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Im Wandel. Die europäische Ausrichtung der türkischen Jugend nimmt zu.

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Der Politikwissenschaftler Hüseyin Bagci sprach am Institut für Sicherheit über die Außenpolitik der Türkei

Die Türkei sei für die arabischen Staaten die intellektuelle Pipeline nach Europa, sagt Hüseyin Bagci. Der Professor für internationale Politik an der Middle East Technical University in Ankara berichtete für das Brandenburgische Institut für Gesellschaft und Sicherheit (BIGS) an der Universität Potsdam über die außenpolitischen Perspektiven, die sich für die Türkei aus dem arabischen Frühling und den aktuellen Umbrüchen in Syrien ergeben.

Bei ihrer Position zum Aufstand in Syrien habe die türkische Außenpolitik innerhalb einer Woche einen bemerkenswerten Schwenk um 100 Grad vollzogen, urteilt Bagci. Mehrere Jahre habe die Türkei im Verhältnis zu Syrien eine Politik verfolgt, die darauf abzielte, möglichst keine Probleme mit den Nachbarn zu haben. Dementsprechend lag es nahe, dass die Türkei sich aus den Konflikten in Syrien zunächst einmal vollständig heraushalten wollte. „Die Außenpolitik der Türkei sollte aber flexibel sein und wird jetzt mit der Politik Amerikas synchronisiert“, stellt Bagci fest. Der türkische Außenminister Ahmet Davutoglu und auch der Staatschef Recep Tayyip Erdogan gingen seiner Ansicht nach nicht davon aus, dass dem Regime des syrischen Staatschef Assad noch eine große Zukunft beschieden sei. Daher wollten sie sich die Perspektiven für die Zeit nach einem möglichen Sturz Assads nicht verbauen.

Nach Angaben von Nachrichtenagenturen waren in der Hochburg des syrischen Widerstandes, in Homs, in den vergangenen Wochen mehrere Tausend Menschen von den Soldaten und Milizen des Diktators Assad getötet worden. Nach Ansicht Bagcis stellt sich daher die Frage, ob es für die Türkei ausreichend ist, die Entwicklung in Syrien lediglich zu beobachten, oder ob nicht eine aktive Intervention angemessener sei. Bagci weist jedoch darauf hin, dass ein unmittelbares militärisches Eingreifen in dem Nachbarstaat schnell Erinnerungen an großosmanische Reichspläne wachrufen könnte. Dementsprechend kursieren innerhalb der türkischen Regierung lediglich Gedankenspiele zu der Einrichtung einer Pufferzone an der immerhin 900 Kilometer langen syrisch-türkischen Grenze, aber nicht zum direkten Eingreifen. Im Einklang mit US-Amerikanischen Außenpolitikern werde die Türkei wohl zunächst eher den Rebellen Logistik, Waffen, Ausbildung und Kommunikationsmittel zur Verfügung stellen, urteilen Kommentatoren. Ungünstig sei es jedenfalls, wenn die Türkei durch die Konflikte in Syrien weiter in eine Frontstellung zum Nachbarn Iran gedrängt werde, die allerdings ohnehin schon bestehe, meint Bagci.

Ein Konflikt zwischen der Türkei und dem Iran ergebe sich nicht zuletzt aus der sunnitischen Ausrichtung der türkischen Gläubigen und der shiitischen Ausrichtung des Irans. Bagci vergleicht die Konfrontation der beiden Glaubensrichtungen mit derjenigen der Katholiken mit den Calvinisten und Protestanten im 16. Jahrhundert. Mit Befremden hätte die junge türkische Generation bemerkt, dass iranische Außenpolitiker in letzter Zeit gelegentlich in religiösem Gewand in Ankara zum Besuch erschienen. „Die europäische Ausrichtung der türkischen Jugend, die jetzt noch vom Islam geprägt ist, wird zunehmen“, vermutet Bagci. Dies werde sich auch auf die arabischen Staaten auswirken, die ein immer stärkeres Interesse an der Türkei zeigen würden. Araber studierten häufig in der Türkei, die Nachfrage am Unterricht in türkischer Sprache sei in den arabischen Staaten groß. Auch die ägyptische Jugend habe großes Interesse an der Türkei und ihrer sehr dynamischen wirtschaftlichen Entwicklung gezeigt. Erst der nachdrückliche Hinweis darauf, dass die Türkei ein säkularer Staat sei, der Religion und Politik trenne, habe dem einen Dämpfer versetzt.

Wie sich die Außenpolitik der Türkei langfristig entwickele, sei schwer einzuschätzen. Derzeit bestimme im wesentlichen der Ministerpräsident Erdogan die außenpolitischen Richtung. „Erdogan hat ein ähnliches Gewicht wie Putin in Russland,“ so Bagci. Nach ihm komme erst einmal ein Vakuum. Richard Rabensaat

Richard Rabensaat

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