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Homepage: Penetration im Rathaus

Medienwissenschaftlerin der Universität Potsdam über den Reiz der Postpornografie

Die ersten leicht irritierten Blicke gab es, als der Mann auf der Leinwand begann sich zu dem Song „American Boy“ von Estelle, die Kleider fast im Zeitlupentempo auszuziehen. Auch wenn die meisten Zuhörer damit rechnen mussten, schließlich ging es in dieser Vorlesung um Pornografie, genauer gesagt Postpornografie. Nackte Menschen gehören da einfach dazu. Als noch weitere Teile der Performance „Town Hall Philosophical Living Color Drawing“ von Sands Murray-Wassink gezeigt wurden, bis hin zur analen Penetration mit einem Sexspielzeug in Nahaufnahme, verwandelte sich die Verunsicherung auf einigen Gesichtern in Fassungslosigkeit. Der Künstler hatte die Performance 2008 im Rathaus von Bern aufgeführt.

Versucht man der Pornografie wissenschaftlich auf den Leib zu rücken, sind verwunderte Blicke keine Seltenheit. In ihrem Vortrag „Potsporno, Kunst, Affekt – Über einen queer-politischen Umgang mit Pornografie“, der unlängst im Rahmen der Ringvorlesung „Let’s talk about Gender und Diversity als berufliche Schlüsselkompetenz“ an der Fachhochschule Potsdam zu hören war, nähert sich Katja Grawinkel dem Postporno aus geschlechtertheoretischer Sicht.

Pornografie bewegt sich am Rande der gesellschaftlichen Akzeptanz. Mehr ein Tabu, das hinter vorgehaltener Hand besprochen wird. Mit der Postpornografie ist vor allem in modernen feministischen Denkströmungen ein Ansatz entstanden, Pornografie auf humorvolle Art zu sehen. Doch zunächst, so Katja Grawinkel, Masterabsolventin der Europäischen Medienwissenschaft an der Potsdamer Universität und Fachhochschule, müsse konkret definiert werden, um was es sich bei Pornografie genau handele und was es mit der Vorsilbe „post“ auf sich hat. Denn in Zeiten von Internetpornografie wisse nicht mehr jeder, dass die Pornografie schon auf eine lange Geschichte zurückblicken kann. Aus dem Griechischen kommend, beschreibt der Begriff „Pornografie“ die bildliche Darstellung sexueller Handlungen. Dieses Verständnis hat sich bis heute drastisch geändert. Nach der Brockhaus-Enzyklopädie gilt Pornografie mittlerweile als „sexuelles Phänomen und soziales Problem“. Die Bedeutung des Präfix „post“ zu erklären, erweise sich jedoch als durchaus schwieriger. Die Entwicklung eines historischen und gesellschaftlichen Phänomens, auch die Pornografie, ist immer in drei Stufen einzuteilen – die Präphase, die Hochphase und die Postphase. In der Postphase ist die Blütezeit eines Phänomens bereits vorbei, seine Auswirkungen auf die Gesellschaft sind jedoch noch deutlich zu spüren.

Nachdem der Porno in den 70er Jahren seine Blütezeit feierte, befinden wir uns in der „Postpornophase“, erklärt Katja Grawinkel. In den letzten Jahren sei es zunehmend zu einer Vermischung von Pornografie und Kunst gekommen, was den Zugang zu dieser Thematik über zwei verschiedene Ebenen eröffnet. Zum einen lassen sich die Veränderungen auf ästhetischer und soziokultureller Ebene nachzeichnen. Zum anderen ist die Veränderung künstlerischer Strömungen durch die Beschäftigung mit Pornografie von großer Bedeutung. Durch den erweiterten Blick auf Pornografie werde kritisches Hinterfragen ermöglicht.

Die Entwicklung des Pornos hat in den letzten Jahren zu einem verändertem Verhältnis des Produzenten und Rezipienten geführt. Durch die weite Verbreitung im Internet, die steigende Zahl von Amateurpornos und die künstlerische Rezeption entwickelte sich die Pornografie zu einem bipolaren Phänomen, erklärte Katja Grawinkel. So stünde die Reproduktion von Stereotypen im Vordergrund, die Heterosexualität und das damit einhergehende Geflecht von Sexualität und Macht als die Norm betrachten: die Sexualität zwischen Mann und Frau gilt stets als Norm, wohingegen gleichgeschlechtliche Sexualität als von der Norm abweichend auf weitaus weniger Akzeptanz stößt. Doch mittels der Postpornografie verändere sich auch die Wahrnehmung der Pornografie. Hier sehe man auch die Möglichkeit, so Garwinkel, hinter diese Klischees treten zu können. Selbst wenn hier, wie in „Town Hall Philosophical Living Color Drawing“, Elemente der Pornografie zum Teil einer Performance werden.Chantal Willers

Ringvorlesung an der FH Potsdam: 14. Juni, Jan Diestelmeyer – „An so was müssen wir arbeiten! James Bond, Hancock und die Bestimmung der Aktivität“

Chantal Willers

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