhalten. Oder aber jeder bekommt eine Gehaltserhöhung von 500 Euro. Was ist Ihnen lieber? Die meisten Probanden votieren für die zweite Variante.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen von unseren Redakteuren ausgewählten, externen Inhalt, der den Artikel für Sie mit zusätzlichen Informationen anreichert. Sie können sich hier den externen Inhalt mit einem Klick anzeigen lassen oder wieder ausblenden.

Ich bin damit einverstanden, dass mir der externe Inhalt angezeigt wird. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr Informationen dazu erhalten Sie in den Datenschutz-Einstellungen. Diese finden Sie ganz unten auf unserer Seite im Footer, sodass Sie Ihre Einstellungen jederzeit verwalten oder widerrufen können.

Es gibt mehr Superreiche und mehr Bitterarme

Pünktlich zum Beginn des Weltwirtschaftsforums in Davos hat die Entwicklungsorganisation Oxfam ihren Reichtumsbericht vorgelegt. Wie in den vergangenen Jahren lautet die Bilanz: Die globale Ungleichheit wächst weiter, gleichzeitig grassiert die Armut. Es gibt mehr Superreiche und mehr Bitterarme. Pandemie und Krieg, steigende Lebensmittel- und Energiepreise beschleunigen die Entwicklung.

Das sah vor rund einem Jahrzehnt noch anders aus. Im Jahr 2011 nahm die einkommensbezogene Ungleichheit auf der Welt stärker ab als zu. In den USA und anderen westlichen Ländern wurde die Kluft zwar größer, aber weil bevölkerungsreiche Staaten, die einst sehr arm waren – China, Indien – ein hohes Wirtschaftswachstum hatten und dadurch den Abstand zu den reichen Industrienationen verringern konnten, wies der globale Trend in Richtung größerer Gleichheit.

Nun wächst auch in den Schwellenländern die Zahl der Topverdiener. Brasilien, China und Indien produzieren reihenweise Milliardäre. Der Reichtum russischer Oligarchen ist legendär. Eine globale Elite häuft Unsummen an und widerlegt die These, dass wachsender Wohlstand automatisch zu weniger Armut führt. Oxfam, eine Nichtregierungsorganisation, rät dringend zu einer höheren Besteuerung von Übergewinnen, Erbschaften und hohen Vermögen.

Energien, Elektroautos und Batterien werden subventioniert

Doch lässt sich die Bekämpfung globaler Ungleichheit mit nationalstaatlichen Mitteln lösen? Oder gehen nicht gerade von nationalen Finanz- und Wirtschaftsmaßnahmen hohe Risiken für die Weltwirtschaft aus? Globale Ungleichheit ist ein großes Problem, mindestens ebenso groß ist das des Protektionismus, verbunden mit hohen staatlichen Subventionen und rigiden Exportauflagen.

Eine globale Elite häuft Unsummen an und widerlegt die These, dass wachsender Wohlstand automatisch zu weniger Armut führt.

Malte Lehming

Ein Beispiel dafür ist der sogenannte Inflation Reduction Act (IRA), den US-Präsident Joe Biden im vergangenen August unterzeichnet hatte. Das Gesetz soll den Umbau zu einer emissionsarmen Wirtschaft beschleunigen. Mit knapp 400 Milliarden Dollar werden bevorzugt Energien, Elektroautos und Batterien subventioniert, die in den USA hergestellt werden. America first. Die Konsumenten dieser Produkte werden mit Steuervergünstigungen belohnt.

Protektionismus im Namen des Klimaschutzes. Längst sind Ökologie und Wirtschaft keine Gegensätze mehr, sondern ergänzen einander. Ständig neue Umweltschutznormen kurbeln die Produktion an – von Glühbirnen bis zu Kühlschränken und Elektroautos – und eignen sich hervorragend als Importabwehrwaffe. Plastikpuppen aus China oder genmanipulierte Nahrungsmittel aus Afrika? Kommen nicht ins Land.

Analog zum amerikanischen IRA fordern der französische Präsident Emmanuel Macron und EU-Chefin Ursula von der Leyen daher einen „Buy Europe Act“, um einen ähnlichen Mechanismus innerhalb der Europäischen Union in Gang zu setzen. Eigene Produkte subventionieren, den Export von Hightech-Produkten unterbinden, den Import fremder Produkte durch hohe Öko-Standards erschweren: Soll das die Zukunft der Weltwirtschaft sein? Und welches Land folgt als nächstes? Japan, Südkorea, China? Der „Economist“ warnt bereits vor einer „gefährlichen Spirale“.

Klimaschutz kostet. Wenn Mieten steigen, weil Altbauten saniert werden, wenn Energie teurer wird, weil Erneuerbare ausgebaut werden, dann trifft das die sozial Schwächeren härter als die Vermögenden. Nicht nur Krieg und Pandemie vergrößern die Ungleichheit, sondern auch Gesetze wie den IRA. Die Konsequenzen zunehmend protektionistischer und subventionsgeleiteter Wirtschaftspolitik sollten im nächsten Reichtumsbericht von Oxfam dringend mit aufgelistet werden.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false