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Kritikerin. Gladys Tzul Tzul.

© A. Klaer

In Potsdam ausgezeichnet: Eine mutige Karriere

Die Soziologin Gladys Tzul Tzul aus Guatemala ist mit dem Voltaire-Preis der Universität Potsdam ausgezeichnet worden.

Potsdam - Das erste Mal wirklich Angst hatte Gladys Tzul Tzul, als sie bei einer öffentlichen Veranstaltung in ihrer Heimat Guatemala ihre Forschung vorstellte, mit der sie die historische Existenz der indigenen Bevölkerung belegte. Tzul Tzul engagiert sich seit vielen Jahren für die Rechte der indigenen Völker ihrer Heimat, deren Existenz von der Regierung Guatemalas praktisch negiert wird. Mehrfach wurde die Soziologin wegen ihrer Arbeit bedroht, zirkulierten Gerüchte über ihren Tod. Doch zum Schweigen bringen lässt sich Tzul Tzul nicht. Für ihren unermüdlichen und mutigen Einsatz ist sie nun von der Universität Potsdam mit dem Voltaire-Preis ausgezeichnet worden.

Tzul Tzul ist die zweite Preisträgerin des „Voltaire-Preises für Toleranz, Völkerverständigung und Respekt vor Differenz“. Im vergangenen Jahr wurde die von der Friede Springer Stiftung mit 5000 Euro dotierte Auszeichnung an die türkische Wissenschaftlerin Hilal Alkan überreicht, die öffentlich den Krieg in den kurdischen Gebieten anprangerte. „Die Preisträger sind Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die unter widrigen Umständen die Fahne der Aufklärung hochgehalten haben“, sagte Uni-Präsident Günther bei der Verleihung. Tzul Tzul habe trotz Widerständen eine Karriere des Mutes entwickelt, eine Karriere, bei der sie sich nie von ihrem Weg habe abbringen lassen und dabei wichtige Grundlagenforschung erarbeitet habe, erklärte Romanist Ottmar Ette von der Jury, der Tzul Tzul persönlich vorgeschlagen hatte.

Vorfahre hat Aufstand gegen die spanische Kolonialherrschaft angeführt

Die 37-Jährige Soziologin hat sich als eine der wenigen lateinamerikanischen Akademiker auf die Analyse von indigenen Regierungssystemen in Mittelamerika spezialisiert. Sowohl in ihren wissenschaftlichen Arbeiten, als auch in ihrem gesellschaftlichen Engagement konzentriert sich Tzul Tzul vor allem auf die indigenen Gemeinschaften Guatemalas, den sogenannten „comunidades“. Tzul Tzul gehört zur Volksgruppe der Quiché, einem Volk der Maya. Einer ihrer Vorfahren ist Atanasio Tzul, sagenumwobender Anführer der Quiché, der 1820 einen Aufstand gegen die spanische Kolonialherrschaft anführte.

Der Anteil der indigenen Bevölkerung in Guatemala beträgt aktuell etwa 60 Prozent, so Tzul Tzul. Bis heute werden sie unterdrückt, diskriminiert und leben vielfach in Armut. „Ich habe die Möglichkeit gehabt, zu studieren und mich weiterzubilden und kann mein Wissen nun an die Gemeinschaften zurückgeben“, erklärt Tzul Tzul. Die promovierte Soziologin gründete vor einigen Jahren Amaq, ein Institut, das indigenen Völkern Rechtsberatung anbietet. Dabei gehe es häufig um Territorien, um traditionelles Land der indigenen Bevölkerung, das sich große internationale Konzerne für ihre Landwirtschaftsexporte oder Bergbau- und Wasserkraftprojekte aneignen wollen.

Wiedergutmachung oder Ähnliches gebe es nicht

Die jüngere Geschichte Guatemalas ist vor allem durch den Bürgerkrieg von 1960 bis 1996 geprägt, dem Schätzungen zufolge bis zu 250 000 vor allem indigene Menschen zum Opfern fielen. In den Jahren 1982 bis 1983 kam es unter der Präsidentschaft von Efraín Ríos Montt zu Massakern an Ureinwohnern. Tzul Tzul hat den Genozid offen angeprangert. Montt wurde 2013 von einem guatemaltekischen Gericht wegen Völkermordes und Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu 80 Jahren Gefängnis verurteilt – doch das Urteil wurde aufgehoben und eine neue Verhandlung wegen des Todes von Montt im April dieses Jahres niemals zum Abschluss gebracht. „Für den guatemaltekischen Staat gab es keinen Krieg, keinen Völkermord und kein Problem“, erklärt Tzul Tzul. Wiedergutmachung oder Ähnliches gebe es nicht. Mithilfe der Europäischen Gemeinschaft sei es gelungen, 116 Massengräber zu identifizieren. Insgesamt geht man von über 600 solcher Gräber aus. Erst vor kurzem sind 171 Leichen auf Betreiben der Witwen identifiziert worden und konnten einem zweiten Begräbnis zugeführt werden.

Heute, 20 Jahre nach der formellen Beendigung des Krieges, seien zwar mehr Indigene aktiv an der Regierung und anderen staatlichen Institutionen beteiligt, gleichzeitig werden jedoch die kommunalen Positionen, die lokalen Gemeinschaften von einer echten Partizipation ausgeschlossen, so Tzul Tzul. „Der Staat leugnet die indigenen ,comunidades’, er negiert die indigenen Völker“, sagt die Soziologin. „Offiziell gibt es zwar keinen Konflikt des guatemaltekischen Staates mit den indigenen Kulturen, aber vor allem die Kapitalakkumulation, der Verkauf und Ankauf von Land, Bodenschätzen, Landwirtschaft gewinnt zunehmend an Bedeutung“, sagt Tzul Tzul. Sie meint großangelegte Projekte des Staates und transnationaler Konzerne, bei denen auf die traditionellen Territorien der Indigenen keine Rücksicht genommen werde.

Tzul Tzul erhielt Morddrohungen

Für ihre öffentliche Kritik und ihr Engagement erhielt Tzul Tzul auch schon Morddrohungen. „Sie streuten das Gerücht, dass meine Schwester tot und ich die nächste sei.“ Ihre Schwester war zu dem Zeitpunkt wohlbehalten in Mexiko. Aufgeben will Tzul Tzul trotz der Bedrohung nicht. Die größte Kraft gebe ihr die Tatsache, wie sich die indigenen Gemeinschaften umeinander kümmern. Außerdem gebe es in ihrer Heimat nicht nur ständigen Kampf, sondern auch viel Schönheit, die Natur, die Traditionen und Feste der indigenen Bevölkerung. 

Sarah Stoffers

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