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Interview mit Klimaforscher aus Potsdam: Eine gigantische Lücke

Der Potsdamer Klimaroscher Gunnar Luderer über das für den Klimaschutz entscheidende Jahr 2015, die zögerlichen Fortschritte der Weltgemeinschaft, neue Arbeitsplätze für die Braunkohleregion Lausitz und Licht am Horizont

Herr Luderer, schafft die Weltgemeinschaft in diesem Jahr den Durchbruch bei den globalen Klimaschutzzielen?

Es gibt eine große Diskrepanz zwischen dem langfristigen Ziel, die globale Erwärmung auf zwei Grad zu begrenzen und den Zusagen für Minderungen der Treibhausgas-Emissionen der einzelnen Länder. Bisher zeichnet sich im Vergleich zu den Vorjahren zwar eine leichte Verbesserung ab – wir sind aber weit davon entfernt, die Welt auf einen Pfad der Klimastabilisierung unter zwei Grad gegenüber dem vorindustriellen Niveau zu bringen.

Wo stehen wir also derzeit?

Wenn wir die Anstrengungen um Emissionsminderung für das Zwei-Grad-Ziel gleichmäßig über die Zeit verteilen würden, ergäbe sich für 2020 ein Emissionsniveau von rund 44 Gigatonnen Treibhausgasen pro Jahr. Der gegenwärtige Trend zeigt aber eher in Richtung von 55 Gigatonnen. Das ist eine gigantische Lücke. Es ist zwar immer noch möglich, durch spätere Zusatzanstrengungen das Zwei-Grad-Ziel noch zu halten. Je später man anfängt, desto steiler muss man mit den Emissionen dann runtergehen, was dann auch zu größeren ökonomischen Verwerfungen führen würde.

Heutige Emissionen gehen also auf Kosten von morgen?

Genau. Das Problem ist, dass in dem Maße, in dem in den nächsten Jahren fossile Energieträger genutzt werden, es schwieriger wird, die Emissionen langfristig zu reduzieren. Je klimaschädlicher die Energiewirtschaft vor 2030 ist, desto geringer fallen die Potenziale zur Minderung danach aus, weil neu gebaute Kraftwerke jahrzehntelang genutzt werden. Es sollte daher eine der Prioritäten der Klimapolitik sein, derartige Pfadabhängigkeiten zu verhindern, beispielsweise durch einen Stopp beim Neubau von Kohlekraftwerken.

Am 31. März endete die Frist für die Industrienationen, ihre Pläne für den Weltklimagipfel im November in Paris einzureichen. Nur sieben Länder haben sich bislang gemeldet. Das ist nicht viel.

Im Vorfeld des Gipfels werden nun erst einmal von allen Ländern Minderungszusagen eingesammelt, um dann zu schauen, ob das zu dem Zwei-Grad-Ziel passt. Dazu ist es nötig, dass zumindest von den großen Emittenten die Vorschläge rechtzeitig vor der Weltklimakonferenz im November in Paris vorliegen. Bisher haben eine ganze Reihe der wichtigen Länder noch keine Zusagen vorgelegt. Das wird für den Paris-Prozess unter Umständen zum Problem, da es dann keinen Spielraum mehr für Nachverhandlungen gibt. Obwohl wir jetzt schon wissen, dass es Nachbesserungen geben muss.

Am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung werden die Reduktionspläne der einzelnen Länder analysiert. Was zeigt sich dabei?

Von den sieben Ländern, die bislang eingereicht haben, sind die Vorschläge von sechs Ländern als mittelmäßig zu bewerten, der von Russland liegt im roten Bereich, hier würden die Emissionen sogar noch steigen. Das reicht nicht aus. Wenn alle mittelmäßig sind, können wir nicht bei zwei Grad Erwärmung bleiben. Es braucht eben auch Länder, die bereit sind, ein wenig mehr zu machen.

Ist ein Drei-Grad-Ziel also mittlerweile realistischer?

Das Zwei-Grad-Ziel wirklich noch zu erreichen würde einen fundamentalen Bruch mit den gegenwärtigen Trends innerhalb der nächsten Jahre verlangen. Wenn in Paris keine substanziellen Verbesserungen erreicht werden, sind zwei Grad nicht mehr realistisch. Wenn nicht mehr auf den Tisch gelegt wird als bisher, gehen wir auf eine Erwärmung von drei oder vier Grad bis 2100 zu. Damit würden wir dann in eine völlig andere Welt kommen, als sie uns heute bekannt ist. Das macht dann einen sehr großen Unterschied bei den Schäden und der Wirkung des Klimawandels auf Mensch und Natur aus.

Vier Grad wärmer seit der Industrialisierung

das hätte drastische Folgen. Im Erdsystem gibt es eine Reihe von Kippelementen, deren Risiko bei einer Erwärmung über zwei Grad Celsius massiv ansteigt. Zum Beispiel würde das Eis Grönlands dann destabilisiert und damit der Meeresspiegel auf lange Sicht, das heißt im Laufe von Jahrhunderten, um mehrere Meter ansteigen. Bereits jetzt beobachten wir ein rapiden Rückgang des arktischen Meereises. Aufgrund der komplexen Dynamik des Klimasystems haben die Veränderungen in der Arktis auch eine direkte Auswirkung auf Wettersysteme in mittleren Breiten, und erhöhen zum Beispiel das Risiko für Extremereignisse in Mitteleuropa.

Sie haben das Zwei-Grad-Ziel also bereits aufgegeben?

Nein, es ist immer noch erreichbar. Es kommt auf die Gesamtmenge der CO2-Emission bis Ende des Jahrhunderts an. Da bleiben uns noch rund 1200 Gigatonnen. Das ist ein sehr stringentes Limit, aber wir haben in Berechnungen gezeigt, dass es gehen könnte. Ansätze zur Erzeugung negativer Emissionen werden wohl eine wichtige Rolle spielen, etwa, indem Biomasse verbrannt wird, die Kohlenstoff-Emissionen abgeschieden und mit dem CCS-Verfahren unterirdisch gespeichert werden. Je später wir anfangen, ernsthaften Klimaschutz zu betreiben, desto stärker werden wir auf negative Emissionen angewiesen sein.

Ein schwieriges Unterfangen, wenn ein Vorstoß etwa der deutschen Bundesregierung zur Reduzierung der Kohleverstromung, umgehend zu Protesten wegen gefährdeter Arbeitsplätze führt.

Die Emissionen aus den Kohlekraftwerken, wie etwa in der Lausitz, sind ein wichtiger Punkt. Wenn wir uns für den Kohleausstieg statt 30 Jahre nun 60 Jahre Zeit lassen, fehlt uns die Luft, Emissionen etwa aus der Stahlerzeugung, die viel schwieriger zu reduzieren sind, abzufangen. Es ist wichtig, die Emissionen dort zu vermeiden, wo dies relativ leicht möglich ist, wie beispielsweise in der Stromwirtschaft.

Die Arbeitsplätze wären auch nicht unbedingt verloren, wenn man auf andere Energieformen umstellt.

So ist es. Und die Transformation zu erneuerbaren Energien ist mittelfristig ohnehin nötig. Die Frage ist nun, ob man den Prozess 20, 30 Jahre herauszögern sollte, oder nicht den sowieso anstehenden Strukturwandel heute bereits einleitet.

Es gibt auch positive Signale.

China hat inzwischen die Verantwortung als weltgrößter Emittent erkannt. Insofern ist das Land ein entscheidender Schlüssel. Die Pro-Kopf-Emissionen sind hier mittlerweile zwar höher als in der EU, allerdings sind die Bestrebungen, eine Trendumkehr einzuleiten, beachtlich. Die nationale Energiepolitik des Landes entwickelt sich ermutigend, die erneuerbaren Energien werden stark ausgebaut, im Transportbereich wird unter anderem auf Elektromobilität gesetzt. Viel davon ist von dem Ziel getrieben, die Luftverschmutzung zu reduzieren. Das hat auch einen positiven Effekt für den Klimaschutz. Gleichzeitig ist festzustellen, dass China relativ zurückhaltend ist, diese Bemühungen auf der internationalen Ebene in Form verbindlicher Zusagen einzubringen.

Klimaschutz ist also nicht nur gut fürs Klima?

In der Tat hat Klimaschutz eine Reihe von positiven Zusatzeffekten, insbesondere in Bezug auf die Luftverschmutzung. Das zeigt sich wiederum am Beispiel der Lausitzer Braunkohle. Nach einer Studie der Europäischen Umweltagentur hat etwa die Hälfte der Umweltschäden durch Braunkohle nichts mit dem Klima zu tun. Da kommen andere Probleme ins Blickfeld, etwa Schwefel- und Stickoxidemissionen, Quecksilber, die Versauerung von Grund- und Oberflächenwasser oder auch die Verockerung der Spree. Das sind gigantische Umweltschäden. So gesehen werden wir langfristig auch unabhängig vom Klimaproblem aus der Kohle aussteigen müssen.

Bei der globalen Erwärmung gibt es jetzt immerhin Licht am Ende des Tunnels.

Die Internationale Energieagentur hat gemeldet, dass die weltweiten CO2-Emissionen von 2013 bis 2014 erstmals seit vielen Jahren nicht mehr gestiegen sind. Und das trotz des relativ starken Wachstums der Weltwirtschaft. Wenn sich das verstetigen würde, wäre das ein sehr ermutigendes Zeichen, eine erstmalige Trendumkehr. Hintergrund könnte etwa sein, dass in den großen Schwellenländern Indien und China das Wachstum des Kohleverbrauchs gestoppt ist. Das ist vor allem auch darauf zurückzuführen, dass in diesen Ländern festgestellt wurde, dass unabhängig vom Klimaproblem die starke Abhängigkeit von den fossilen Rohstoffen ein Problem ist. Neben den massiven Problemen mit der Luftverschmutzung sind auch Energie- und Versorgungssicherheit ein großes Thema. China schafft es mittlerweile nicht mehr, die unglaublichen Mengen an Kohle aus dem Landesinneren in die verbrauchsstarken Küstenregionen zu transportieren. Der daraus resultierenden Importabhängigkeit will man nun entgehen.

Letztlich braucht es aber einen Preis für Kohlendioxid, um die Nutzung des Treibhausgases zu reduzieren?

Das wäre ökonomisch am sinnvollsten um die Kosten des Klimaschutzes so klein wie möglich zu halten. Alle großen Sektoren mit Emissionen müssten miteinbezogen werden, auch das Transportwesen und der Gebäudebereich. Am besten wäre ein weltweites Emissionshandelssystem, durch das alle Emissionen abgedeckt wären. Solch ein idealisierter Politikansatz erweist sich aber zunehmend als schwer umsetzbar, weil er Besitzstände angreift und zu einer Umverteilung des Wohlstandes führen könnte.

Aber?

Wir haben am PIK in einer Studie nun gezeigt, dass die Einführung eines CO2-Preises durch technologiespezifische Maßnahmen begleitet werden kann, etwa mit der Förderung erneuerbarer Energien oder der Abkehr vom Kohlestrom. So könnte man auf einem bescheideneren Niveau einen CO2-Preis einführen und die Klimapolitik sozialverträglich ausgestalten. Das wäre dann politisch leichter umsetzbar.

Das Gespräch führte Jan Kixmüller

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