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Traditionslinien. Parade der Bundeswehr mit dem Karabiner 98k.

© M. Gambarini/dpa

Bundeswehr Potsdam erfasst Erinnerungswesen: Die Bundeswehr überprüft ihr Traditionsverständnis

Eine neu geschaffene Ansprechstelle für militärhistorischen Rat am Potsdamer ZMSBw überprüft Erinnerungsstücke der Bundeswehr. Besonders die Zeit des Nationalsozialismus und der Wehrmacht wird in den Blick genommen.

Potsdam - Nach den jüngsten Vorfällen um NS-Devotionalien und -Gedankengut in Bundeswehr-Einrichtungen ist am Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr (ZMSBw) in Potsdam eine Ansprechstelle für militärhistorischen Rat (AmR) eröffnet worden. Diese berät seit August dieses Jahres Dienststellenleiter und Vorgesetzte in der Bundeswehr im Umgang mit historischen Ausstellungs- und Erinnerungsstücken in Bezug zum bundeswehreigenen Traditionsverständnis. Die Ansprechstelle soll durch fachliche Beratung ein handlungssicheres und angemessenes  Vorgehen in den zuständigen Truppenteilen und Dienststellen ermöglichen, so das ZMSBw. Dies betreffe besonders die Zeit des Nationalsozialismus und der Wehrmacht.

Die Bundeswehr überprüft ihr Erinnerungswesen

Die Bundeswehr hat eine Tradition, auf die sie stolz sein kann, sagt Michael Epkenhans. Er ist Dienststellenleiter der neuen Ansprechstelle für militärhistorischen Rat. Die Bundeswehr überprüft nun ihr Erinnerungswesen. Insgesamt 94 Sammlungen der Bundeswehr gibt es an verschiedenen Standorten. Ein Traditionserlass regelt, wie mit den Traditionen der Truppe umzugehen ist. In der unmittelbaren Nachkriegszeit habe es zunächst wenig Sensibilität im Umgang mit der Zeit des Nationalsozialismus und der Wehrmacht gegeben, so Epkenhans. Mittlerweile aber seien zahlreiche Kasernen, die noch die Namen von Nationalsozialisten oder Wehrmachtsgenerälen getragen hätten, umbenannt worden.

Und es werde weiter geprüft. Anfang August ist die Dienststelle eingerichtet worden. 20 Anfragen sind mittlerweile aus allen Teilen Deutschlands in Potsdam eingetroffen. Zwei Mann sind dem Arbeitsbereich unmittelbar zugeordnet, weitere zehn Personen gehörten zum inneren Kreis, so Epkenhans. Weiterhin stehe das versammelte Wissen der ZMSBw zur Verfügung. Die Tradition der Bundeswehr zu hinterfragen sei notwendig, schließlich reiche die Geschichte der Truppe bis zum Zweiten Weltkrieg zurück.

Am 2. Mai 1956 wurde die Wehrverfassung beschlossen, auf deren Grundlage die Bundeswehr entstand. Zunächst bestand sie größtenteils aus ehemaligen Angehörigen der Wehrmacht, denn es gab keine anderen Soldaten. Mit einer Ehrenerklärung des damaligen Oberbefehlshabers der Nato-Streitkräfte war überhaupt erst die Grundlage für ein eigenes Heer der Bundesrepublik geschaffen worden. Die Bundeswehr sah sich von Anfang an ausdrücklich nicht in der Tradition der Wehrmacht. Dennoch fanden sich lange Jahre in den Amtsstuben Erinnerungstücke an die Wehrmacht. Nach diversen Skandalen wurden nun die Kasernen und Dienststuben nach Bildnissen und anderen Überbleibseln aus der Wehrmachtszeit durchforstet.

Ein Karabiner-Gewehr stammt aus der Wehrmachtszeit

„Da gibt es einen Graubereich“, stellt Epkenhans fest. Nicht alle Erinnerungstücke der Wehrmacht seien unbedingt verdammenswert. Beim Empfang von Staatsgästen paradieren auch gegenwärtig noch Soldaten mit dem Karabiner-Gewehr 98k, das noch aus der Wehrmachtszeit stammt. Sei es nun sinnvoll, den Karabiner durch ein neueres Gewehr zu ersetzen? Oder werde da unnötigerweise eine mittlerweile über 100 Jahre alte Tradition über Bord geworfen, fragt Epkenhans. Das Repetiergewehr werde immerhin seit 1898 gebaut. Welche Erinnerungs- und Ausstellungsstücke in den verschiedenen Sammlungen sinnvoll sind, prüft seine Dienststelle. „Wir müssen kontextualisieren“, so der Wissenschaftler. Das geschehe gegenwärtig auch zumeist, wenn Überbleibsel aus der Zeit der Wehrmacht auftauchen. Wenn beispielsweise an denkmalgeschützten Bauten der Bundeswehr noch Zeichen der Wehrmacht zu finden sind, so müsse dies und der historische Zusammenhang erläutert werden. Um hierfür eine Sensibilität auch bei Offiziersanwärtern zu schaffen, erhielten diese während ihrer Ausbildung einen ausführlichen Geschichtsunterricht von 50 Stunden. Die Unterrichtsunterlagen würden derzeit überarbeitet.

Dass es weitere Probleme im Selbstverständnis der Bundeswehr gibt, weiß auch Epkenhans: Frauenfeindliche Rituale, sexistische Sprüche. Damit allerdings unterscheide sich die Bundeswehr nicht wesentlich von anderen Großunternehmen, meint der Historiker. Auch diese hätten entsprechende Probleme zu bewältigen.

Die Tradition der Bundeswehr, auf die sie heute stolz sein könne, gründe in der jüngeren Vergangenheit. „Was wir in Afghanistan leisten, ist beachtlich“, sagt Epkenhans. Die Soldaten, von denen mittlerweile immerhin schon 54 getötet worden sind, würden vor Ort einen vorbildlichen Dienst versehen. Und die Anwesenheit der Soldaten basiere dort auf einem Parlamentsbeschluss, so Epkenhans. Für die positive Tradition der Bundeswehr steht nach Epkenhans auch der ehemalige Generalinspekteur und Admiral der Bundeswehr Dieter Wellershoff, der sich für eine Versöhnung von Ost und West eingesetzt habe und nicht in der Wehrmacht gedient hat.

Der Skandal um Franco A. hat die Historiker überrascht

Dass die Wehrmacht nicht aus den Köpfen der Soldaten verschwunden ist, überrascht Epkenhans. „Da haben wir uns alle gewundert“, sagt der Historiker mit Blick auf den Skandal um Franco A. Der Offiziersanwärter war durch seine rechtsextreme Gesinnung innerhalb der Bundeswehr aufgefallen. Für problematisch hielten seine Vorgesetzten seine Einstellung allerdings erst, als sich Franco A. eine Waffe besorgte, sich als syrischer Flüchtling ausgab und offensichtlich einen Anschlag plante. Bereits seit acht Jahren unterrichtet Epkenhans Soldaten im Umgang mit der Geschichte. Eine Nähe von Soldaten zum Nationalsozialismus sei ihm bisher allerdings nicht aufgefallen. (mit Kix)

Richard Rabensaat

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