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Mal Kommissare, mal Seelsorger: Freddy Schenk (Dietmar Bär, links) und Max Ballauf (Klaus J. Behrendt).

© WDR/Thomas Kost

"Tatort" aus Köln: Tanz der Verzweifelten

„Familien“ ist ein sehenswerter „Tatort“ aus Köln und mindestens so sehr Drama wie Entführungskrimi.

Viele Jahre lang hat der WDR seine Sonntagskrimis als Verpackung für gesellschaftspolitische Botschaften genutzt. Mittlerweile werden rund um die Kommissare Ballauf und Schenk (Klaus J. Behrendt und Dietmar Bär) jedoch regelmäßig Familiendramen erzählt. Der Titel ihres 73. Falls, „Familien“, ist zwar etwas langweilig, aber konsequent; und die Geschichte ist keineswegs so harmlos, wie er nahelegt.

Tatsächlich ist das von Regisseurin Christine Hartmann bearbeitete Drehbuch von „Soko Köln“-Autor Christoph Wortberg sogar recht clever, weil die Dinge nie so sind, wie sie scheinen. Deshalb beginnt die Handlung auch mit einem Kollateralschaden: Ein junger Mann kehrt von seinem Junggesellenabschied heim, entdeckt in einem Mülleimer eine Tasche mit viel Geld und wird vorsätzlich überfahren. Auf diese Weise stoßen Ballauf und Schenk auf den eigentlichen Fall: Eine junge Frau ist entführt worden, die halbe Million war das Lösegeld.

Natürlich soll die Spannung des Films auch aus der Aufklärung resultieren, doch Hartmann (zuletzt „Ein Schnupfen hätte auch gereicht“), die beispielsweise mit der „Stralsund“-Episode „Es ist nie vorbei“ von 2015 einen fesselnden Thriller inszeniert hat, konzentriert sich in ihrem ersten Kölner „Tatort“ viel stärker auf das Mit- und Gegeneinander der Figuren.

Selbst kleinere Nebenrollen sind nicht bloß Mittel zum Zweck; deshalb liegt die eigentliche Qualität des Films auch in der Arbeit mit den Schauspielern sowie dem Blick fürs Detail. Mehr als sorgfältig ist auch die Bildgestaltung. Eine Aufnahme Charlottes im Gegenlicht eines verdeckten Fensters ist das schönste Bild des Films (Kamera: Peter Nix), und schon allein die ästhetische Komposition dieser Einstellung nimmt zumindest einen Teil des weiteren Verlaufs vorweg.

Ein kleines Manko ist der Entwurf der beiden titelgebenden Familien, die gewollt verkorkst wirken. Gerade bei den Ritters, den Eltern des entführten Mädchens, will das Drehbuch um jeden Preis eine Diskrepanz zwischen Schein und Sein konstruieren; gemessen daran verkörpern Harald Schrott und Nicole Marischka das Ehepaar sehr glaubwürdig.

Die Fröhlichs wirken dagegen allzu sehr wie typische Fernsehfiguren. Sohn Kasper (Anton von Lucke), Charlottes Freund, ist irgendwie seltsam, seine Mutter (Claudia Geisler-Bading) ertränkt ihren Kummer in Alkohol und nimmt die Nachricht von der Entführung völlig emotionslos zur Kenntnis.

Die Verstrickung der beiden Familien geht weit über die Freundschaft zwischen Kasper und Charlotte hinaus, und die Rolle, die der Großvater (Hansjürgen Hürrig) des Opfers dabei spielt, ist mehr als unrühmlich. Über allem schwebt jedoch ein zwanzig Jahre lang gehütetes Familiengeheimnis, dessen zufällige Offenbarung zur Folge hat, dass zum bestürzenden Ende lauter Leben zerstört sind. Die gute Musik von Fabian Römer macht ohnehin von Anfang an deutlich, dass sich die Geschichte zur Tragödie entwickeln wird. Der Komponist krönt auch die eigentümlichste Szene des Films, als Kasper und seine Mutter einen Pas de deux zweier Verzweifelter tanzen.

Dass „Familien“ trotzdem nur ein solider Krimi und kein herausragender „Tatort“ geworden ist, liegt nicht zuletzt an den vielen schematischen Vernehmungen mit ihren handelsüblichen Dialogen („Wir stellen die Fragen“). Viel schöner und vor allem berührender sind die Augenblicke, in denen Ballauf und Schenk nicht als Ermittler, sondern als Seelsorger gefragt sind. Tilmann P. Gangloff

„Tatort: Familien“. ARD, Sonntag um 20 Uhr 15

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