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Dieter Lenzen, Präsident der Universität Hamburg, entschuldigte sich teils für die Veröffentlichung der "Corona-Studie"

© Daniel Bockwoldt/dpa

Thesenpapier zum Coronavirus: Präsident der Uni Hamburg zieht Lehren aus PR-Desaster

Die Uni Hamburg veröffentlichte ein Thesenpapier zum Coronavirus als „Studie“. Die Kommentare des beteiligten Präsidenten sind zaghaft. Ein Kommentar

Drei Prozent mehr für Hamburgs Hochschulen, und zwar jedes Jahr bis 2027: ein bemerkenswerter Abschluss der Hochschulvereinbarungen trotz Corona-Krise und Sparhaushalten – während anderswo, in Niedersachen oder jüngst in Bremen, auch an der Wissenschaft kräftig gekürzt werden soll. Das war die Botschaft, die Wissenschaftssenatorin Katharina Fegebank (Grüne) im Februar weit über die Hansestadt hinaussenden wollte. Ein bisschen einfach, ein bisschen schön gerechnet angesichts des Kleingedruckten hinter den plakativen Zahlen, und doch hätte das Narrativ einer Wissenschaftsmetropole im Aufbruch wohl ihr Publikum gefunden. Doch dann kam Dieter Lenzen.

Eigentlich kam erst einmal der Physiker Roland Wiesendanger, der aus Presseberichten, Youtube-Videos und Websites, aber, wie die Uni-Pressestelle betonte, auch aus „wissenschaftlicher Literatur“ die Schlussfolgerung zog, dass die Ursache der Corona-Pandemie vermutlich ein Laborunfall am virologischen Institut der chinesischen Stadt Wuhan gewesen sei.

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Kontroverse Forschung

Nun kann ein angesehener Physikprofessor natürlich auch außerhalb seiner fachlichen Expertise recherchieren und meinen, was er will. Was den Fall so besonders, ja bizarr machte: dass die Universität Hamburg mit der Zustimmung ihres Präsidenten Lenzen die vermeintlichen Erkenntnisse Wiesendangers als „Studie“, basierend „auf einem interdisziplinären wissenschaftlichen Ansatz“ über ihre offiziellen Kanäle verbreitete.

Wiesendanger gab sogar an, Lenzen habe ihn persönlich zur Veröffentlichung des 104-Seiten-Papiers ermuntert. Lenzen selbst sagte nach der Pressemitteilung erstmal gar nichts, denn die Reaktionen von Politik und Wissenschaft, auch innerhalb der Uni, waren – zurückhaltend formuliert – vernichtend.

Dabei waren die Gefahren einer „Gain-of-Function“ (GOF)-Forschung – bei der Forscher bestehende Viren und Bakterien verändern, schon vor der Pandemie ein in der Fachszene immer wieder mal kontrovers diskutiertes Thema. Der Leiter eines Expertenteams der Weltgesundheitsorganisation WHO, das in Wuhan zum Ursprung des Virus ermittelte, hatte die Laborunfall-These zuletzt zwar als „extrem unwahrscheinlich“ verworfen, doch WHO- Generaldirektor Tedros Adhanom Ghebreyesus beharrte darauf, „dass alle Hypothesen weiter bestehen und weitere Analyse und Studien erfordern“.

Was zeigt: Die Debatte wird geführt. Nur dass eben unter ernstzunehmenden Experten kaum einer (keiner?) es für wahrscheinlich oder wissenschaftlich seriös belegbar hält, dass die Covid-19-Pandemie das Produkt entglittener GOF-Versuche gewesen ist. Hilft es in dieser hochkomplexen Debatte wirklich, wenn ein fachfremder Physiker mit Missionseifer meint, seinen Senf dazugeben zu müssen – von seiner eigenen Universität als wissenschaftliche Studie geadelt?

Ein Porträtbild von Jan-Martin Wiarda.
Unser Kolumnist Jan-Martin Wiarda. Auf seinem Blog www.jmwiarda.de kommentiert er aktuelle Ereignisse in Schulen und Hochschulen.

© Privat

Ein bisschen Demut

Ein PR-Desaster, das zu reichlich Fragen nach Prozessen und Verantwortlichkeiten führte. Trotzdem brauchte Lenzen zwei Wochen, bevor er sich im Rahmen einer Videobotschaft an die Mitarbeiter seiner Universität dann doch äußerte. Statt von einer Studie sprach er nur von einem „Thesenpapier“ betonte aber zugleich: „Es ist unsere Pflicht, eine solche Hypothese anzuhören, abzuwägen und zu diskutieren“. Und es sei die Aufgabe, in kommenden Diskussionen in der Wissenschaft und an der Uni zu erörtern, „ob diese Hypothese zutreffen könnte“.

Ein bisschen Demut baute der Unipräsident auch noch ein: Er habe mit der Veröffentlichung über die Uni-Kanäle niemanden provozieren wollen. „Wenn dieser Eindruck entstanden sein sollte, dann bitte ich um Nachsicht.“ Man wolle künftig stärker zwischen Forschungsergebnissen und der „Bereitstellung von Thesen und Interventionen für die Gesellschaft“ unterscheiden.

Die Thesen Wiesendangers werden vermutlich verhallen. Was bleibt, ist ein fader Nachgeschmack und der Eindruck, ein bald aus Altersgründen ausscheidender Unipräsident tue sich schwer damit, eine Fehleinschätzung zu erkennen und zu korrigieren.

Verantwortungsvolle Wissenschaftskommunikation will Aufmerksamkeit für die Ergebnisse wissenschaftlicher Arbeit erzeugen und den gesellschaftlichen Austausch über sie befördern. Sie will und darf nicht auf die schnelle Schlagzeile um jeden Preis aus sein – und erst recht nicht um den Preis der Wissenschaftlichkeit. Sie muss, um ihre Aufgabe erfüllen, von Profis betrieben werden, die ihre Entscheidung über Veröffentlichungen aufgrund professioneller Kriterien treffen können. Ohne den Druck überambitionierter Wissenschaftler oder von Hochschulchefs, die ein bisschen Rummel immer noch für eine gute Idee gehalten haben.

Hoffentlich geht jetzt diese Botschaft von Hamburg durchs Land.

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