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Unruhiger Planet: „Wenn die Erde kippt“

Geoforscher Bernhard Steinberger erklärt, wieso die Erde immer wieder aus der Balance gerät

Herr Steinberger, Sie haben herausgefunden, dass die Erde gegenüber ihren Drehpolen kippen kann. Was spielt sich da ab?

Aufgrund von Mantelkonvektionen werden Massen im Erdmantel umverteilt, es gibt heiße Auf- und und kalte Abströme. Dadurch ändert sich auch die Form der Erde. Ein heißer Aufstrom wölbt die Oberfläche aus, dadurch kann sich auch der Meeresspiegel darüber aufwölben. Das Geoid (eine Bezugsfläche im Schwerefeld der Erde; Anm. d. Redaktion) hat dort ein Hoch. Diese aufgewölbten Regionen tendieren dazu, zum Äquator zu wandern. Die Erdrotationsachse ändert sich derart, dass solche Regionen immer näher zum Äquator wandern.

Wie muss man sich dieses Wandern vorstellen?

Der Erdmantel ist zwar fest. Über Jahrmillionen betrachtet bewegt er sich aber wie eine zähe Flüssigkeit. Das bewegt die Erdplatten, die dadurch nach unten abtauchen können. Wenn eine Platte sich im oberen Mantel bewegt, ist das eine zusätzliche Masse, die dann die Erdrotationsachse Richtung Äquator verschiebt. Insgesamt ist es ein sehr kompliziertes Wechselspiel aus vielen Faktoren.

Im Inneren unseres Planeten gibt es große Gesteinsmengen, die ungleichmäßig verteilt sind. Droht der Planet dadurch aus der Balance zu geraten?

Man kann den Vorgang mit einer Unwucht vergleichen. Die Erde dreht sich mit 1700 Stundenkilometern am Äquator. Dabei beulen die Fliehkräfte sie aus, riesige Gesteinscluster erzeugen eine Unwucht. Die Erdachse fängt dabei allerdings nicht an, im Raum zu taumeln. Solche Änderungen werden schnell gedämpft, die Erdrotationsachse im Raum ist stabil. Allerdings verändert sich die Erde durch diese Unwucht im Laufe der Zeit in Relation zu ihrer Rotationsachse. So kommt es zu großflächigen Verschiebungen.

Es gab in der Erdgeschichte mehrere solche, zum Teil sehr heftige, Ereignisse. Steuern wir wieder auf ein solches drastisches Kippen zu?

Aktuell ist das Kippen aufgrund der Mantelkonvektion relativ langsam, wir gehen von 0,2 Grad Änderung pro Millionen Jahren aus. Das war in der frühen Erdgeschichte schon fünf- bis zehnmal schneller. Hinzu kommt allerdings, dass momentan aufgrund der Vereisung der Pole die tatsächliche Änderung rund ein Grad pro Millionen Jahre beträgt. Auch die Eismassen versuchen sich zum Äquator zu bewegen. Dieser Effekt spielt derzeit eine größere Rolle. Der langfristige Trend hingegen war in den vergangenen 40 Millionen Jahren eher langsam.

Kein Grund zur Panik also?

Die Entwicklungen spielen sich in Zeiträumen von 100 Millionen Jahren ab, die Verschiebung findet derzeit mit zwei Zentimetern pro Jahr statt. In den Zeiträumen, die wir überblicken können, wird sich also nichts ändern.

Was passiert, wenn die Erde kippt?

Die Kontinente verschieben sich zusammen mit dem darunterliegenden Mantel. Das kann zu einer Wanderung der Kontinente in andere Klimazonen führen. Wir haben festgestellt, dass in den letzten 300 Millionen Jahre ein Hin und Zurück stattfand. Einerseits hat die Kontinentalverschiebung Europa kontinuierlich über den Äquator nach Norden verschoben. Der Effekt, den wir beobachtet haben, hat die Kontinentaldrift noch überlagert, sodass sich Europa manchmal schneller und manchmal langsamer vom Äquator wegbewegt hat.

Während der letzten 320 Millionen Jahre gab es eine Neigungen von bis zu 22 Grad – was passierte damals?

Das hatte zur Folge, dass sich manche Bereiche zum Äquator hin bewegt hatten, während manche Bereiche am Äquator dort verblieben. Deutschland würde solch eine Verschiebung auf den 32. Breitengrad bringen, auf Höhe der Sahara. Das hätte ganz erhebliche Effekte. Damals spielte es sich in einem Zeitraum von etwa 50 Millionen Jahren ab.

So etwas hat sicherlich auch Einfluss auf die Entwicklung des Lebens?

Darüber gibt es bislang nur Spekulationen. Fest steht aber, wenn ein Kontinent sich so schnell verschiebt, dann entsteht ein Evolutionsdruck. Durch die Klimaänderungen müssen sich die Organismen anpassen. Das sind aber keine globalen Änderungen, sondern das betrifft einzelne Kontinente in unterschiedlicher Weise.

Wie kommen Sie zu Ihren Ergebnissen?

Für die vergangenen 120 Millionen Jahre gibt es verschiedene Bezugssysteme. Zum einen die Bewegung der Kontinente gegenüber der Erdrotationsachse. Zum anderen haben wir über die sogenannten Hot-Spots Bezug genommen. Das sind Vulkane wie beispielsweise in Hawaii, die aus dem tieferen Erdmantel aufsteigen. Über sie bewegen sich die Erdplatten hinweg. So kann man deren Spur verfolgen. Wenn man diese beiden Bezugssysteme miteinander vergleicht, lässt sich die Verschiebung der Rotationsachse feststellen.

Woher wissen Sie, was sich vor 150 Millionen Jahren abgespielt hat?

Wir schauen uns Daten anderer Geowissenschaftler an. Zudem sind meine Co-Autoren Paläomagnetiker. Die messen die Magnetisierung von Gesteinsproben. So lässt sich herausfinden, wo sich ein Gestein in Bezug auf die Pole zu einem bestimmten Zeitpunkt befunden hat. Dann versuchen wir, herauszufinden, welche Bewegung aufgrund der Kontinentaldrift, und welche aufgrund eines Wanderns des Magnetpols stattfand. Wenn sich Kontinente zusammen bewegt haben, ist das ein Indiz für die Neigung der Achse. Denn durch die gewöhnliche Kontinentaldrift bewegen sich die Kontinente nicht kohärent.

Wie häufig kommen solche Neigungsereignisse vor?

Für die vergangenen 300 Millionen Jahre haben wir ein permanentes Hin- und Zurückschwanken festgestellt. Wenn man weiter zurück in die Vergangenheit geht, sind die Daten nicht mehr so sicher, aber es scheint, als hätte es da größere Schwankungen gegeben. Offensichtlich hatte sich damals die Rotationsachse sogar um 60 bis 90 Grad verschoben – ohne wieder zurückzuwandern. Damals ging es wohl etwas wilder zu. Aber wie gesagt wissen wir das nicht genau. In der jüngeren Vergangenheit zeigt sich die Erdachse beständiger, sie scheint eine bevorzugte Achse gefunden zu haben, von der sie nur in gewissem Maße abweicht.

Unser Planet hat also eine gewisse Balance gefunden?

Das könnte man so sagen.

Und das bleibt auch so?

Wir haben keine Hinweise, dass sich das in nächster Zukunft grundlegend ändern wird. Unsere Modelle zeigen, dass die Erdachse aufgrund der aktuellen Struktur der Erde derzeit stabiler ist. In den vergangenen 100 Millionen Jahren ist es ruhiger geworden. Das nehmen wir auch für die kommenden zehn Millionen Jahre an. In den kommenden 100 Millionen Jahren kann sich das aber wieder deutlich beschleunigen. Dann kann es auch wieder um 10 oder 20 Grad kippen. Wenn man bedenkt, dass es den Homo Sapiens überhaupt erst seit rund 160 000 Jahren gibt, dann geht es natürlich um zeitliche Dimensionen, die die Menschheit nicht weiter tangieren.

Das Gespräch führte Jan Kixmüller

Bernhard Steinberger forscht am GeoForschungsZentrum Potsdam in der Sektion Geodynamische Modellierung. Zu seinen Interessen zählt unter anderem die „Echte Polwanderung“.

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