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HFF-Absolvent Jan Soldat erkundet in seinem „Sehsüchte“-Beitrag „Ein Wochenende in Deutschland“ ungewöhnliche Beziehungen

Er schreibe keine Drehbücher mehr für seine Filme, sagt der Filmemacher Jan Soldat. Das Schreiben sei zwar ein Teil des Studiums an der Filmhochschule Potsdam (HFF) gewesen, aber seine Filme entstünden anders. Nicht die Inszenierung interessiere ihn, sondern die Annäherung an die Menschen, über die er seine Filme drehe. Sein letzter Film, „Ein Wochenende in Deutschland“, über ein schwules Männerpaar fand ein überraschend großes Publikum. Auf dem Filmfestival in Rom 2013, das der Amerikaner Larry Clark leitete, gewann Soldats Film „Der Unfertige“ den Preis als bester Kurzfilm.

Diese Auszeichnung einer internationalen Jury rief einiges Erstaunen hervor. Denn Soldats Dokumentarfilme spielen in Grenzbereichen. Die rücken zwar in letzter Zeit verstärkt ins Licht der Öffentlichkeit, aber nicht so wie Jan Soldat Filme darüber dreht. Homosexualität, Sado-Maso-Praktiken, Rollenspiele innerhalb und außerhalb von Liebesbeziehungen, darüber diskutieren die Feuilletons und TV-Talk-Runden gerne. Doch der Blick des HFF-Filmemachers ist anders. Soldat verweigert sich einer spekulativen Ästhetik und Skandalisierung, die bei den Themen seiner Filme durchaus möglich wäre.

„Mir ist die Beziehung zu den Menschen in meinen Filmen wichtig“, bemerkt der Absolvent, der sein Studium gerade beendet hat. Es gehe in seinen Filmen nicht um Sexualität, sondern darum, wie seine Protagonisten sich in ihren ungewöhnlichen Lebensentwürfen einrichten. Da zeige sich eine andere Möglichkeit zu leben, die wiederum zu Alltag, zu Normalität werde. „Ein Wochenende in Deutschland“, der auch bei den „Sehsüchten“ läuft (2. Mai, 21 Uhr, HFF-Kino 2), zeigt Manfred, Jürgen und Rosie, ebenfalls männlich, die ein recht harmonisches Wochenende zunächst in einer Gartenlaube und dann in einer Privatwohnung verbringen.

Manfred und Jürgen sind allem Anschein nach schon seit Längerem ein Paar und genießen es, gelegentlich ihre Zweisamkeit um einen weiteren Partner zu ergänzen. Die etwa 70-jährigen Männer liegen nackt in der Sonne oder auf der Streckbank, streicheln sich oder peitschen sich aus und beharken sich mit Nagelrollen. „Kannst ruhig übern Arsch gehen damit. Rosie verträgt das“, kommentiert Manfred. Als es ans Peitschen geht, erklärt Jürgen, dass es eine recht mühselige Fummelarbeit gewesen sei, die schmalen Lederriemen zu einer Peitsche zusammenzunähen. Aber nun sei das Gerät stabil und halte einiges aus, ebenso wie Manfred. Die Szenen haben durchaus einen humorvollen Anklang, ohne diskreditierend zu wirken.

„Ich möchte die Klischees aufbrechen und ein Gegenbild schaffen“, sagt Soldat. Niemand leide in seinen Filmen, auch dann nicht, wenn sich ein Mann als Sklave anketten oder auspeitschen lässt oder einige für ihn wundervolle Tage in einer Kerkerzelle verbringt.

„Ich erfahre da viel Neues, entdecke Unbekanntes über das Leben von den Menschen, die ich filme, aber auch über mich“, erzählt der HFF-Absolvent. Die Idee zu dem Film über die alten Liebhaber hatte er, als er die Menschen im Altenheim gegenüber seiner Wohnung sah. „Ihre Bewegungen, ihr Gang, ihr Leben interessierten mich.“ Manfred und Jürgen hat Soldat über Internetforen gefunden. Die beiden seien gerne bereit gewesen, sich in ihrer Beziehung begleiten zu lassen, ohne dabei exhibitionistisch zu wirken. Die Energie und die Begeisterung der beiden Männer hat den Regisseur fasziniert. In dem Dokumentarfilm wirken Jürgen und Manfred gelöst, sind zärtlich miteinander, necken sich und suchen gut gelaunt im Internet nach Partnern für ihre Wochenenden. Mit den beiden könnten sich viele identifizieren, hat Soldat zu einer Filmvorführung einmal gesagt.

Die Reaktionen sind unterschiedlich. Während in der voll besetzten Berliner Volksbühne nach der Vorführung geklatscht wurde, hätte in Städten Ostdeutschlands nach der Vorführung gelegentlich auch Stille geherrscht. „Viele empfinden meine Filme als Hilfe, auch wenn ich das eigentlich nicht beabsichtige. Aber sie helfen wohl dabei, Sexualität als Ausdruck zu verstehen“, sagt Soldat. Eigentlich habe er als Filmemacher kein spezielles Thema. Schon gar nicht interessiere ihn der Körper als solcher, immer gehe es um den Zusammenhang, das Zwischenmenschliche. Das allerdings spielte sich bei dem Film „Geliebt“ zwischen Männern und Hunden ab. Die Hündin als Partnerin, die gestreichelt, gekuschelt und geküsst wird. Die Beziehungsgeschichte zwischen Mann und Mischlingshündin schaffte es immerhin auf die Berlinale und sorgte dort für Aufsehen.

Ausgangspunkt des 30-jährigen Filmemachers waren Trashfilme. Als 20-Jähriger in Chemnitz habe er Splatterfilme gedreht. Mit einer absurden Jagdgeschichte gelang ihm der Sprung an die HFF. Auch nach dem Studium dreht Soldat mit minimalen Mitteln und schneidet seine Filme selbst. Inszenierte Geschichten interessieren ihn nicht. Auch ist er nicht sehr interessiert daran, seine Filme im Fernsehen oder im Internet weiterzuverbreiten. „Da fehlt der Schutzraum“, so Soldat. Denn gerade in der SM-Szene seien das Vertrauen und die Sensibilität füreinander ungeheuer wichtig. Richard Rabensaat

Richard Rabensaat

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