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Die Leine voll. Ehrenamtliche vom Verein Herzenssache nähen Kleidung für Frühchen und auch für totgeborene Babys. Sie bitten um Spenden an „Menschen helfen!“.

© Verein Herzenssache

Tagesspiegel-Spendenaktion : Für einen würdigen Abschied von totgeborenen Babys

Die Vereinsmitglieder von „Herzenssache“ in Berlin-Brandenburg nähen Kleidung für Sternenkinder und Frühchen. „Menschen helfen!“ 2023/24 sammelt für stabile Tische und Stühle.

Von Silvia Passow

Es vergehe keine Woche, sagt Dana Waschinsky-Wolff, „in der ich mich nicht frage, was wäre, wenn Fritzchen auch über den Flur toben würde.“ Fritzchen ist ihr drittes Kind. Doch während Waschinsky-Wolff ihre beiden Söhne Moritz und Max an die Hand nehmen kann, trägt sie Fritzchen nur im Herzen. Das Kind starb bereits vor der Geburt.

Bereits zuvor hatte Dana Waschinsky-Wolff den Verein „Herzenssache – Nähen für Sternchen und Frühchen“ gegründet. Da konnte sie ihr eigenes Schicksal noch nicht erahnen. Die rund 500 Vereinsmitglieder nähen besonders kleine Babykleidung und schicken sie unentgeltlich an 235 Krankenhäuser in ganz Deutschland. Um ihre Arbeit zu unterstützen, bittet der Tagesspiegel jetzt um Spenden für seine 31. Weihnachtsaktion „Menschen helfen!“ mit insgesamt 53 sozialen Projekten und Vereinen, die bedacht werden sollen.

Ihre zweite Schwangerschaft nach dem erstgeborenen Moritz, mit Sohn Max, war normal verlaufen, erzählt Dana Waschinsky-Wolff heute. Doch dann, sie ist in der 40. Schwangerschaftswoche, spürt sie, dass etwas nicht stimmt. Ihr Ehemann bringt sie in die Klinik, hier hört man keine Herztöne mehr, Notkaiserschnitt. Das Baby lebt, doch es muss an die Beatmungsmaschine, ist mit 2200 Gramm außerdem zu leicht.

Mini-Strampler nicht im Handel

Als Waschinsky-Wolff ihren Max dann zum ersten Mal sieht, liegt er in einem geschlossenen Inkubator. Kabel und Schläuche, surrende Überwachungsgeräte, mittendrin ihr Neugeborenes, ganz klein, ganz zerbrechlich. „Seine Haut war durchscheinend, man konnte die blauen Adern sehen. Er sah so unfertig aus, ich hatte Angst, er würde kaputtgehen, wenn ich ihn auf den Arm nehme“, erinnert sie sich.

Diese Sehnsucht, und die Angst, sie vergehen in dem Moment, als das Baby frisch gebadet und bekleidet vor ihr liegt. Ein ganz anderes Bild. Dankbar nimmt die junge Mutter ihr Kind in den Arm. Der Strampler sitzt fest, das gibt ihr das Gefühl, nun könne nichts mehr passieren.

Winzige Kleidung. Der Kugelschreiber zeigt im Vergleich, wie klein Söckchen und Schühchen sind.

© Silvia Passow

In der Klinik erfährt Dana Waschinsky-Wolff, dass es kaum Kleidungsstücke für sehr kleine Babys im Handel gibt. Da greift sie selbst zu Nadel und Faden. Die Angestellte der Deutschen Bahn näht gern, so nutzt sie ihr Hobby und kleidet Max mit selbst geschneiderten Sachen ein. Aus den Stoffresten näht sie Mützchen und schenkt sie der Berliner Charité. Dort nimmt man die Mini-Kleidung dankend an. Waschinsky-Wolff sieht den enormen Bedarf, näht weiter, immer mehr, berichtet auf Facebook davon. „Da wurde die Sache zum Selbstläufer. Immer mehr Menschen schließen sich an, nähen, stricken, häkeln und basteln.“

Im Januar 2016 gründet sie schließlich den Verein „Herzenssache – Nähen für Sternchen und Frühchen“ und ist seitdem Erste Vorsitzende. Die Ehrenamtlichen nähen schon bald auch für Sternenkinder – Kinder, die bereits vor der Geburt, währenddessen oder kurz danach sterben. Für betroffene Familien schafft der Verein ein Netzwerk: Fotografinnen und Fotografen, Bestatterinnen und Bestatter, Trauerbegleiterinnen und -begleiter schließen sich den Ehrenamtlichen an.

Laut dem Bundesverband „Das frühgeborene Kind“ kommen in Deutschland jährlich rund 64.500 Kinder zu früh, das heißt vor der 37. Schwangerschaftswoche, zur Welt. Etwa 10.000 der Frühchen wiegen weniger als 1500 Gramm. Das Statistische Bundesamt gibt 738.819 Geburten für das Jahr 2022 an; davon kamen 3247 Kinder tot auf die Welt.

64.500
Frühchen gibt es in Deutschland pro Jahr.

Für Kinder, die weniger als 500 Gramm wiegen, war lange Zeit keine Beerdigung oder ein Trauerritual vorgesehen. Die Totgeborenen wurden den Eltern nicht gezeigt, sondern mit organischem Material zusammen entsorgt. Erst seit 2013 dürfen auch Kinder, die bei der Geburt weniger als 500 Gramm wiegen, beerdigt werden. Familien dürfen sich verabschieden, Eltern dürfen ihr Kind anziehen, es in den Arm nehmen, Fotos machen, Abdrücke von den kleinen Füßchen anfertigen, das Baby sorgsam für die letzte Ruhe betten.

Ein Ort der Erinnerung

Totgeburt, das klingt wie eine kühle Diagnose, nicht nach Trauer und Verlust. Einen Ort für die Trauer, einen Ort der Erinnerung, auch das gab es lange Zeit nicht. Das hat sich in den vergangenen Jahren geändert, es gibt jetzt verschiedene Formen der Erinnerung an die Sternenkinder.

Auch Dana Waschinsky-Wolff und der Verein sorgen für einen Ort der Erinnerung: Auf einem Wandlitzer Friedhof wurde 2019 ein weißer Stein zum Andenken an die Sternenkinder aufgestellt. Familien können an diesem Stein ein Blatt aus Bronze mit einer Gravur befestigen lassen. Ein Name, ein Datum, eine Botschaft. Was Waschinsky-Wolff zum Zeitpunkt der Einweihung nicht ahnt: Auch sie wird bald ein Blatt auf dem Stein befestigen.

Sie ist schwanger, Moritz und Max, ihre beiden Söhne freuen, sich auf das Geschwisterchen. Doch es kommt zu Problemen, dann ist klar, das Kind, das Waschinsky-Wolff in sich trägt, ist tot. Sie entscheidet sich für eine sogenannte stille Geburt. Still, weil es eine Geburt ohne den Schrei des Säuglings sein wird. Die Ärztin verschreibt ihr Medikamente, gegen Schmerzen und die Blutung, ihr Mann ist dabei. Sie nennen das Kind Fritzchen. Der Abschied ist schwer, beide bekommen von der Hebamme auch nach der stillen Geburt noch Unterstützung.

Fritzchen bleibt unvergessen

Geschlechtsneutral soll der Name Fritzchen sein, doch für Max ist klar, er hat einen Bruder im Himmel. Er schreibt ihm einen Brief, erkundigt sich, ob er Freunde im Himmel gefunden hat. Er besucht gemeinsam mit seiner Mutter den weißen Stein auf dem Friedhof, an dem nun auch ein Blatt mit Fritzchens Namen hängt. „Wenn er Bilder von uns als Familie malt, dann malt er immer drei Kinder“, sagt Waschinsky-Wolff.

Beide Kinder verarbeiten den Tod des Geschwisterchens anders. Moritz rede nicht so gern über das verlorene Geschwisterchen. Waschinsky-Wolff sagt, sie habe erst spät bemerkt, dass auch die Kinder leiden. Sie alle wurden verlassen und jeder gehe damit anders um.

Seit vier Jahren steht auf einem Friedhof in Wandlitz ein Erinnerungsstein für Sternenkinder. Manche Familien kommen von weit her, um ein Blatt zum Gedenken anzubringen.

© Silvia Passow

Heute hat der Verein rund 500 Mitglieder in ganz Deutschland. Am Vereinssitz in Wandlitz trifft man sich einmal im Jahr, zum gemeinsamen Nähen und um Vorträge zum Thema Neugeborenen-Versorgung zu hören. Für Eltern, die das Glück haben, dass ihr Baby – wenn auch noch nicht vollständig entwickelt – am Leben ist.

Frühchen von einst näht für Frühchen

Wichtig ist laut Dana Waschinsky-Wolff, dass die Kleidung nicht nur Farbe in den Klinikalltag bringt, sondern auch praktisch ist. Genäht werden Stücke in den Kleidergrößen 38 bis 48. Weil der Verein nach eigenen Schnittmustern arbeitet, orientiert er sich nicht an den gängigen Industriegrößen. Im vergangenen Jahr gingen 44.000 Einzelteile raus. Dabei gehe die Versorgung über die ersten Tage hinaus, die Krankenhäuser bekommen auch Pakete für die Zeit nach der Entlassung. „Die Kliniken müssen hier nicht sparen, wir sorgen gern für Nachschub“, sagt Waschinsky-Wolff.

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Im Vereinsraum sind die Tische in einem Viereck angeordnet. Wenn die Mitglieder ihre Nähmaschinen mitbringen, stehen schon mal achtzehn unterschiedliche Modelle darauf, rattern, surren und summen vor sich hin. Bunte Stoffe, Schnittmuster, Scheren, Garn, alles muss hier Platz finden.

„Als wir die Vereinsräume bekamen, haben wir günstige Tische gekauft, die in der Höhe verstellbar sind. Doch nun geben die Tische langsam nach“, sagt die Vereinsvorsitzende und fügt hinzu: „Es vibriert ja auch, wenn an den Maschinen gearbeitet wird.“ Die besonders schwere Stickmaschine ist deshalb vorsorglich aufs Sideboard umgezogen. Doch auch die einzelnen Nähmaschinen bringen bis zu zehn Kilogramm auf die Waage – und teils stehen auf einem Tisch zwei Geräte.

Neue, stabile Tische, wünscht sich Dana Waschinsky-Wolff daher für den Verein. Und Stühle, mit Rückenlehne und höhenverstellbar. Im Moment sitzen alle beim Nähen auf einer Art Hocker. Ihren Mit-Nähenden ordentliche Arbeitsplätze anbieten zu können, auch das wünscht sich Waschinky-Wolff fürs kommende Jahr.

Der Verein Herzenssache bietet neben den Nähtreffs auch einen Kindernähkurs. Hier wird ebenfalls für die Sternchen und Frühchen genäht. Mittendrin, als ein einziger Junge, sitzt der zehnjährige Max. Der Junge, der selbst mit zu wenig Gewicht auf die Welt kam, näht nun für andere sehr kleine Säuglinge. Aber nicht nur das, zuletzt hat der Junge ein Mützchen für seine Cousine genäht. Die Kinder dürfen auch für den eigenen Bedarf nähen, auf den selbstgemachten Rock oder das Shirt aus eigener Produktion seien die Kinder dann ganz besonders stolz.

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