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Happybabe97. Cybersex gegen emotionale Vereinsamung.

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Homepage: Sex als Ersatz für Nähe

Der HFF-Abschlussfilm „Little Thirteen“ von Christian Klandt hat es in die Lola-Vorauswahl und auf die Berlinale geschafft

Ein Mädchen sitzt an einem offenen Fenster und raucht. Ihr Blick ist in die Ferne gerichtet. In die Welt außerhalb ihres Zimmers. Türkise Gardinen wehen leicht hin und her. Neben ihr rattert ein Hamster im verschlossenen Käfig. „Ich will nicht weg von hier. Ich weiß, wie man hier glücklich wird. Ich mach’ einfach die Augen zu und stell’ mir vor, dass es immer der gleiche Typ ist“, sagt die 13-jährige Sarah, die sich im Chat auch „Happybabe97“ nennt. Der Diplomfilm „Little Thirteen“ des 34-jährigen Absolventen der Potsdamer Filmhochschule, Christian Klandt, ist nun in die Vorauswahl für den Deutschen Filmpreis Lola gekommen. Allein schon die Nominierung ist ein Erfolg. Nun wird der Film auch auf der Berlinale zu sehen sein.

In dem Spielfilm geht es um das Leben der jugendlichen Sarah. Und um das ihrer Mutter, ihrer Freunde. Draußen, in einer namenlosen Plattenbausiedlung. Um die Zeit der Pubertät. Es geht um Sex als hauptsächlichen Lebensinhalt junger Menschen. Um Körperlichkeit als Ersatz für Nähe und Geborgenheit. Der Ort der Handlung wird nicht genannt. Die Zuschauer werden in einen Lebensalltag hineingeworfen, an einem unbestimmten, aber von sozialen Problemen geprägten Ort. Dass dieser Ort keinen Namen hat, ist Absicht, erklärt Regisseur Christian Klandt. Zusammen mit Drehbuchautorin Catrin Lüth habe er auf das Thema Kinderarmut und emotionale Verwahrlosung junger Jugendlicher als gesamtgesellschaftliches Phänomen aufmerksam machen wollen. Das gebe es eben nicht nur an einem bestimmten Ort oder in einer einzigen Region, betont der Regisseur im Gespräch.

Um den Stoff für den Film zusammenzubekommen, haben Klandt und Lüth insgesamt eineinhalb Jahre recherchiert. In München, Köln, Hamburg und weiteren deutschen Großstädten. Sie haben mit Jugendlichen, Sozialarbeitern und Psychologen gesprochen, Geschichten und Statistiken gesammelt. Herausgekommen ist ein Film, der nicht unbedingt verstört, aber verwundert: Eine Collage aus unterschiedlichen wahren Geschichten. Es ist eine abgeklärte Realität, die im Film wiedergegeben wird. Sarah (Muriel Wimmer), denkt mit ihren gerade mal 13 Jahren nur an Sex, raucht und säuft. Aber eigentlich sehnt sie sich auch nach einem Jungen, der länger bleibt. Wir begegnen ihrer älteren Freundin Charly (Antonia Putiloff), die Ähnliches macht und Ähnliches hofft, unverhofft schwanger wird, nicht weiß, wer der Vater ist. Da ist die 29-jährige Mutter Doreen (Isabell Gerschke), die mit Sarah, ihrer Tochter, die Liebhaber tauscht und eigentlich lieber ihre Freundin sein will, als ihre Mutter. Sarahs Freund, der 18-jährige Gymnasiast Lukas (Joseph Konrad Bundschuh), ist scheinbar „anders“ als die meisten Jungs, die Sarah kennt. Doch ohne Wissen der beteiligten Mädchen dreht er mit seinem Kumpel Diggnsäck (Phillipp Kubitza) Selfmade-Pornos, die er an schleimige Typen weiterverkauft. Da ist Maik (Gerdy Zint), der Freund von Doreen und der Ex von Sarah und Charly. Ivonne, die Mutter von Charly (Gisa Falke), die lethargisch auf dem Sofa rumhängt oder wie besessen puzzelt. Und Robert (Chrion Elias Krase), der kleine Bruder von Charly, der aus Trotz abhaut, weil ihn niemand beachtet. Stereotypen, könnte man meinen.

Obwohl der Film jugendliche Sexualität in diesem Rahmen diskutiert, sollte er nicht ein weiterer Moralpanik-Film wie „Generation Porno“ werden. Ähnlich wie in Klandts Debutfilm „Weltstadt“, der in seiner Heimatstadt Beeskow spielt, in der zwei Jugendliche ohne wirklichen Grund einen Obdachlosen anzündeten, werden auch die Handlungen in „Little Thirteen“ nicht bewertet. Beide Filme drehen sich um Jugend und Perspektivlosigkeit. Das Motiv des Gefangenseins an einem Ort spielt in beiden eine wichtige Rolle. Aber es ist nicht ganz klar, welche Gründe es dafür gibt.

Christian Klandt will keine starren Kausalitäten vorgeben. Die Zuschauer sollen selbst nach Anfang und Ende der Geschichten fragen. Und so schlagartig, wie der Zuschauer in seinen neuen Film hineingeworfen wird, wird ihm dieser Einblick wieder entrissen. Alles bleibt offen. Niemand erfährt, ob sich Sarahs Sehnsucht irgendwann erfüllt. Anna Grieben

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