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Im Giftschrank. Die Dissertationen der Stasi-Hochschule wurden unter Verschluss gehalten. Hier ein Stasi-Tresor an der ehemaligen MfS-Hochschule in Golm.

© Andreas Klaer

Homepage: Geheime Promotionen

Die ehemalige Stasi-Hochschule in Golm erhielt vor 45 Jahren das Promotionsrecht. Die Grünen fordern die Überprüfung der Arbeiten

Die Promotion entstand noch in den letzten Tagen der DDR. „Das aktuelle Erscheinungsbild politischer Untergrundtätigkeit in der DDR und wesentliche Tendenzen seiner Entwicklung“, lautete ihr Titel. Entstanden ist die Doktorarbeit an der Juristischen Hochschule Potsdam (JHS), wie die Hochschule des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) in Potsdam-Golm offiziell genannt wurde. Der Promovend darf sich bis heute Doktor der Rechte (Dr. jur.) nennen, auch wenn er laut Einigungsvertrag nicht als Jurist arbeiten darf. Das finden nicht alle in Ordnung.

Für Axel Vogel, den Fraktionsvorsitzenden der Brandenburger Grünen, ist es nicht nur ein Problem, dass diese „Doktoren der Tschekistik“, wie sie die Stasi-Unterlagen-Behörde (BStU) nennt, auch nach der Wende mit ihrem Titel weiter Karriere machen konnten. Ihm geht es vor allem um die Frage, ob die weit über 400 Promotionen der JHS wissenschaftlichen Standards genügen. Denn Untersuchungen der BStU haben ergeben, dass die Arbeiten zuweilen in Gruppen erstellt wurden und manchmal gerade einmal den Umfang von Seminararbeiten hatten. „Wenn der Doktorgrad eine wissenschaftliche Leistung repräsentieren soll, dann ist es geradezu absurd, dass diese Doktortitel übernommen wurden“, sagt der Grünen-Politiker Vogel. „Im Prinzip müssten diese Doktortitel aberkannt werden.“

Das ist allerdings nicht so einfach. Denn im Einigungsvertrag wurde festgelegt, dass in der DDR erworbene akademische Grade nicht aberkannt werden. Nur die Hochschule, an der die Promotion erfolgte, kann bei wissenschaftlichen Verfehlungen – etwa Plagiaten oder unwissenschaftlichen Methoden – den Doktortitel aberkennen. Doch die Golmer Stasi-Hochschule gibt es nicht mehr. Bleibt die Universität Potsdam als mögliche Nachfolgeeinrichtung, denn sie ist aus der Pädagogischen Hochschule hervorgegangen, in der die Stasi-Hochschule 1990 aufgegangen war.

Die Universität Potsdam ist allerdings eine Neugründung des Landes Brandenburg. Sie sieht sich nicht als Rechtsnachfolgerin der Juristischen Hochschule des MfS. Die Bibliotheksbestände der MfS-Hochschule, zu denen die Abschlussarbeiten und Dissertationsschriften gehören, fallen unter das BStU-Gesetz, erklärte Uni-Sprecherin Birgit Mangelsdorf. Die Bestände seien zunächst durch das Brandenburgische Landesarchiv gesichert und dann dem Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der DDR überstellt worden. Dort sind sie auf Antrag einsehbar. „Die Tätigkeit der JHS ist zudem insgesamt mit den von der Universität Potsdam verkörperten Werten freier wissenschaftlicher Arbeit im Rahmen der freiheitlich-demokratischen Grundordnung unvereinbar“, sagte Mangelsdorf. Unabhängig von der Frage der Rechtsnachfolge sei sich die Universität jedoch als Nutzer des Standortes Golm dessen Geschichtsträchtigkeit bewusst. „Sie unterstützt daher alle Bemühungen zur geschichtlichen Aufarbeitung und hält die Erinnerung an die MfS-Vergangenheit des Standortes Golm wach“, so die Uni-Sprecherin.

Der Grünen-Politiker Axel Vogel hält eine Überprüfung der Dissertationen für angebracht. Er ist der Auffassung, dass die Arbeiten auch nach wissenschaftlichen Standards der DDR keinen Bestand gehabt hätten. Was aber wegen der Geheimhaltung seinerzeit kein freier Professor hätte überprüfen können. „Das sind Billigpromotionen in einem völlig unakzeptablen Themenfeld, die aber durch den Einigungsvertrag abgesegnet wurden.“ Hinzu kam, dass die Personen, die promovieren durften, laut BStU von der Stasi ausgesucht wurden. Für das Studium an der JHS reichte unter anderem die Delegierung durch eine Diensteinheit, auch ohne Abitur.

Die Themen der Promotionen zeigen, worum es ging: „Verbrecherische Grenzüberschreitungen Jugendlicher und Heranwachsender“ wurden untersucht oder die „Wirtschaftlichen Störtätigkeit des staatsmonopolistischen Herrschaftssystems Westdeutschlands“. Eine andere Arbeit befasste sich sogar mit der Frage nach der „Entwicklung operativer Vorgänge zum systematischen Eindringen in die exekutive Führungszentrale des Bundeskanzlers in der BRD“. Auch die Stasi-Arbeit selbst stand bisweilen im Mittelpunkt. So ging es beispielsweise um Fragen, wie Menschen von der Staatssicherheit manipuliert werden konnten.

Die Themen der Dissertationen waren meist geheimpolizeilicher und geheimdienstlicher Natur, so das Ergebnis einer umfassenden Analyse, die die BStU zum 45. Jahrestag des Promotionsrechts der Stasi-Hochschule in diesem Jahr erstellt hat. Grundsätzliche Zielsetzung der Promotionen war es demnach, Analysen zu erstellen, theoretische Grundlagen für die operative Tätigkeit der Stasi-Diensteinheiten zu liefern und auf diese Weise die Arbeit des MfS zu qualifizieren. Einen wesentlichen Anteil an den Dissertationsthemen habe der operative und psychologische Umgang mit inoffiziellen Mitarbeitern gehabt. Die Themen der Arbeiten waren also nicht wirklich juristischer Natur, auch wenn die Hochschule sich als eine „juristische“ bezeichnete. Der Doktor der Rechte wurde laut BStU nur zur Verschleierung verliehen. Es galten die Geheimhaltungsregeln des MfS. So wurden zum Beispiel auch Lerninhalte in Zeugnissen „legendiert“, wie die Verschleierung von Nachrichtendiensten bezeichnet wird. Die Dissertationen selbst wurden als geheime Verschlusssachen geführt und deren Verteidigung fand im geschlossenen Kreis von Leitungsfunktionären der operativen Diensteinheiten und Wissenschaftlern der Hochschule statt. Zu den Promovierten zählt neben dem Stellvertreter Erich Mielkes, Gerhard Neiber, und Wolfgang Schwanitz auch KoKo-Chef und DDR-Devisenbeschaffer Alexander Schalck-Golodkowski.

Axel Vogel hat sich nun an den Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes, Roland Jahn, gewendet. Vogel strebt an, dass die Arbeiten öffentlich gemacht werden. Denn dass sie zu DDR-Zeiten geheim waren, dürfe heute keine Rolle mehr spielen, zumal die Promovierten ihren Titel noch tragen. „Uns geht es nicht darum, einzelne Personen zu diskreditieren, sondern um die grundlegende Frage der Wertigkeit eines Doktorgrades in Deutschland“, so Vogel. Im Zuge der Debatte um wissenschaftliches Fehlverhalten bei Promotionen müsse auch bei solchen Promotionen sehr genau hingeschaut werden. „Es kann nicht sein, dass Promotionen – zu Recht – auf Plagiate geprüft werden, während man bei solchen unter fragwürdigen Umständen entstandenen Arbeiten nicht genau hinschaut“, sagte Vogel den PNN.

Auch die Stasi-Unterlagen-Behörde hat ein großes Interesse an den Arbeiten. „Für uns sind die Dissertationen und Diplomarbeiten eine besonders ergiebige und interessante Quelle“, sagte die BStU-Sprecherin Dagmar Hovestädt dieser Zeitung. Sie würden einen Einblick in das Denken der Stasi ermöglichen. „Und dann sind sie wiederum sehr hilfreich beim Verständnis und der Interpretation der Unterlagen, die den Alltag der Arbeit und des Wirkens der Geheimpolizei abbilden.“

Die Initiative der Brandenburger Grünen begrüßt die BStU ausdrücklich. Wobei man die Forderung nach Offenlegung der Arbeiten eigentlich schon erfüllt sieht. Die Dissertationen und auch Diplomarbeiten der Juristischen Hochschule stehen laut BStU jedem offen. Im Gegensatz zu anderen Stasi-Unterlagen sind sie von jedermann ohne Angabe eines bestimmten Zwecks zugänglich. Die Namen von Stasi-Opfern sind geschwärzt, die Namen der Verfasser und Betreuer hingegen einsehbar.

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