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Aufgezogene Spritzen mit Impfstoff gegen Covid-19 liegen in einer Schale.

© dpa/Daniel Karmann

Update

Erste Klagen wegen vermuteter Impfschäden: Können Anwälte die Beweislast umkehren?

Ab Mai sollen die ersten Prozesse gegen Biontech wegen möglicher Impfschäden verhandelt werden. Noch ist offen, welche Beweise notwendig sein werden.

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Sie kommen nur sehr selten vor, können im Einzelfall aber großes Leid verursachen: Impfschäden sind ein noch nicht aufgearbeitetes Kapitel in der Geschichte der Corona-Pandemie. Mehr als 192 Millionen Impfdosen wurden bis heute in Deutschland verabreicht. Dagegen mutet die Zahl der Zivilklagen, die nun wegen Impfschäden angestrengt werden, bescheiden an. Deutschlandweit sind es nach Angaben von Anwälten mindestens 185.

Zwei Kanzleien in Düsseldorf und Wiesbaden vertreten nach eigenen Angaben 135 beziehungsweise 50 Fälle. Die Klagen richten sich gegen alle vier großen Hersteller von Corona-Impfstoffen.

Die Düsseldorfer Kanzlei hatte nach eigenen Angaben rund 3900 Anfragen, aus denen 931 Mandate wurden, von denen bislang 135 in Klagen mündeten. Die Wiesbadener Kanzlei berichtete von 850 Mandaten und 50 Klagen. Auch hier wurden Hunderte Fälle als aussichtslos abgelehnt. Branchenkennern zufolge vertreten diese beiden Kanzleien das Gros der Klagewilligen.

Die ersten Fälle werden voraussichtlich am 4. Mai vor dem Landgericht Düsseldorf verhandelt. In drei Fällen klagen Frauen gegen den Mainzer Impfstoffhersteller Biontech. Eine Frau erlitt eine Herzmuskelentzündung im zeitlichen Zusammenhang mit der Impfung und leidet seither unter Erschöpfung und Konzentrationsschwierigkeiten. Eine andere klagt unter anderem über eine grippeähnliche Erkrankung, einer Herpes-assoziierte Erkrankung, eine Lungenerkrankung, Menstruationsstörungen, Nervensystem-Funktionsstörungen und Sehprobleme. Die dritte Frau litt unter anderem unter schweren Muskelzuckungen nach der Impfung und war sieben Wochen bettlägrig. Die drei fordern von Biontech Schmerzensgelder in Höhe von 150.000, 80.000 beziehungsweise 153.900 Euro.

Ein weiterer zunächst auf den 28. April angesetzte Prozess, der vor dem Landgericht Frankfurt verhandelt werden soll, ist auf Antrag von Biontech verschoben worden.

Hunderte Fälle wurden als aussichtslos abgelehnt

Jeder Fall muss einzeln verhandelt werden oder es wird ein Vergleich erzielt. Knackpunkt ist die Kausalität: Gibt es einen Zusammenhang zwischen der Impfung und dem Schaden? Für einige wenige Komplikationen ist ein kausaler Zusammenhang belegt, nachdem in verschiedenen Ländern die Krankenkassen-Daten von vielen Millionen Menschen auf statistische Auffälligkeiten hin analysiert wurden. Diese werden unter anderem in einem Aufklärungsblatt des Robert-Koch-Instituts aufgelistet. Insbesondere eine Herzmuskel- beziehungsweise Herzbeutelentzündung nach der Impfung mit einem mRNA-Impfstoff von Moderna oder Biontech gehören dazu.

Wer aufgrund einer solchen anerkannten Impfkomplikation einen bleibenden gesundheitlichen Schaden hat, kann eine zumindest bescheidene Rente bei einem der landeseigenen Versorgungsämter beantragen. Bei allen anderen vermuteten Impfkomplikationen ist es weit schwieriger. Wer kann nach 192 Millionen Impfungen sagen, welche Erkrankungen wirklich durch den Impfstoff verursacht wurden und welche rein zufällig in den Wochen danach auftraten?

Eine erste Hürde bei der Klage ist zumeist der Befund eines Arztes, der einen vermuteten Impfschaden bescheinigt. „Es ist nicht leicht, einen vorurteilsfreien und fachkundigen Arzt zu finden“, sagt Dr. Marco Rogert von der Düsseldorfer Kanzlei Rogert & Ulbrich, die die Klägerinnen vertritt. Liegt ein solcher Befund aber vor, dann könnte sich nach Auffassung von Rogert die Beweislast umdrehen: „Der beklagte Impfstoffhersteller müsste dann nachweisen, dass eine andere Ursache als die Impfung wahrscheinlich sei, etwa durch Hinweise in der bisherigen Krankengeschichte.“

Ob das gelingen kann, ist fraglich. „Ich halte es für sehr schwierig, einen solchen Nachweis zu führen und die Beweislast umzukehren“, kommentiert Jochen Beyerlin, medizinischer Fachanwalt in Ravensburg, der ebenfalls Mandanten mit mutmaßlichen Impfschäden vertritt. Eine Klage hat seine Kanzlei bislang noch nicht eingereicht, sie strebt stattdessen außergerichtliche Vergleiche an. Beyerlin’s Strategie ist eine andere als die der Düsseldorfer Anwälte: Er versucht, den impfenden Ärzten nachzuweisen, dass sie Ihre Patienten nicht vorschriftsgemäß über die Risiken aufgeklärt haben, sodass diese dann über ihre Haftpflichtversicherung belangt werden könnten.

Im wahrscheinlich ersten Prozess klagt eine Frau gegen den Impfstoffhersteller Biontech.
Im wahrscheinlich ersten Prozess klagt eine Frau gegen den Impfstoffhersteller Biontech.

© AFP/ANDRE PAIN

Anwalt erwartet „Sachverständigenschlacht“

Für Covid-19-Impfstoffe gelten im Prinzip dieselben Haftungsregeln wie für andere Arzneimittel, etwa nach dem Arzneimittelrecht. Der Düsseldorfer Anwalt Tobias Ulbrich erwartet eine „Sachverständigenschlacht“ – wenn die Gerichte nicht schon zu Beginn ein „Abschreckungsurteil“ fällen. Falls Biontech tatsächlich Schmerzensgeld zahlen müsste, würde höchstwahrscheinlich der Staat die Kosten letztlich übernehmen, weil die Verträge zwischen EU und Impfstoffherstellern das so vorsehen.

Biontech betont, „dass bisher in keinem der von Biontech geprüften Fälle ein kausaler Zusammenhang zwischen den dargestellten gesundheitlichen Beeinträchtigungen und der Impfung mit Comirnaty nachgewiesen werden konnte“.

„Wir nehmen unsere Verantwortung als Impfstoffhersteller sehr ernst“, sagte eine Sprecherin der dpa. Biontech prüfe sorgfältig jeden Fall, in dem Ansprüche gegenüber Biontech geltend gemacht werden. Voraussetzung sei allerdings, dass die Anwälte genügend Unterlagen vorlegen. „Bei der Bewertung des Falls können wir uns allein auf die medizinischen Fakten stützen, um zu evaluieren, ob ein kausaler Zusammenhang besteht oder nicht. Genau daran fehlt es leider sehr häufig.“ (mit dpa)

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