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Wanderer zwischen den Religionen. Admiel Kosman will Brücken zwischen den Religionen errichten.

© K. Fritze/Uni Potsdam

Homepage: „An der Türschwelle zu etwas Großem“

Admiel Kosman, Direktor der neuen „School of Jewish Theology“ an der Uni Potsdam, über die überraschende Entwicklung der Schule

Herr Kosman, Sie sehen die institutionelle Verankerung der Jüdischen Theologie an der Universität Potsdam als einen großen Schritt. Einen Schritt wohin?

Wir stehen damit an der Türschwelle zu etwas Großem. Das Judentum kann durch diese Schule in einem lebendigen Dialog etwas in die deutsche Gesellschaft hineintragen. Dieser Schritt betrifft Körper und Seele. Der Körper, das ist die „School of Jewish Theology“, die nun an der Universität offiziell eröffnet wird. Es ist überraschend, dass Bund und Land nun so intensiv in die Schule investieren. Und es ist überraschend, dass wir bereits im ersten Jahr rund 50 neue Studierende haben, die nun zu den bereits vorhandenen rund 320 Studierenden der Jüdischen Studien hinzukommen. Damit sind wir auch die größte Einrichtung dieser Art in Europa.

Die Einrichtung der Schule wird als historischer Tag gesehen.

Vor der Schoa gab es in Deutschland bereits Bestrebungen, die jüdische Theologie an einer staatlichen Hochschule anzusiedeln – allerdings ohne Erfolg. Nach der Katastrophe der Schoa dachte niemand mehr daran, dass dies einmal Wirklichkeit werden könnte. Auch für Deutschland ist dies nun ein historisches Ereignis: Es besteht die Hoffnung, dass die jüdisch-deutsche Linie in Zukunft friedvoll zusammengehen kann.

Was ist dann die Seele der Schule, von der Sie sprachen?

Die Schule entsteht parallel zu theologischen Ausbildungsstätten von Christen und Muslimen in Deutschland. Und zwar als eine Brücke, die es bisher noch nie gab. Wir können die Menschen nun dazu vorbereiten, eine Brücke zwischen den Religionen zu errichten. Jede Religion hat etwas, was sie der anderen beibringen kann – und jede Glaubensrichtung kann von der anderen etwas lernen. Vielleicht können über solche Brücken auch Wunden geheilt werden – gerade in Deutschland als eine Korrektur dessen, was in der Vergangenheit passiert ist. Diese Idee der Brücken war von Anfang an der Ausgangspunkt der Potsdamer Religionswissenschaften. Der interreligiöse Aspekt zeichnet das Lehrangebot aus.

Und die Wissenschaft?

Natürlich sind wir auch an der akademischen Seite interessiert. Aber unser Ziel ist nicht nur die Philologie, also das, was die Sprachen und Schriften betrifft, sondern der Wunsch, dass die verschiedenen Glaubensrichtungen sich besser kennenlernen. So sollen Verbindungen entstehen. Da kommt nun die jüdisch-theologische Schule als Ergänzung hinzu.

Warum ist Ihnen der Dialog der Religionen so wichtig?

Politische und historische Fragen sind meist sehr eng mit den Wurzeln einer Gesellschaft verbunden. Das macht es so nötig, die Geschichte der Religionen zu verstehen. Zudem ist es wichtig, zu verstehen, warum Menschen glauben. So lässt sich beispielsweise nachvollziehen, woher der religiöse Extremismus seine Motivation hat. Es gibt natürlich auch positive Aspekte der Religion. Doch auch hier sollte man wissen, woher sie stammen. Es reicht nicht, nur die Sprache und Geschichte einer Kultur zu kennen, auch die Wurzeln muss man betrachten. Je mehr wir von den anderen Kulturen und Religionen wissen und erfahren, desto eher können wir die Welt zu einem besseren Ort machen. Ich denke, dass die Religionswissenschaften für die Politik in Zukunft immer wichtiger werden.

Wie schlägt sich das in der Ausbildung der Rabbiner nieder?

Wenn wir den Auszubildenden von Anfang an vermitteln, auf der Brücke und nicht im „Ghetto“ des eigenen Glaubens zu leben, dann werden wir Führungskräfte für die Gemeinden in Deutschland ausbilden, die sehr wichtig werden für die ganze Gesellschaft – nicht nur für die jüdischen Gemeinden, sondern für Deutschland und die ganze Welt.

Eine Chance für Deutschland

und das Judentum. Auch die Rabbiner werden etwas aus der deutschen Gesellschaft mitnehmen und in die jüdischen Gemeinden einbringen. Das gilt auch für die anderen Religionen.

Welche Rolle wird die Potsdamer Schule für das deutsche Judentum haben?

Die Schule soll nicht den Gemeinden folgen, sondern sie führen, vor allem in der Zukunft. Wir wollen Rabbiner ausbilden, die mit offenen Augen durch die Gesellschaft gehen. Ich sage nicht, dass heute die Gemeinden einen beschränkten Blick auf ihre Umwelt haben. Es gibt viele gute Beispiele. Aber einige Gemeinden sind in einer problematischen Situation. Und hier können in Zukunft die Rabbiner aus Potsdam helfen, einen besseren, offeneren Weg einzuschlagen.

Die „School of Jewish Theology“ soll liberale und konservative Rabbiner zugleich ausgebilden. Ist das ohne Weiteres möglich?

Diese gemeinschaftliche Ausbildung wird in den USA bereits seit Langem ohne Probleme praktiziert. Es gibt Unterschiede zwischen liberalen und konservativen Juden, die die Auslegung des jüdischen Gesetzes, der Halacha, betreffen. Die Konservativen sind diesem Gesetz strenger verbunden. Doch auch sie sind reformfähig, so haben sie in den vergangenen Jahren die Gleichberechtigung der Frauen und von Homosexuellen anerkannt. Eine parallele Ausbildung der beiden Strömungen ist also kein Problem. Schwieriger ist es mit der orthodoxen Strömung. Aber auch hier streben wir eine friedliche Koexistenz an. Wir haben bereits gute Kontakte, etwa zu dem Zentrum der Orthodoxen in Heidelberg, der Hochschule für Jüdische Studien.

Was macht die Potsdamer Schule so einzigartig?

In Deutschland ist sie das einzige Institut, das Rabbiner ordinieren kann. Weltweit ist sie die einzige Ausbildungsstätte für Rabbiner, die sich in staatlicher Trägerschaft befindet. Das gibt ihr Stabilität und macht sie zu einer verlässlichen Einrichtung. Im Gegensatz zu den USA ist die Ausbildung in Potsdam kostenlos. Hinzu kommt der dialogische Geist der Einrichtung, das unterscheidet uns von anderen Schulen ganz wesentlich. Die Einzigartigkeit bedeutet aber nicht, dass wir uns von den anderen Seminaren absondern. Wir suchen auch hier den Dialog.

Die Potsdamer Schule steht nicht nur konfessionell gebundenen Studierenden offen.

Natürlich, wir sind eine akademische Einrichtung. Wir haben auch atheistische Studierende, die nicht Rabbiner werden wollen, sondern aus gesellschaftlicher, historischer oder politischer Sicht an der jüdischen Religion interessiert sind. Auch Studierende des interdisziplinären Fachverbandes LER studieren bei uns, sie haben zum Ziel, LER-Lehrer zu werden. Viele von ihnen sind Atheisten. Es macht mir große Freude, sie auszubilden. Und es gibt ein großes gegenseitiges Interesse.

Wer zählt zu Ihren Studierenden?

Wir haben die angehenden Rabbiner des liberalen Abraham-Geiger-Kollegs und in Zukunft auch des konservativen Zacharias-Frankel-College. Daneben gibt es eine große Zahl an Studierenden der Religionswissenschaften, die mit dem Ziel Master studieren. Ich denke, dass viele von ihnen einen gewissen Sinn für Religion haben. Aber das ist wie gesagt keine Voraussetzung. Es ist auch nicht von Interesse, ob sie Christen, Juden oder Atheisten sind.

Warum ist Potsdam der richtige Platz für die Schule?

Berlin und Potsdam liegen heute im Zentrum, nicht nur im Zentrum Deutschlands und Europas, sondern der ganzen Welt. Viele junge Menschen kommen hierher, um hier zu leben und zu lernen, zunehmend auch aus Israel. Sie kommen auch, weil sich hier so etwas wie ein kulturelles Zentrum gebildet hat. Wir definieren uns als internationale Schule. So gesehen sind wir zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort.

Wird in Potsdam durch die Schule so etwas wie ein jüdisches Leben entstehen?

Die meisten Aktivitäten finden derzeit noch in Berlin statt. In Zukunft sollen aber alle Teile der Schule auf den Campus am Neuen Palais ziehen. Und das wird dann sicherlich auch in der Stadt zu spüren sein, beispielsweise durch kulturelle Veranstaltungen. Es wird kein jüdisches Viertel in Potsdam entstehen, vielmehr werden auch hier Brücken errichtet, gerade auch in der Kultur, bei den verschiedenen Feiertagen oder durch Diskussionen gesellschaftlicher und politischer Belange. Es besteht bereits eine jüdische Hochschulgemeinde in Potsdam, Beth Hillel.

Die Schule wird in die Philosophische Fakultät der Universität eingebunden. Wäre es nicht besser gewesen, eine eigene Fakultät für Jüdische Theologie zu errichten?

Für die spätere Zukunft vielleicht, wenn es sehr viel Studierende gibt und der Rahmen es erlaubt. Abgesehen von den üblichen Spannungen sind wir aber sehr gut in die Philosophische Fakultät integriert. Wir teilen grundsätzlich die gleichen Ideen.

Ihnen sind interreligiöse Kontakte sehr wichtig. Hat das auch etwas mit Ihrer eigenen Biografie zu tun?

Sicherlich. Ich war immer schon ein Suchender, der die Mauern der eigenen Herkunft überwinden wollte. Ich war immer neugierig, ein Wanderer zwischen den Religionen. Mein Jüdischsein unterscheidet sich stark von dem meiner Herkunft. Ich habe Meditation betrieben, habe mich an buddhistischen Ideen orientiert und Einflüsse aus dem Christentum und dem Islam, vor allem aus dem Sufismus erhalten. Ich bin überzeugt, dass man Gott nicht in sich selbst findet, sondern nur, indem man sein Herz anderen öffnet. Gott findet man nur im Dialog mit anderen.

Das Gespräch führte Jan Kixmüller

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