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Dieter Wedel pflegte sein Aufreißer-Image. Jetzt fällt es ihm auf die Füße.

© Swen Pförtner/dpa

Diskussion über Verdachtsberichterstattung: Nach dem Fall Wedel: Die Fragezeichen müssen bleiben

Wenn der Leser am Ende keine Fragezeichen mehr im Kopf hat: Eine spannende Diskussion über Verdachtsberichterstattung vor dem Hintergrund des Falles Dieter Wedel. Am Ende geht es auch um gute Journalistenausbildung.

Die Verdachtsberichterstattung sei „das größte Privileg und die größte Verantwortung, die Journalisten besitzen“, sagt Ex-„Spiegel“-Chefredakteur Georg Mascolo. Ein Verdacht könne sich als falsch erweisen – dennoch dürften Journalisten darüber berichten, solange sie sich an bestimmte Vorgaben hielten. Verdachtsberichterstattung sei für Journalisten zudem eine der „schwierigsten Aufgaben“.

Wie berichtet man angemessen über Verdachtsfälle, deren Ausgang offen ist? Wo liegen die Voraussetzungen und Grenzen von Verdachtsberichterstattung, die durch das Informationsinteresse der Allgemeinheit und nicht durch Sensationsgier begründet ist? Diese Fragen stellten Juristen und Journalisten auf einem Podium des Journalistenverbandes Berlin-Brandenburg und des Deutschen Anwaltsvereins am Mittwochabend in Berlin. Anlass war der Fall Dieter Wedel, ausgelöst durch die Berichte des „Zeit Magazins“, in denen Schauspielerinnen den Regisseur bezichtigten, sie in den 1990ern sexuell bedrängt zu haben. Wedel weist die Vorwürfe zurück.

Der Umgang mit Verdachtsfällen ist komplex und erfordert von Journalisten große Genauigkeit. Zwar gibt der Pressekodex ihnen Maßstäbe an die Hand. Es gelten das Persönlichkeitsrecht, die Sorgfaltspflicht und die Unschuldsvermutung, die eine Vorverurteilung durch den „Medienpranger“ verhindern soll. Denn Berichterstattung kann Betroffene ein Leben lang belasten und Existenzen ruinieren. Dieser „Medienpranger“ steht im Fall Wedel zur Diskussion.

Die Autorinnen und er hätten über 160 Zeugen gehört und die Recherche „so weit abgesichert, dass wir berichten konnten“, erklärt Medienrechtler Jörg Nabert, der als Hausanwalt der „Zeit“ in die Recherchen zum Fall Wedel eingebunden war. Den Aussagen gegenübergestellt habe man Wedels Gegenbehauptungen, die er eidesstattlich versichert habe. „Hier ging es um Straftaten am Set, bei der Berufsausübung“, begründet Nabert das öffentliche Interesse des Berichts und die Namensnennung. Hinzu kämen frühere Äußerungen Wedels, auch Männer seien Übergriffen ausgesetzt und auch er sei am Theater für homosexuell gehalten und unter Druck gesetzt worden.

„Manchmal ja, immer öfter nein.“

Rechtsanwältin Gül Pinar kritisiert die Folgeberichterstattung zu den Berichten des „Zeit Magazins“: „In einem Artikel darf keine Beweiswürdigung vorgenommen werden. Das ist Sache der Gerichte.“ Dies sei zwar nicht in den beiden „Zeit“-Artikeln geschehen, wohl aber in den Rundfunkinterviews, die die Autorinnen im Anschluss gaben. Bei der Verdachtsberichterstattung müsse beim Leser offen bleiben, ob die Person unschuldig sei oder nicht, es gelte stets die Unschuldsvermutung, mahnt Pinar: „Die Grenze ist dann überschritten, wenn der Leser am Ende keine Fragezeichen mehr im Kopf hat.“

Für eine journalistische Nachtragspflicht plädiert der rechtspolitische Korrespondent des Tagesspiegel, Jost Müller-Neuhof, wonach Redaktionen auch über den Ausgang eines Straf- oder Ermittlungsverfahrens berichten müssten, wenn darin ein zuvor berichteter Verdachtsfall widerlegt wurde. Schließlich blieben solche Berichte im Internet weiterhin auffindbar.

Georg Mascolo sieht in Sachen Verdachtsberichterstattung auch bei der Journalistenausbildung Nachholbedarf: Seine Antwort auf die Frage, ob diejenigen, die diese Verantwortung tragen, ausreichend dafür ausgebildet seien, laute „manchmal ja, immer öfter nein.“ Deshalb müssten die Redaktionen ihre Autoren, auch im lokalen und regionalen Bereich, besser vorbereiten.

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