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Homepage: Wo der Geist zu Hause ist

An der Uni Potsdam haben sich über 800 Wissenschaftler aus ganz Europa getroffen, um Prozesse des Denkens zu diskutieren

Körper und Geist gehören viel enger zusammen, als die Psychologie bisher angenommen hatte. Diese Erkenntnis habe sich in den vergangenen Jahre zunehmend verfestigt, erklärt Martin Fischer von der Uni Potsdam. Der wissenschaftliche Leiter der 20. Internationalen Konferenz der European Society of Cognitive Psychology hat die Änderung in der Bewertung der kognitiven Wissenschaften genau beobachtet. Während der Geist noch in den 1980er-Jahren mit einem Computer verglichen wurde, hätte sich mittlerweile die Erkenntnis durchgesetzt, dass der Geist ohne den Körper auch nicht existieren kann. Beide beeinflussen sich gegenseitig. „Wir bestehen nicht nur aus Hardware und Software, Zwischenspeicher und Central Processing Unit. Die Zusammenhänge sind komplexer“, so Fischer.

Am Department Psychologie der Potsdamer Uni erforschen zahlreiche Wissenschaftler diese Zusammenhänge. Das ist auch innerhalb Europas eine Besonderheit. Mehr als 40 Wissenschaftler der Universität arbeiten mit einem kognitionswissenschaftlichen Schwerpunkt, so Fischer. Hinzu kommen junge Forscher und Promovierende. Nicht zuletzt deshalb sei es gelungen, die international sehr renommierte Tagung nach Potsdam zu holen, zu der gegenwärtig mehr als 800 Wissenschaftler aus über 40 Ländern an die Uni gekommen sind. Alle zwei Jahre findet die Konferenz statt, immer in einer anderen europäischen Stadt. Deutschland war zuletzt vor 20 Jahren Austragungsort. „Sicher hat auch eine Rolle gespielt, dass Potsdam touristisch sehr interessant ist und zudem die Nähe zu Berlin hat. Auch verfügt die Universität über eine gute Infrastruktur, um eine so große Tagung zu bewältigen“, stellt Fischer fest.

Das dicht gepackte Programm der Konferenz versammelt Fachvorträge aus allen Sparten der Kognitionswissenschaften und der kognitiven Psychologie. Denn zu den kognitiven Wissenschaften werden beispielsweise auch die Linguistik und die Sportwissenschaft gezählt. Erforscht werden im Wesentlichen die „Prozesse menschlichen Denkens und Handelns“, heißt es von der Universität.

Die Inhalte des Denkens bleiben erst einmal außen vor, auch wenn gemeinhin dort eigentlich der Schwerpunkt und die Bedeutung der Psychologie gesehen wird. „Es geht der kognitiven Psychologie nicht um Traumata oder seelische Eindrücke, sondern darum, wie menschliches Denken strukturiert ist“, erklärt Fischer. Hier habe sich in den vergangen Jahren einiges bewegt. Mittlerweile verfüge die Psychologie über ein genaueres Wissen, wie sich beispielsweise das Zahlenverständnis herausbilde. „Wenn ich beim Zählen oder beim Erlernen von Zahlen die Finger dazu nehme, so lässt sich unmittelbar im Hirn nachweisen, wie der Lernprozess positiv beeinflusst wird“, so Fischer. Psychologe Oliver Lindemann ergänzt: „Zahlenverständnis ist keine rein abstrakte Angelegenheit.“ Mit Zahlen würden Assoziationen wie „schwer“ und „groß“ verknüpft.

Wie weit Zahlen auch sensitive Anregungen auslösen, ist noch überhaupt nicht erforscht. Der Mensch stelle stets eine unmittelbare körperliche Beziehung zu seiner Umwelt her. Die Wahrnehmung von Größenverhältnissen lasse sich auch in den Hirnfunktionen nachweisen. Es sei überaus sinnvoll, entsprechende Studien auch über den wissenschaftlichen Zirkel der kognitiven Psychologie wahrzunehmen. „Das hat man beim Potsdamer Platz in Berlin nicht gemacht. Deshalb gibt es dort Orte, die Menschen nicht betreten mögen und die auch nicht behindertengerecht sind“, so Lindemann.

Immer genauer sei es der Psychologie möglich, zu bestimmen, welche Hirnareale bei entsprechenden Denkprozessen aktiviert werden. „Früher hat man auch im Hirn herumgestochert, beispielsweise bei der Lobotomie. Das ist heute ethisch überhaupt nicht mehr vertretbar. Und mit den bildgebenden Verfahren hat man auch die Möglichkeit, unmittelbar zu beobachten, wo sich Hirnaktivitäten abspielen“, so Fischer. Auch andere Wissenschaften steuern ihren Teil zur kognitiven Erkenntnisgewinnung bei. Der Sportwissenschaftler Markus Raab verweist darauf, dass sich aus der Beobachtung von Hochleistungssportlern auch Erkenntnisse darüber gewinnen ließen, wie beispielsweise gebrechlichen Menschen beim Gehen geholfen werden könne. „Bewegungen von Läufern und Springern sind genau erforscht. Hieraus kann man weitere Erkenntnisse ziehen, wie sich bei häufig wiederholten Bewegungen im Hirn Steuerungsprozesse ändern und dies zum Teil auf andere Gruppen übertragen“, so Raab.

Sicher seien die Wissenschaftler sich jedenfalls mittlerweile, dass das Hirn ein Netzwerk darstelle. Nicht nur ein Areal sei für eine genau abgegrenzte Funktion zuständig. „Da funkt immer vieles zusammen“, so Raab. Emotionen gingen beispielsweise häufig mit einer entsprechenden Bewegung einher, dies funktioniere aber auch umgekehrt. „Wenn meine Lachmuskeln aktiviert sind, muss ich wohl glücklich sein“, meint Raab. Deshalb habe er schon in den 1980er-Jahren eine Lächel-Therapie vorgeschlagen. Das habe damals niemand ernst genommen. Mittlerweile wisse die Psychologie aufgrund neuer Forschungsergebnisse, dass dies ein sinnvoller Therapieansatz sein könne. Richard Rabensaat

Richard Rabensaat

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