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Hermann Rudolph, ehemaliger Herausgeber und Chefredakteur des Tagesspiegel, im Hof des ehemaligen Tagesspiegel-Redaktionshauses an der Potsdamer Straße.

© Sven Darmer/Sven Darmer

Hermann Rudolph wird 85. : Bildung kann so unterhaltsam sein

Hermann Rudolph wird 85. Viele Jahre war er Herausgeber des Tagesspiegels. Der verdankt ihm sehr viel.

Hermann Rudolph wird 85. Kaum zu glauben ist das. Denn seine jugendfrischen Gedanken, seine Geistesschärfe lehren: Alter ist auch nur eine Behauptung.

Lehren ist ein gutes Stichwort. Hermann Rudolph lehrt allein schon in seiner Person eine Menge. Seine Form von Bürgerlichkeit, eine, die zu seinen Jugendzeiten noch gesellschaftlich en vogue war: die des Bildungsbürgerlichen. Was er nicht alles weiß! Ein wandelndes Institut der Zeitgeschichte ist er.

Gegenwärtig sein, geistesgegenwärtig, das verbindet sich als Bild mit Hermann Rudolph.

Stephan-Andreas Casdorff ist Herausgeber des Tagesspiegel. Es ist ihm Freude und Ehre, seinem Vorgänger zu gratulieren.

Und intellektuell im besten Sinne. Nicht abgehoben, nicht mit Blick aus dem Elfenbeinturm des Gelehrten, ohne Rufe aus dem Wolkenkuckucksheim – nein, Rudolph hat einen (früher sagte man das so) formidablen Plattenschrank. Aus dem kann er nach Belieben auflegen.

So viel Wissen, das nachhallt

Politik, Kultur, Politik als Kultur, Gesellschaft als Politik – Hermann Rudolph kennt das alles. Und lernt noch immer neu kennen. Im Kaiser-Friedrich-Museumsverein, in der James-Simon-Stiftung, bei der Villa Grisebach oder in Oper und Theater – da kann man ihm begegnen. Diese Begegnungen sind ein Gewinn, jedes Mal. Bildung kann so unterhaltsam sein!

Ja, er spricht sehr leise. Aber er formuliert beeindruckend, nachhallend, oft in Begriffen. Die doch mehr als Worte sind, die wiederum mehr als Wörter, und die Unterscheidung – ach, man kann mit ihm abschweifen, ausschweifen. Oder sehr präzise beschreiben, was ist. Sein historisches Wissen passt nur zu gut in die Gegenwart.

Mittendrin, statt nur dabei: Hermann Rudolph liest aus seinem Buch „BERLIN - Wiedergeburt einer Stadt“ und diskutiert  anschließend mit Bernd Matthies, Elisabeth Binder, Brigitte Grunert und Robert Ide.
Mittendrin, statt nur dabei: Hermann Rudolph liest aus seinem Buch „BERLIN - Wiedergeburt einer Stadt“ und diskutiert anschließend mit Bernd Matthies, Elisabeth Binder, Brigitte Grunert und Robert Ide.

© Doris Spiekermann-Klaas TSP

Gegenwärtig sein, geistesgegenwärtig, das verbindet sich als Bild mit ihm. Dass er im neu erstehenden Bürgertum Berlins nach der Wiedervereinigung eine große Rolle spielte und spielt, gehört in seine Lebensmelodie. Der Sohn Sachsens, geboren in Oschatz, verwoben mit Karl-Marx-Stadt, das inzwischen wieder Chemnitz heißt, verbindet in seiner Person Ost und West.

Sein Lebensweg als Partitur: Bis 1959 lebte und arbeitete Hermann Rudolph in der DDR, bei Zeitungen der Ost-CDU hat er angefangen. Dann der Weg nach Westen, zum Studium der Literatur- und Sozialwissenschaften in Freiburg, München und Tübingen, wo er auf den großen Theodor Eschenburg traf, den ersten Inhaber eines Lehrstuhls für Politikwissenschaft in Deutschland. Der lehrte, Politik auf Begriffe zu bringen, damit die Menschen sie verstehen – genau, daher …

Auf ihn trifft zu, was zitiert werden will, um dem Bildungsbürger die Ehre zu geben. Also, wie der berühmte Max Weber 1904 den Menschen beschrieb: als ein Wesen in seinem selbst gesponnenen Bedeutungsgewebe, und das Gewebe sei Kultur. Kultur! Die ist, wie Ernst Cassirer meinte, das praktische Tätigwerden des Menschen in dessen Umgang mit der Welt. Sprich: Alles ist Kultur. Sagen wir nicht auch gerne, dieser oder jener habe Kultur? Genau. Und Menschen mit Kultur sind, frei nach Immanuel Kant, der Endzweck der Natur.

Lieber ein schiefes Bild als gar keines

Jetzt wird Hermann Rudolph den Kopf schütteln; denn verständlich zu bleiben, war ihm schon wichtig. Darum auch lautete einer seiner Lehrsätze: Lieber ein schiefes Bild als gar keines. Worüber man ja durchaus auch streiten kann. Was mit ihm, dem kulturvollen Konservativen liberalster Prägung, auch gut ging.

Der Weg da hin – im Anschluss an die Promotion – waren immer erste Adressen, die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“, die „Zeit“, im „Deutschlandfunk“ als Leiter der Abteilung Politik und Zeitgeschehen, als Innenpolitikchef der „Süddeutschen Zeitung“. Dann, der Höhepunkt, von 1991 an beim Tagesspiegel als Chefredakteur und viele Jahre als Herausgeber, ein Ratgeber und Autor von Rang.

Ohne ihn gäbe es den Tagesspiegel womöglich heute gar nicht mehr. Er gewann die Familie Holtzbrinck als Eigentümer und Verleger, mit der aus dieser Zeitung erst das Medienhaus und Leitmedium werden konnte. Man kann also angelehnt an die altrömische Dankesformel sagen: Hermann Rudolph hat sich um den Tagesspiegel verdient gemacht – und weit über ihn hinaus.

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