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POSITION: Kritisieren, distanzieren, boykottieren?

Europa will Israel maßregeln – das zeugt von Doppelmoral und Ignoranz Von Olaf Glöckner

Vor wenigen Wochen zog ein Potsdamer Workshop zum Thema „After 50 Years of German-Israeli Diplomacy. New Directions?“ gehörig Aufmerksamkeit auf sich. In einem PNN-Interview vom gleichen Tag machte die Philosophin und Direktorin des Einstein-Forums, Susan Neiman, dann weitgehende politische Forderungen auf: „Ich bin dafür, dass Europa Palästina anerkennt“, erklärte sie ohne Wenn und Aber, und legte gleich noch nach: „Produkte aus den israelischen Siedlungen sollten hier nicht mehr verkauft werden.“ In der Tat starker Tobak für ein Treffen, das zunächst als wissenschaftliche Bestandsaufnahme gedacht war und sich zugleich um die Befindlichkeiten der Deutschen kümmerte, unter denen, so Neiman, „eine gewisse Hilflosigkeit angesichts der zunehmenden Radikalisierung der israelischen Rechten“ festzustellen sei.

Nun muss man kein Freund israelischer Siedlungspolitik und auch kein Fan von Benjamin Netanjahu sein, um sich zu fragen, weshalb beim Nahostkonflikt regelmäßig das Kind mit dem Bade ausgeschüttet und Israel seit John Mearsheimers and Stephen Walts „The Israel Lobby“-Buch (2006) auch für internationale Probleme herhalten muss. Angefangen beim gestörten Verhältnis zwischen Israel und den USA, das Susan Neiman im PNN-Interview gleichfalls diagnostiziert. Dass die Obama-Administration es mit Israel „aufgegeben“ habe, spiegelt wohl kaum den Konflikt zweier Länder, sondern das Nicht-Miteinander-Können zweier politischer Charakterköpfe. Sicher, dass Obama Israels aktuelle Palästinenserpolitik missbilligt, verwundert kaum. Ebenso wenig aber Netanjahus beharrliche Kritik am ganz wesentlich von den USA mitgestalteten „Atom-Deal“ mit dem Iran. Ein Vertrag, der vom islamistischen Mullah-Regime Kooperation in einem Ausmaß verlangt, die es bisher noch nie gezeigt hat. Das dafür aber, wie jüngst geschehen, bei umstrittenen Raketen-Tests seine Marschflugkörper mit dem Spruch „Israel must be wiped out“ („Israel muss ausgelöscht werden“) ziert. Vertrauen wagen? Im Zweifelsfall verlässt sich Israel eben doch auf sich selbst.

Doch zurück nach Europa und den politischen Vorschlägen von Susan Neiman. Die EU solle „Palästina anerkennen“, aber welches Palästina meint sie damit? Das von Hamas-Führer Ismail Haniyeh im Gazastreifen, von dem aus wieder eifrig unterirdische Tunnelsysteme unter israelisches Staatsterritorium gegraben werden, wohl kaum aus einer erlebnistouristischen Laune heraus?

Oder das Palästina im Westjordanland, regiert vom eher moderaten Fatach-Politiker Rami Hamdalla? Oder vielleicht beide gemeinsam?

Nicht weniger radikal wie diffus liest sich Neimans zweiter Vorschlag: In Deutschland sollten keine Produkte mehr „aus den israelischen Siedlungen“ verkauft werden. Wohlgemerkt: Hier wird nicht die Deklarierung von Waren als Siedler-Produkte aus besetzten Gebieten, sondern ihre Verweigerung auf dem Markt empfohlen – ganz so, wie es sich auch die pro-palästinensische, international agierende BDS-Bewegung (Boycott, Divestment and Sanctions) wünscht. Bumerang-Effekte werden dabei in Kauf genommen. Nach Einschätzung des palästinensischen Menschenrechtlers Bassam Eid trägt allein schon die von der EU geplante Deklarierung von Produkten aus israelischen Siedlungen im Westjordanland das Risiko, dass in absehbarer Zeit rund 30 000 palästinensische Arbeitskräfte, die derzeit in den Siedlungen beschäftigt sind, ihren Job verlieren.

Susan Neiman sieht die Europäer aber noch mehr in der Pflicht und bemängelt eine zu lasche Kritik gegenüber Israel. Ihre Begründung: „Je mehr deutlich wird, dass Israel für Verletzungen der Menschenrechte nicht kritisiert wird, desto mehr steigt eine antisemitische Position.“

Eine verblüffende Logik – oder auch Unlogik –, stellt doch schon heute die Frequenzdichte anti-israelischer Kritiken in der UNO das meiste andere in den Schatten. Bekanntermaßen verabschiedet die Uno-Generalversammlung Resolutionen gegen Israel in flotter Abfolge und pflegt zugleich, indem sie Menschenrechtsverletzungen von berüchtigten Regimen und Diktaturen in Afrika, Asien oder Südamerika ignoriert oder beschönigt, eine perfide Doppelmoral.

Kein einziges Mal in seiner Geschichte ist Israel bisher dafür „honoriert“ worden, in der Palästinenserpolitik und im Verhältnis zur arabischen Welt flexibler und kompromissbereiter agiert zu haben, wie etwa in der Ära der Sozialdemokraten Yitzhak Rabin und Ehud Barak. Und so dürfte wohl auch Susan Neimans Hypothese, eine „mustergültige“ israelische Politik vermindere weltweiten Antisemitismus, im Reich des Spekulativen bleiben. Mehr noch: Es bleibt zu befürchten, dass westliche Doppelmoral und die europäische Ignoranz gegenüber greifbarem, nahöstlichem Vernichtungsantisemitismus Israel noch mehr als bisher vom „Alten Kontinent“ entfremden wird.

Der Autor ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Potsdamer Moses Mendelssohn Zentrum für europäisch-jüdische Studien.

Olaf Glöckner

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