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Homepage: Stigma für den Osten

Der Geograph Prof. Manfred Rolfes hat die Rolle der so genannten „No Go Areas“ untersucht

Als Geograph ist Professor Manfred Rolfes an Räumen interessiert. Als im vergangenen Jahr das deutsche Sommermärchen seinen Lauf nahm, warnte der ehemalige Regierungssprecher Karsten-Uwe Heye vor so genannten „No Go Areas“. Vor allem in Ostdeutschland gebe es Räume, in die man sich als Dunkelhäutiger besser nicht begeben sollte. Die Gefahr vor fremdenfeindlichen Gewaltattacken sei zu groß. Im Vorfeld des Weltereignisses WM natürlich ein Fanal, in den Medien setzte eine Welle der Berichterstattung ein.

Jetzt begann die Sache auch den Potsdamer Geographen Rolfes zu interessieren. Um was für Räume handele es sich, wo sind sie, wie gefährlich sind sie und vor allem, wie entstehen sie? Ein neuer Ansatz wurde gewählt, nicht zuerst zu schauen, was in einem Raum los ist, sondern wie über ihn gesprochen wird, mit welchen Folgen. Sein Ergebnis scheint Rolfes selbst nicht so ganz geheuer zu sein. Denn man könnte es falsch verstehen. Nach ausführlicher Medienanalyse musste Rolfes feststellen, dass es die „No Go Areas“ in erster Linie gibt, weil sie kommuniziert werden. „Es gibt sie auch weil darüber gesprochen wird, vielleicht sogar vor allem deswegen“, erklärt Rolfes. Ohne die Notwendigkeit von Aufklärung über und gegen Rechtsextremismus in Frage stellen zu wollen, muss der Geograph am Schluss doch zu der Frage kommen, ob es so etwas wie „No Go Areas“ überhaupt gibt. „Vor allem die Warnung vor ihnen macht sie zu dem was sie sind“, sagt Rolfes. Am Ende müsse man sich fragen, ob durch die Medienkampagne die Rechten stärker gemacht wurden als sie sind. Denn war ein bestimmtes Gebiet in den Medien erst einmal als „No Go Area“ stigmatisiert, hätten sich Neonazis darin auch ganz anders bewegt.

Gerade für Ostdeutschland habe die Debatte eine nachhaltigen Wirkung gehabt. „Der Osten wird das Stigma der Hochburg rechter Gewalt so schnell nicht mehr los“, schätzt Rolfes. Es bestehe auch die Gefahr, dass die Rechten das Gefühl bekommen, sich hier ausleben zu dürfen, weil sie ja im Osten sind.

Rolfes ist kein Politologe, er sucht auch nicht nach Antworten auf die Frage, wie man dem Phänomen Rechtsextremismus gerade auch unter Jugendlichen begegnen kann. Zivilgesellschaftliches Engagement, wie die Kampagne „Gesicht zeigen“, findet er richtig und wichtig. Was den Sozialgeograph aber mehr interessiert ist die Verräumlichung. „In unserer Untersuchung versuchen wir zu zeigen, dass mit der Verräumlichung von Rechtsextremismus und Ausländerfeindlichkeit sehr starke Wirkungen erzielt werden können“, erklärt Rolfes. Ähnlich wie man es von der Ost-West-Trennlinie her kennt.

Analysiere man die Verwendung des Begriffs „No Go Areas“ in den Medien, so handele es sich geradezu um ein erstklassiges Propagandamittel. Der Begriff biete in unterschiedlicher Weise soziale Orientierung, die Gebiete seien in erster Linie ein gedankliches Konstrukt. Eine Projektionsfläche, in die sich alles Mögliche hineinlegen lasse. Der Begriff reduziere in extremer Weise Soziales auf Räumliches, sei es Arbeits- und Perspektivlosigkeit, sei es soziale Destabilisierung oder DDR-Vergangenheit. Soweit die Theorie. Wie es sich nun wirklich mit den „No Go Areas“ verhält, versucht Rolfes in einem zweiten Schritt zu klären. Er schickt seine Studenten zu Stichproben vor Ort. Zum Teil auch in ihre Heimatregionen, um hier die Probe aufs Exempel zu machen.

Rolfes arbeitet unter anderem auch als Kriminalgeograph. Er weiß, dass statistische Daten in erster Linie das widerspiegeln, was von Ordnungskräften unternommen wird, nicht das, was wirklich vorfällt. „Nach einer Drogenrazzia sehen die Statistiken ganz anders aus, als wenn nichts unternommen wurde.“ In Sachen Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit will Rolfes auf keinen Fall die Bedrohung verharmlosen. Doch Medienkampagnen wie die vor der WM könnten auch dazu beitragen, dass gedankliche Konstrukte wie „No Go Areas“ und „national befreite Zonen“ erst salonfähig gemacht würden. Hinzu komme die „Orientierungswirkung“ von solchen räumlichen Abgrenzungen: bei Betroffenen steige die Angst, Behörden sähen sich zum Handeln gezwungen und Neonazis würden sich die Hände reiben. „Es gibt diese Gebiete eben weil sie Orientierungswirkung haben.“

Doch wie sollen die Medien reagieren, verschweigen? Nein, aber Rolfes will keine Patentrezepte geben, er will als Wissenschaftler nur etwas über die Wirkungen von solchen Raumbezügen aussagen. „Es kann schon ausreichen, wenn man überhaupt erst einmal auf die Mechanismen aufmerksam macht“, sagt er. Übrigens Mechanismen wie sie sich auch bei Werbekampagnen für touristische Räume – etwa Südtirol – wieder finden. Auch dazu hat Rolfes mit seinen Studenten schon geforscht.

Die Rolle der Medien schließlich bleibe ambivalent. Einerseits müssten die Medien informieren, andererseits könnten sie aber auch gerade erst zur Überhöhung beitragen. Die Analyse der Zeitungen habe ergeben, dass die Lokalzeitungen eher verhalten berichteten, während überregionale Blätter und allen voran die Wochenzeitung „Die Zeit“ das Thema stark in den Vordergrund spielten. Und genau hier setzt Rolfes Kritik an. Eine Generalisierung der Debatte könnte bedeuten, dass sich solche Strukturen und Stigmatisierungen überhaupt erst verfestigen.

Zumindest im deutschen Sommermärchen ging dann aber alles gut aus. Es kam zu keinen großangelegten Ausländerjagden, von wirklichen „No Go Areas“ wurde nichts bekannt, resümierte die „Frankfurter Rundschau“. Hilfreich war hier vielleicht auch die Infragestellung der Existenz solcher Gebiete durch das Innenministerium: mit Verweis darauf, dass der Staat sein Gewaltmonopol im Zweifelsfall durchsetzen werde.

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