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Homepage: Deutsch- jüdische Geschichte Antrittsvorlesung von Thomas Brechenmacher

Thomas Brechenmacher ist Kontrabassist mit Vorliebe für den Jazz. Bassisten sind Hintergrundmusiker.

Thomas Brechenmacher ist Kontrabassist mit Vorliebe für den Jazz. Bassisten sind Hintergrundmusiker. Sie sind es, die den Rhythmus vorgeben. Im Hauptberuf ist Brechenmacher Historiker. Seit einem Jahr hat er den Lehrstuhl für Neuere Geschichte mit Schwerpunkt deutsch-jüdische Geschichte an der Universität Potsdam inne und ist damit gleich an zwei Instituten angesiedelt: am Historischen Institut und am Institut für Jüdische Studien. Das ist, wie zwei Tonarten gleichzeitig spielen. Für einen jazzgeschulten Musiker kein Problem.

In seiner Antrittsvorlesung im restlos gefüllten Hörsaal des Philosophicums zeigte der Historiker nun, dass beide wissenschaftlichen Disziplinen sich in einer Fachrichtung treffen. Denn spätestens mit dem beginnenden 20. Jahrhundert etablierte sich die Erforschung der deutsch-jüdischen Geschichte als Teildisziplin der Geschichtswissenschaft.

Mit der rechtlichen Gleichstellung aller Religionen im Norddeutschen Bund wurde 1869 die juristische Voraussetzung dafür geschaffen, dass sich deutsche Staatsbürger jüdischen Glaubens als aktive Mitgestalter der Gesellschaft verstehen konnten. Weil dieses Selbstverständnis keineswegs selbstverständlich war, gründete sich 1893 der Central-Verein deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens: Gegen den weiterhin virulenten Antisemitismus helfe nur Aufklärung und Selbstbewusstsein.

Und eine gemeinsame Geschichte. Im 19. Jahrhundert hatten Historiker wie Isaak Markus Jost und Heinrich Graetz in enzyklopädischer Breite die Weltgeschichte der Juden erforscht. Eugen Täubler (1879-1953), der als Leiter das Gesamtarchiv der deutschen Juden in Berlin aufbaute, begründete die Historiographie der deutsch-jüdischen Weggemeinschaft. Denn als solche sah er das deutsch-jüdische Verhältnis. Deutsch-jüdische Geschichte müsse empirisch als Lokalgeschichte und soziologisch als Assimilationsprozess erforscht werden.

Seine Ehefrau Selma Stern (1890-1981) nahm in ihrer bis heute wegweisenden Quellenedition „Der preußische Staat und die Juden“ (1925-1975) diese Anregungen auf, betonte jedoch deutlicher den Aspekt der Emanzipation, nach 1945 mit einer resignativen Note. Schwerkrank hatte der Rechtsanwalt und Statistiker Bruno Blau die Nazizeit überlebt, bevor er in die USA emigrierte, sein Hauptwerk über die demographische Entwicklung der deutsch-jüdischen Bevölkerung 1800 bis 1945 ist nie erschienen. Empirische Studien wie diese fundieren eine Soziologie des Judentums, zu deren bedeutendsten Vertretern Werner Jacob Cahnman (1902-1980) gehörte.

Spätestens nach 1938 verlagerte sich die wissenschaftliche Untersuchung des deutsch-jüdischen Verhältnisses ins Ausland. Empirie und kultursoziologische Analysen genügten nicht als Argumente gegen einen völkischen, mordenden Antisemitismus. Als „Flucht in den Hass“ analysierte ihn Eva Reichmann (1897-1998) und versuchte aus sozialpsychologischer Perspektive „die Ursachen der deutschen Judenkatastrophe“ zu verstehen. Bis zu dessen Auflösung 1938 hatte sie im Central-Verein gearbeitet, danach war sie nach London geflohen.

Von den Historikern, die Brechenmacher zitierte, kehrte einzig Hans-Joachim Schoeps (1909-1980) nach Deutschland zurück, um vor Ort die deutsch-jüdische Geschichtswissenschaft wieder aufzubauen. Mit diesem Schlussakkord verbeugte sich Brechenmacher nicht nur vor seinem Lehrstuhlvorgänger Julius H. Schoeps, dem Sohn des Nonkonformisten und preußischen Juden. Er machte auch deutlich, dass die Ausrichtung seines Wissenschaftsideals, die Grundmelodie seiner Perspektive, eine dezidiert konservative ist. Lene Zade

Lene Zade

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