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Alles im Griff: Gemüseanbau ohne Traktoren in Steinhöfel, östlich von Berlin. Hier wirtschaften drei Tiny Farms.

© Carla Ulrich

Unsere kleine Farm: Tiny Farms macht Städter zu Gärtnern

Im Nebenberuf Gemüse anbauen oder gleich Gärtner werden: „Tiny Farms“ bringt Menschen zum Ackern, die sonst wohl nie in der Landwirtschaft gelandet wären.

Wer im Umland von Berlin unterwegs ist, kommt an schier endlosen Ackerflächen mit Getreide, Raps oder Futtermais vorbei, die von gewaltigen Maschinen bearbeitet werden. Doch zur unmittelbaren Versorgung der nahen Großstadt tragen sie oft wenig bei.

Trotz lebhafter Nachfrage liegt der Anteil von regionalem Biogemüse noch immer im einstelligen Prozentbereich. „In der Landwirtschaft fehlen Fachkräfte“, sagt Jacob Fels, der versucht, neue Hände und Köpfe dafür zu gewinnen, Salat, Bohnen und Tomaten vor den Toren der Stadt anzubauen. Und zwar ohne Traktoren, auf kleinen Betrieben, die Vielfalt zurückbringen wollen aufs Land.

Tiny Farms heißt das Unternehmen, das Fels zusammen mit Tobias Leiber gegründet hat, Unternehmensberater der eine, Agrarwissenschaftler der andere. Beide beschäftigen sich seit vielen Jahren mit Formen nachhaltiger Landwirtschaft – und haben genau ausgerechnet, welch große Chancen in kleinen Strukturen stecken. Ursprünglich hatten sie die Idee, stadtnah Biogemüse für Kitas und Schulkantinen zu produzieren.

Dann kam Corona und ihr wichtigster Partner wurden die Bio-Märkte der LPG, deren Salate heute zum größten Teil aus Steinhöfel östlich von Berlin stammen. Dort liegen gleich drei Tiny Farms, zusammen sind sie kleiner als zwei Fußballfelder. Auch Restaurants wie das „Nobelhart & Schmutzig“ werden mit tagesfrischem Grün beliefert, auf Wunsch des „Ernst“ werden Azukibohnen angebaut.

40 Interessenten starten diese Saison an der Academy

Alle, die hier arbeiten, leben eigentlich in der Stadt und pendeln zum Gärtnern aufs Land. Vom Bahnhof Friedrichstraße nach Steinhöfel geht es mit dem Regionalexpress der Linie 1 in gut 40 Minuten bis nach Fürstenwalde/Spree, die letzten Kilometer zu den Farmen kann man mit dem Fahrrad oder dem gemeinschaftlich genutzten Auto zurücklegen. Bronwyn Carter etwa arbeitet als Künstlerin in Stadt, zu Tiny Farms haben sie ihre Liebe zu Tomaten und der Austausch in einem Team von Gleichgesinnten geführt.

Das als nachhaltiges Start-up ausgezeichnete Unternehmen versteht sich als Inkubator für neue Ideen und Geschäftsgründungen. Dafür gibt es die eigene Academy, bei der über eine Saison hinweg die wirtschaftlichen und biologischen Grundlagen des Gärtners vermittelt werden. Im ersten Jahrgang haben 14 Neugärtner an den zehn Modulen teilgenommen, dieses Jahr sind es schon 40, die Zeit, schmutzige Hände und 1.350 Euro Teilnahmegebühr investieren.

Gemeinsam lernen: Die Academy vermittelt Wissen – und die Freude daran, es zu teilen, etwa beim Erntedankessen auf der Farm.
Gemeinsam lernen: Die Academy vermittelt Wissen – und die Freude daran, es zu teilen, etwa beim Erntedankessen auf der Farm.

© Carla Ulrich

Johann Warburg schaut gerade nach seinen Beeten. Der Wirtschaftsingenieur hat im vergangenen Jahr die Academy besucht und wollte sein Wissen danach weiter erproben. Also tat er sich mit vier weiteren Absolvent:innen zusammen und bewirtschaftet mit ihnen nun einige Beete in Steinhöfel.

Einen Tag in der Woche nimmt sich der 30-Jährige dafür Zeit, vier Tage arbeitet er bei einem Energie-Start-up in Berlin. Und wenn an seinem Feldtag doch mal ein Meeting angesetzt ist, klappt Warburg sein Laptop unter dem Vordach des Containers auf, in dem die Gerätschaften der Tiny Farms lagern. Danach wird weiter gejätet.

Ob er einmal seine eigene Farm betreiben wird, weiß er noch nicht. Aber sich selbst und Freunde mit frischem Gemüse versorgen zu können, spricht ihn an. Tiny Farms will Menschen ohne landwirtschaftlichen Hintergrund dazu ermutigen, sich selbstständig zu machen. Ziel ist es, dass überall im Land Hunderte neuer Farmen entstehen. Demnächst ist es nahe Hamburg so weit, in der Uckermark wagt zur nächsten Saison ein Absolvent der Academy den Sprung.

Neues Leben für die Reste alter Höfe

Tobias Leiber, der selbst von einem Hof in Schleswig-Holstein stammt, glaubt an die Belebung ländlicher Räume, in denen dann auch wieder Menschen Arbeit finden. „Es gibt viele Resthöfe, denen rund um die Hofstelle meist genug Land für eine Tiny Farm geblieben ist“, erklärt er. Eine Chance, dort wieder leben und arbeiten zu können.

Um herauszufinden, wie man auf engstem Raum erfolgreich wirtschaften kann, hat Leiber die „Market Gardener’s Masterclass“ von Jean-Martin Fortier besucht. Der Kanadier lebt außerhalb von Montreal und hat die Idee von der kleinen Farm gründlich durchgeplant. Beeinflusst haben ihn Besuche in Kuba, wo sich aus dem allgegenwärtigen Mangel ein intensiver Gemüseanbau ohne Traktoren und synthetischen Dünger entwickelt hatte.

Frisch geerntet: Tiny Farms bietet jetzt auch eine Abo-Kiste an, die wöchentlich 6 bis 8 Sorten Biogemüse nach Hause bringt (Infos unter: tinyfarms.de/veggies).
Frisch geerntet: Tiny Farms bietet jetzt auch eine Abo-Kiste an, die wöchentlich 6 bis 8 Sorten Biogemüse nach Hause bringt (Infos unter: tinyfarms.de/veggies).

© Carla Ulrich

In Frankreich lernte Fortier, wie dicht Pflanzen stehen können, wenn die Felder nicht nach den Bedürfnissen der Maschinen angelegt werden. Wenn Salatköpfe oder das Grün der Mohrrüben ein geschlossenes Dach über dem Boden bilden, wird das Wasser besser im Boden gehalten, das biologische Leben im Untergrund ist reicher und weniger unerwünschte Beikräuter können sich ausbreiten. Mit seinen Vorträgen hat Fortier Menschen weltweit dafür begeistert, selbst Gemüse anzubauen und direkt zu verkaufen, auf Märkten und an Abonnenten, die ihre Kisten im Voraus bezahlen.

Huckepack bei großen Betrieben findet sich Land

Etwa 30.000 Euro muss investieren, wer seine eigene Tiny Farm starten will, darin sind die Bodenaufbereitung, die Erstbepflanzung und die erforderliche technische Ausstattung enthalten. Ein kleiner Betrag, gemessen daran, dass für Traktoren sechsstellige Beträge fällig sein können. Das Land selbst ist meist gepachtet, in Steinhöfel etwa von Biobauer Johann Gerdes. „Wir gehen auf kleine Stücke, die von den Landwirten mit ihren großen Gerätschaften gar nicht bearbeitet werden können“, erklärt Jacob Fels den „Huckepack“-Ansatz.

Tiny Farms verbindet Market Gardening mit einem Netzwerk: Eine Software hilft dabei, mit dem Anbau flexibel auf die Nachfrage zu reagieren. Jungpflanzen können gemeinsam günstig eingekauft werden und der Vertrieb hilft, das reife Gemüse auch zu verkaufen. Die Quote liegt laut Fels bei knapp 95 Prozent, ein Erfolg, auch gegen Lebensmittelverschwendung.

Ein Aspekt des Market Gardening fehlte Tiny Farms bislang: der direkte Kontakt zu den Kund:innen. Deshalb haben Fels und Leiber jetzt eine eigene Abo-Kiste gestartet. Darin stecken einmal wöchentlich 6 bis 8 Bio-Gemüsesorten der Saison, morgens geerntet, im Laufe des Tages per E-Transporter nach Hause oder ins Büro geliefert. Nachhaltiger kann man nicht für sein Konzept werben.

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