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Christliche Judenfeindschaft. Die sogenannte „Judensau“ war im Mittelalter ein beliebtes Motiv der Kirche zur Verleumdung der deutschen Juden. Die Tiermetapher findet sich heute noch an zahlreichen deutschen Kirchen (hier in Lutherstadt Wittenberg).

© N. Neetz, epd

Der braune Schatten des Reformators: Potsdamer Historiker forscht über Luthers Judenhass

Wie hat sich Martin Luthers Judenfeindschaft über die Jahrhunderte hinweg ausgewirkt? Der Potsdamer Historiker Werner Treß geht dieser Frage nach.

Man möge die Synagogen in Brand stecken und sie vollständig zerstören. Den Juden sollten alle ihre Bücher genommen werden, ebenso ihr Silber und Gold. Und sie selbst müsse man aus dem Land vertreiben. Was sich liest, als stamme es aus einer nationalsozialistischen Hetzschrift, ist in Wahrheit schon viel älter. Bereits rund 400 Jahre bevor die Nazis in Deutschland an die Macht kamen, brachte der Kirchenreformator Martin Luther diese heute so verstörend wirkenden Forderungen zu Papier. Nachzulesen in seiner Schrift „Von den Juden und ihren Lügen“ aus dem Jahre 1543.

Wenn die evangelische Kirche im kommenden Jahr mit vielen Veranstaltungen an die Veröffentlichung der 95 Thesen durch Martin Luther im Jahre 1517 erinnert und damit 500 Jahre Reformation feiern möchte, wird sie sich auch mit der dunklen Seite des Reformators befassen müssen. Im Vorfeld des Reformationsjubiläums hatte bereits im November vergangenen Jahres die Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) ein Positionspapier zum Umgang mit Luthers Antijudaismus verabschiedet. Luther, so heißt es darin, „verknüpfte zentrale Einsichten seiner Theologie mit judenfeindlichen Denkmustern.“ Während der Reformator in seinen jüngeren Jahren zunächst einen freundlichen Umgang mit den Juden propagierte – immer in der Hoffnung, dass sie zu dem aus seiner Sicht einzig wahren Glauben, dem Christentum, finden würden –, vertrat er später einen radikaleren Kurs. Im EKD-Papier heißt es dazu, Luthers Schmähungen und Forderungen hätten „auf eine vollständige Entrechtung und Vertreibung der Juden“ gezielt. An anderer Stelle in dem Dokument erklären die Synodalen: „Wir tragen dafür Verantwortung, zu klären, wie wir mit den judenfeindlichen Aussagen der Reformationszeit und ihrer Wirkungs- und Rezeptionsgeschichte umgehen.“

Zur Historie der Verbreitung von Luthers antijudaistischem Gedankengut forscht am Potsdamer Moses Mendelssohn Zentrum (MMZ) der Historiker Werner Treß. Wie also hat sich Luthers Judenfeindschaft über die Jahrhunderte hinweg ausgewirkt? „Ohne Luther kein Nationalsozialismus – das ist natürlich Quatsch“, sagt Treß. Doch es sei wie bei einem großen Fluss, versucht der Historiker zu erklären: Man werde niemals sagen können, nur weil es einen bestimmten Zufluss zu einem Hauptstrom gebe, existiere jener große Fluss. Doch Tatsache sei eben auch, dass selbst der kleinste Bach einen reißenden Strom speisen könne.

Luthers Schriften: Nährboden für Judenfeindschaft im 19. Jahrhundert

Und der wortgewaltige Luther war – um im Bild zu bleiben – offenbar nicht der kleinste aller Bäche, aus denen sich der Antijudaismus späterer Jahrhunderte speiste. „Martin Luthers Schriften sind ein Nährboden für die Judenfeindschaft im deutschen Nationalismus des 19. Jahrhunderts“, sagt Treß. Der Historiker hat sich für seine Forschungen die Lutherrezeption rund um das 300. Reformationsjubiläum im Jahre 1817 angesehen – und dabei zwei grundlegende Linien ausgemacht: Zum einen gab es da die Amtskirche. Sie habe loyal zum Staat gestanden. Dieser wiederum sei um die Emanzipation der Juden bemüht gewesen. Vor diesem Hintergrund „wäre es daher zumindest ungewöhnlich und auch illoyal dem jeweiligen Landesherrn und Kirchenoberhaupt gegenüber gewesen, wenn durch Amtsträger einer der protestantischen Kirchen gleichsam eine Judenfeindschaft unter Berufung auf Luther propagiert worden wäre“, schreibt Treß in seinem Aufsatz „Bekanntlich kein Freund der Juden“, der 2015 in der Zeitschrift für Religions- und Geistesgeschichte erschienen ist.

Zum anderen war da aber auch die nationalistisch eingestellte Opposition, die ihre Judenfeindschaft pflegte. Der Nationalismus hatte sich im frühen 19. Jahrhundert gerade erst gebildet, war noch eine junge Strömung. Unter seinen Anhängern gab es viele Ressentiments gegen Russen, Franzosen und Briten. „Man hatte sozusagen das Gefühl, dass die deutsche Nation von außen zerdrückt wird“, beschreibt Treß die damalige Stimmung innerhalb der Opposition. Einer ihrer wichtigsten Vertreter etwa, der Schriftsteller und Freiheitskämpfer Ernst Moritz Arndt, forderte dazu auf, die Franzosen „recht frisch“ zu hassen. Zudem, so Treß, habe unter den Nationalisten noch ein weiteres Gefühl vorgeherrscht, nämlich „dass es dann noch einen Feind im Innern gibt – und das sind die Juden“. Arndt zum Beispiel wetterte gegen die Juden als ein den Deutschen angeblich fremdes Volk.

Völkisch-nationale Rezeption seiner Schriften

Für die Zeit ab 1815 hat Treß daher zwei Richtungen der Lutherrezeption festgestellt: Einmal die kirchliche und staatsnahe Beschäftigung mit den Schriften des Reformators, bei der sein Judenhass wohl eher ausgeblendet wurde. Daneben habe es aber auch eine Lutherrezeption gegeben, „die sich nicht mehr nur im rein konfessionellen Sinne als christlich verstand, sondern darüber hinaus im säkularen Sinne als politisch, völkisch-nationalistisch, judenfeindlich“.

Aber wie bekannt waren Luthers judenfeindliche Äußerungen tatsächlich noch im 19. Jahrhundert? In dieser Frage sind sich die Kirchenhistoriker nicht einig. Während einige die Auffassung vertreten, die Pamphlete gegen die Juden seien zumindest im frühen 19. Jahrhundert offenbar unbekannt gewesen, kommt Treß zu einem gegenteiligen Ergebnis: In seinem Aufsatz vertritt er die These, dass im frühen 19. Jahrhundert auch die Rezeption der judenfeindlichen Spätschriften Luthers wieder einsetzte. Als Beleg führt er unter anderem eine Schrift des Berliner Geschichtsprofessors Friedrich Rühs von 1816 an („Die Rechte des Christenthums und des deutschen Volks. Vertheidigt gegen die Ansprüche der Juden und ihrer Verfechter“), in der dieser eine Reihe von judenfeindlichen Äußerungen Luthers zitierte, so auch wieder die Forderung des Kirchenreformators, die Synagogen anzuzünden. Aus Luthers ebenfalls im Jahre 1543 erschienener Schrift „Vom Schem Hamphoras und vom Geschlecht Christi“ zitierte Rühs hingegen nicht. „Möglicherweise war der in dieser Schrift bis hin zur Fäkalsprache radikalisierte Judenhass Luthers selbst einem Friedrich Rühs zu arg“, vermutet Treß.

Auch Friedrich Wilhelm Lomler, Pfarrer aus Hildburghausen, habe in der von ihm herausgegebenen volkstümlichen Ausgabe „Dr. Martin Luthers Deutsche Schriften“, erschienen in den Jahren 1816/17, judenfeindliche Äußerungen des Reformators abgedruckt, so Treß. Lomler distanzierte sich zwar zugleich von Luthers Antijudaismus. Doch Treß fand Lomlers Ausgabe in den heutigen Katalogen zahlreicher Bibliotheken und Antiquariate. „Das lässt einen gewissen Rückschluss auf ihre Verbreitung in der Zeit ihres Erscheinens zu“, so der Historiker. Ganz unbekannt dürfte Luthers Judenhass damals also nicht gewesen sein.

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